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Ein Volk ohne Krupp - Das Ende eines Mythos

„Frechheit wird augenblicklich bestraft“ / Ein Streifzug durch die Geschichte der Friedrichs, Alfreds und Friedrich Alfreds anläßlich der heutigen Aufsichtsratssitzung  ■  Von Fred Schywek

Aha, das ist die „Villa Hügel“. An ihrem Fuße liegt der Baldeneysee. Jenes künstliche Gewässer, das Adolf Hitler zu Beginn des Krieges aufstauen ließ. Im Sommer segeln und surfen heute hier die Sonnenhungrigen aus Bredeney, dem Nobelviertel der Ruhrmetropole Essen. Auf halber Höhe liegt der S-Bahnhof „Hügel“, ein paar Schritte weiter das Tor 3 des Hügelparks. Wer in das Reich und die Geschichte derer von Krupp will, zahlt beim Pförtner 1 Mark 50 Eintritt, Kinder und Studenten die Hälfte. Den ersten der Saga, Friedrich, vergessen wir ganz schnell. Denn der Namensgeber des Weltkonzerns (gegr.1811) war der Versager und Bankrotteur in der Ahnenreihe. Er betrieb im Norden der Stadt, in Altenessen, eine kleine Werkstatt mit Wassermühle. Doch der im Sommer immer trockene Berne-Bach lieferte ihm zu wenig Saft, geschweige denn genügend Einkommen.

Auch im Hügelpark wimmelt es heute von Werkschutz. Stahlblaue Jacke, steif gebügelte Hose, die drei Ringe von Krupp prangen stolz auf der Brust. Ihre Autos stehen vor dem Hauptportal der Villa Hügel, alle mit den Buchstaben E-RZ im Kennzeichen. Sie sind die letzten der Kruppianer-Garde: folgsam, treu und eisenhart. Ganz im Sinne des Erbauers jenes Protzbaus von über 20 Meter in der Höhe und wohl 100 Meter in der Länge. Alfred Krupp (1812-1887), der Sohn Friedrichs, genannt „König Alfred“, war auch der Schöpfer des Firmensignums der drei Ringe, seit 1875 das Symbol Kruppscher Dreieinigkeit: der „Alte Krupp“, die Kruppianer und ihrer beider Arbeitsethos. Drei nahtlos geschmiedete Eisenbahnreifen waren es ursprünglich, die dann im bismarckschen Deutschen Reich die Triebfeder für kommenden Erfolg sind.

Der schreibsüchtige König Alfred ist der Verfasser des Reglements für die Fabrikarbeiter, der administrative rote Faden durch die Firmenchronik: „Wer trotzen will oder seine Pflicht weniger tut, wird beim Ertappen entlassen. Ebenso, wer sich wiederholt ein Versehen zuschulden kommen läßt. Augendiener haben bei erster Gelegenheit den Abschied zu erwarten. Frechheit wird augenblicklich bestraft.“ Für die braven Krupps gibt Alfred Zucker: „Die besseren Leute haben natürlich den Anspruch dort (in den Krupp-Siedlungen, d.Red.) zu wohnen und diesen diejenigen, welche die meisten Kinder haben - eine Aufmunterung für die Eltern, dem Staat recht viele treue Untertanen zu liefern und der Fabrik Arbeiter eigener Race.“

Alfred baute Siedlungen, gründete die Konsumanstalt (1858), baute Schulen, doch so mancher guckte am Zahltag ganz schön dumm aus der Wäsche, denn die Schuld zog Krupp vom Lohn ab. Dann mußte Blutwurst her, das Armeleuteessen, und noch heute trägt ein Stadtteil im Schatten der Rheinhausener Hütte den Namen Blutwurst-Siedlung.

Keine Autominute vom Krupp-Platz in Rheinhausen liegt die „Brücke der Solidarität“. Die Brücke, baufällig an den Randstreifen, Amtsbezeichnung Graf-Spee-Brücke, war im vergangenen Jahr Schauplatz der ersten großen Kruppianer -Revolution, genau hundert Jahre nach dem Tode Alfreds. Wie Hohngelächter muß hier der erste Kruppsche Leitsatz klingen, der bestimmt, daß „ernste Beschäftigung mit der Landespolitik mehr Zeit erfordert und tiefere Einsicht in schwierige Verhältnisse, als den Arbeitern verliehen ist“. Im Zelt der Mahnwache gegen die drohende Werkschließung der Hütte Rheinhausen trinken Stahlarbeiter heute Glühwein. Mit Lederhaut und Rußlunge im Körper sind sie mit 45 Jahren schon alte Männer mit narbigen Charakterprofilen.

Eingerahmt von den lieblichen Krupp-Häusern der Margarethen -Siedlung starrt die Bronzebüste des Hüttengründers von Rheinhausen, Friedrich Alfred Krupp (1854-1902) auf das graue Zelt. Für die Menschen in der Siedlung ist das der „Alte Krupp“. Und ob es jetzt der Alfred, F.A. vom Krupp -Platz oder der letzte in der Reihe, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach (1907-1967), ist, der Übervater ist tot. Der Hohlkopf der Büste fiel zu Beginn der „November -Revolution“ vor einem Jahr.

Der Gründer der Hütte und eigentlich auch Rheinhausens, wie Egon Erwin Kisch in Essen: Das Nest der Kanonenkönige schrieb, „dieser Friedrich Alfred Krupp hat sich erschossen, als die Sozialdemokratie während einer Kampagne für die Aufhebung des Paragraphen 175 darauf hinwies, daß nur die Krankhaften der ärmeren Schichten von der Verfolgung betroffen seien, während zum Beispiel ein Krupp in Capri homosexuelle Orgien feiern könne“. Anders als sein Vorfahre hatte Arndt von Bohlen und Halbach (1938-1986) keine Probleme mehr. Er hatte sogar mehr PR als Jackie Onassis, als er mit hübschen italienischen Jungen, braungebrannt und mit weiten weißen Hemden auf seiner Yacht „Antionius II“ durch das Mittelmeer streifte. Oder einem Freund aus dem engeren Kreis ein Kunststudium in Rom finanzierte. Die Probleme hatten eher andere Leute. Zum Beispiel die Bergleute der ehemaligen Krupp-Zeche Rossenray in Kamp -Lintfort, ein paar Kilometer von Rheinhausen entfernt. Sie mußten jährlich einen Teil der Kohleproduktion dem von Berthold Beitz und Alfried Krupp von Bohlen und Halbach ausgebooteten und ausgezahlten Erben von Krupp in Form von Gewinnbeteiligung überlassen.

Im letzten Jahr stürmten die Kruppianer das Bollwerk der Villa Hügel. Dieses Jahr war man gewappnet. Wo damals brennende Holzscheide in den Essener Himmel ragten, standen letzte Woche Absperrgitter und der Werkschutz vor den 1.000 demonstrierenden Kruppianern. Auf der Aufsichtsratssitzung in den heiligen Hallen von Hügel gab Berthold Beitz, Testamentsvollstrecker bei Krupp, seinen Rücktritt bekannt. Spät zwar, aber dennoch immer noch im Zeitgeist, dürfte der Konzern nun bald in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden. Nach der Hütte soll auch der Industriebau bei Krupp in Rheinhausen und Grevenbroich zur Ader gelassen werden. Bis zu 1.300 Stellen werden gestrichen. Heute trifft sich der Aufsichtsrat von Krupp-Industriebau in Rheinhausen.

Später, wenn der Kühlschrott nicht mehr in der Friedrich -Alfred-Hütte in Rheinhausen, sondern in einem fremden Stahlwerk glühe, bliebe da nur noch die Skulptur des „Alten Krupp“ auf dem Krupp-Platz. Joseph Beuys hätte den Bronzekopf eingeschmolzen und in einen Hasen verwandelt.

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