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VS als Privatdetektei der Regierung?

■ Im Verfassungsschutz formiert sich die Kritik aus den eigenen Reihen

Gestern hat das Abgeordnetenhaus in Berlin einen Untersuchungsausschuß zu dem Berliner Landesamt für Verfassungsschutz eingesetzt. Bespitzelung einer ganzen Zeitung, weiterer Journalisten, Abgeordneter und Gewerkschaften stehen damit auf der Tagesordnung. Kritik an dieser Rolle des Verfassungsschutzes kommt nun auch aus den eigenen Reihen. Die in der ÖTV organisierten Hüter der Verfassung wollen weg vom Geheimdienst als Kampfinstrument gegen die politische Opposition. Mit der Bespitzelung einer Zeitung, so ihr Sprecher Lothar Jachmann, würde sich der VS selbst außerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung bewegen.

taz: Herr Jachmann, in den Thesen der ÖTV zum Verfassungsschutz heißt es, Aufgabe des Amtes sei es, möglichst subtil zwischen Demokraten und Verfassungsfeinden zu unterscheiden. Nach welchen Kriterien tun Sie das?

Lothar Jachmann: Das ist in dem Bereich, den wir als „extremistisch beeinflußt“ bezeichnen, eine schwierige Entscheidung, weil es keine klaren Kriterien gibt. Deshalb ist ja eben viel Fingerspitzengefühl erforderlich. Es geht immer um die Schnittstellen zwischen demokratischen Gruppierungen, Personen und Organisationen - und dem Bereich, den wir als extremistisch definieren.

Die Definitionsgrenze wird aber doch bestimmt von den Feindbildern, die in der Amtsleitung oder der vorgesetzten Innenbehörde gepflegt werden. Wie sieht denn der interne Prozeß aus, durch den die Feindbilder bestimmt werden?

Es darf hier kein statisches Beharrungsvermögen geben. Man darf nicht das Bewußtsein der fünfziger Jahre pflegen wie einen Naturschutzpark. Es muß natürlich ein ständiger Diskussionsprozeß stattfinden - im Amt und mit der Innenbehörde -, um festzulegen: Ist das noch unser Feld oder nicht?

Wie sieht denn der Entscheidungsprozeß konkret aus? Wer gerät wann und warum ins Fadenkreuz des Verfassungsschutzes? Warum wird zum Beispiel eine Zeitung zum Beobachtungsobjekt erklärt?

Ab wann wird man

Verfassungsfeind?

Das ist im Grunde ein geregelter Prozeß. Gruppen, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gezielt angehen

-da schaut man sich die Programme, das Handeln der Organisation, wie es sich im politischen Raum vollzieht, an. Wenn man dann feststellt, hier sind die wichtigen Essentials, die das Bundesverfassungsgericht festgelegt hat, berührt, dann ist es erlaubt, sie als verfassungsfeindlich zu deklarieren. Wenn es also darum geht, den Parlamentarismus, das Mehrparteiensystem abzuschaffen, die Diktatur des Proletariats auszurufen, dann ist es mit der Definition relativ einfach. Dann wird der Verfassungsschutz diese Organisation der politischen Führung als Beobachtungsobjekt vorschlagen, sich mit den übrigen Ämtern für Verfassungschutz abstimmen und der politisch Verantwortliche das absegnen müssen, also der jeweilige Innensenator.

Die Diktatur des Proletariats ist eine einfache Formel mit einiger Trennschärfe. Problematisch wird es doch, wenn zum Beispiel Bürgerinitiativen versuchen, Munitionszüge zu blockieren. Wann werden die zu Verfassungsfeinden?

Wenn sie erklären, daß es ihnen nicht nur um Munitionszüge geht, sondern um die Abschaffung des Schweinesystems insgesamt, daß sie damit das kapitalistische System beseitigen wollen...

Das kapitalistische System genießt ja nicht den besonderen Schutz der Verfassung.

Ja, das ist richtig. Gut, daß Sie das sagen. Das ist sicher auch ein Punkt, wo man ganz fein aufpassen muß. Ich gebe zu, es werden häufig Dinge als unveräußerliche Essentials des Verfassungssystems angenommen, die durchaus geändert werden können, wenn man die politische Mehrheit dazu hat. Verfassungsfeindlich ist erst, was systemsprengend ist.

In der Praxis sieht Ihre Arbeit aber doch so aus, daß immer erst Leute eingeschleust werden - schon um festzustellen, ob denn eine Organisation verfassungsfeindlich ist. Damit ist die Gruppe schon zum Beobachtungsobjekt geworden, bevor der Verfassungsschutz die Frage überhaupt beantworten kann. So geschehen in Berlin gegenüber der Alternativen Liste. Auf diese Weise läßt sich natürlich die Grauzone sukzessive ausdehnen.

Das darf nicht eintreten und es darf auch im Anfangsstadium nicht zur Verifizierung eines Verdachtes ein V-Mann eingesetzt werden. Der V-Mann kann natürlich nur ultima ratio sein. In einer Zeitungsredaktion wäre das horrender Blödsinn. Eine Verfassungsschutzbehörde, die V-Leute in eine Zeitung einschleust, würde sich meiner Meinung nach selbst außerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung stellen. Man darf nicht das grundgesetzlich geschützte Recht auf Pressefreiheit mit nachrichtendienstlichen Mitteln unterlaufen.

Zumindestens in einem Fall ist belegt, daß der niedersächsische Verfassungsschutz bereits 1979, in der Gründungsphase der taz, eine V-Frau in die Göttinger Initiative eingeschleust hat. Warum sollen wir eigentlich glauben, daß das nicht auch in anderen Bundesländern praktiziert wurde?

Nach allem, was mir bekannt ist - auch über Bremen hinaus und aus meiner Zeit in Berlin - ist die taz niemals in irgendeiner Innenrichtlinie als Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes ausgewiesen worden. Wenn das trotzdem geschehen seien sollte, liegt das am Übereifer von Leuten vor Ort. Es hat aber niemals beim Verfassungsschutz einen internen Abstimmungsprozeß darüber gegeben, und ich hielte das auch für töricht. Ich sage aber mal etwas, was ich sonst ungern sage, weil es spekulativ scheint: Man kann die Möglichkeit nicht ausschließen, daß jemand aufgrund besonderer Einschätzungen vor Ort trotzdem zu solchen Überlegungen gekommen ist.

Die Frage, wer in den Verfassungsschutzdateien auftauchen darf, hängt offenbar immer von der jeweiligen politischen Führung ab. Als Lummer in Berlin Innensenator wurde, hat er als erstes dafür gesorgt , daß die AL als verfassungsfeindliche Organisation eingestuft wurde.

Ämter werden politisch

instrumentalisiert

Ich will ihnen da nicht widersprechen. Die Definition wird politisch mitbestimmt. Deshalb haben wir als ÖTV-Gruppe ja auch gesagt, die Ämter müssen sich davor hüten, sich instrumentalisieren zu lassen. Sie müssen sich gegen Begehrlichkeiten, die aus jedem politischen Lager kommen, zur Wehr setzen. Es gibt sicherlich die Tendenz, den Verfassungsschutz mal schnell als eine Privatdetektei des jeweils an der Macht befindlichen Politikers zu benutzen. Das wird jeder, der länger im Verfassungsschutz tätig ist, bestätigen können - zumindest, wenn er eine leitende Position innehat.

Deshalb besetzt man Führungspositionen ja immer mit Leuten der eigenen politischen Coleur.

Aus diesem Grund brauchen wir Parlamentarische Kontrollkommissionen (PKK). Die wurden dann ja nicht zuletzt auf Initiative der ÖTV - gegen zum Teil erheblichen Widerstand - installiert. Mittlerweile findet man daran so viel Gefallen, daß schon bald wieder Grund besteht, mißtrauisch zu werden, ob das Instrument überhaupt noch zieht. Man müßte bereits wieder darüber nachdenken, ob diese Kontrolle nicht intensiever sein kann, als es jetzt der Fall ist.

Zumindestens in Berlin ist die SPD ja davon überzeugt, daß sie in der PKK nur an der Nase herumgeführt wurde.

Gut, in Berlin gibt es jetzt den Eklat, offenbar weil die Kontrollvorstellungen der beiden SPD- Mitglieder nicht erfüllt wurden. Aber auch damit wird ja auf wunde Punkte hingewiesen.

Das Problem der PKK ist doch, daß die Parlamentarier nur das gezeigt bekommen, was das Amt ihnen vorlegen will.

Sicher, sie müssen die richtigen Fragen stellen können. Das hängt auch davon ab, wie intensiv sich die jeweiligen Parlamentarier um diese Aufgabe kümmern. Man muß natürlich den Finger in die Wunden legen, und das geschieht in Berlin ja offenbar auch.

Allerdings mit wenig Aussicht auf Erfolg. Der nächste Schritt ist nun ein Untersuchungsausschuß, der ebenfalls wieder ins Leere zu laufen droht.

Es gibt mit Untersuchungsausschüssen andere Erfahrungen. Da kann eine Menge rauskommen.

Die Effizienz eines Untersuchungsausschusses, vor allem wenn es um den Verfassungsschutz geht, hängt ja ab von der Zivilcourage der Zeugen aus dem Amt, die dort aussagen. Was tut denn Ihre ÖTV-Gruppe, um den Leuten den Rücken zu stärken?

Die ÖTV kann Öffentlichkeit herstellen und, wenn ich das richtig mitbekommen habe, versucht sie das auch. Darüberhinaus kann sie Rechtsschutz gewähren. Entscheidend ist aber etwas anderes: Wir müssen ein Klima schaffen, in dem Aufklärung auch positiv gewürdigt wird. Dafür gibt es eine Reihe von Chancen. Wir haben ja keine Einheitspartei, vielmehr kann es sich auch für einen einzelnen günstig auswirken, wenn er Rückgrat zeigt. Die Frage ist auch immer, wie der einzelne strukturiert ist und was er sich zumutet.

Es ist wichtig, daß die ÖTV darauf drängt, auch den VS zu einer transparenten Organisation zu machen. Wir könnten uns sehr viel mehr Offenheit leisten und würden dadurch stärker statt schwächer.

Weg vom Geheimdienst?

Also weg vom Geheimdienst?

Viel von der Geheimniskrämerei, die wir uns leisten, kann wegfallen. Der Verfassungsschutz sollte sich auf das Wesentliche konzentrieren: Das ist für uns Politikberatung. Der VS muß Tendenzen aufzeigen und Politiker aller demokratischen Parteien entsprechend beraten, ihnen Hilfestellung geben, um mit politischen Mitteln Fehlentwicklungen den Nährboden zu entziehen.

Warum braucht man denn für Politikberatung einen Geheimdienst? Solche Tendenzen verfolgt doch jeder Journalist.

Einmal gibt es ja noch die Spionageabwehr und den Terrorismusbereich. Wenn Sie generell sagen, das könnte auch die Polizei machen, dann machen Sie einen Denkfehler. Dann müßten Sie nämlich der Polizei das Instrumentarium zubilligen, das jetzt der VS hat - also den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel. Dieses Recht bestreiten wir der Polizei ja ganz heftig. Denn dann hätten wir ja wieder, eventuell...

...eine Gestapo?

...ich will das hier nicht so benennen.

In der Praxis geschieht unter dem Stichwort „Bekämpfung der organisierten Kriminalität“ doch genau das: Ausbau von sogenannten Under-cover-Abteilungen, V-Leute im Rauschgiftbereich, oder mal die Gründung einer Revolutionären Zelle. Das gibt und gab es doch bereits alles.

Nein, im Terrorismusbereich darf die Polizei keine V-Leute führen. Das ist ganz klar. Es gibt, das stimmt, Tendenzen, wo sie das versucht hat. Wir haben uns jedoch immer klar dagegen gestellt , daß die Polizei nachrichtendienstlichen Mittel einsetzen darf.

Aber es gibt doch eine Vielzahl von Beispielen, wo die Polizei im Vorfeld sogenannter „politisch motivierter Gewaltkriminalität“ aktiv geworden ist. Letztes Beispiel in Berlin: polizeiliche V-Leute in der Anti-IWF-Kampagne.

Ich habe ja gesagt, wir halten das für unvereinbar. Zumindestens in Bremen wird diese Trennung auch konsequent durchgehalten.

Der Trend geht bundesweit in eine andere Richtung.

Ich will es nicht Trend nennen, aber ich sehe von jeher die Gefahr, daß, wenn Verfassungsschutzbehörden auf dem Terrorismus-Sektor nichts oder wenig leisten, die Polizei dann diese vermeintlichen Freiräume nutzt. Aber hier darf der Zweck nicht die Mittel heiligen.

Die Grenze zwischen Polizei und Verfassungsschutz ist doch schon durch ständige Personalwechsel zwischen den Institutionen ziemlich künstlich.

Das haben wir in der Vergangenheit heftig kritisiert. Die Polizeinähe mancher Landesämter gefällt uns überhaupt nicht. Wir halten es zumindestens für unhygienisch, wenn Polizeibeamte, die zum VS gewechselt sind, noch nicht einmal sauber abgenabelt wurden.

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