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Neue Vorwürfe gegen Berlins Kewenig

■ Der Innensenator soll Verfassungsschutzunterlagen privat angefordert haben / Akte Sontheimer als Munition gegen 'Die Zeit‘ / SPD fordert: Diepgen soll Kewenig sofort die Zuständigkeit für das Landesamt entziehen

Berlin (taz) - Die beim Berliner Landesamt für Verfassungsschutz (VS) betriebene Bespitzelung von Journalisten diente offenbar auch „amtsfremden“ Zwecken. Nach einem Bericht in der jüngsten Ausgabe des 'Spiegel‘ soll sich der skandalgebeutelte Innensenator Wilhelm A. Kewenig die Akten des VS über den Journalisten Michael Sontheimer in einem Rechtsstreit mit der Hamburger Wochenzeitung 'Die Zeit‘ zunutze gemacht haben. Aus einem Vermerk vom Frühjahr 1988 sei ersichtlich, daß der Leiter der Abteilung „Auswertung“ beim Landesamt, Horst Bakker, zwei Jahre zuvor „alle Sontheimer betreffenden Aktenstücke“ bestellt habe. Angefordert habe das Material der Amtsleiter selbst, VS-Chef Dieter Wagner. Und diesem wiederum soll ein Ersuchen um Auskunft von anderer Seite vorgelegen haben. Wer dieses Ersuchen gestellt hat, schreibt der 'Spiegel‘ nicht. Der Zweck der Anfrage sei im Amt in Umrissen bekannt gewesen. Der 'Spiegel‘ zitiert dazu den „Vermerkschreiber“: „Auf eine entsprechende Anfrage erklärte der Vorgesetzte mir damals, das Auskunftbegehren stände im Zusammenhang mit Äußerungen Sontheimers über Herrn Prof.Dr.Kewenig, in einem Artikel der Wochenzeitschrift 'Die Zeit‘. Sontheimer hatte den Innensenator mit dem Berliner Baufilz in Verbindung gebracht, die 'Zeit‘ hatte Kewenig zusammen mit anderen in einer Porträt-Leiste unter der Schlagzeile „Das ist der Berliner Sumpf“ abgebildet. Kewenig klagte sofort und erzwang bei Gericht von der 'Zeit‘ ein Schmerzensgeld von 10.000 Mark.

Die Akte Sontheimer des Berliner VS war wiederholt Gegenstand der Beratungen in der Parlamentarischen Kontrollkomission (PKK). Seit Mai 1980 soll sie unter der Personennummer 35794689 angelegt und in den letzten acht Jahren „beängstigend angeschwollen“ sein. Zuletzt war die Akte von den VS-Kontrolleuren in der PKK angefordert worden. Völlig überraschend teilten die VS-Verantwortlichen nach der Anfrage mit, daß sie vernichtet worden sei - entgegen der ausdrücklichen Anordnung der PKK. Die Sammelwut der Verfassungsschützer war dagegen ungemein: Sogar ein 'Spiegel'-Artikel, in dem es hieß, Sontheimer habe sich aus der Redaktion der taz zurückgezogen, fand in die Akten Eingang. Der Journalist soll aber nicht nur in einer Bildkartei des Landesamtes, sondern auch in einer „III TAZ“ genannten Sonderkartei und im bundesweiten Datenverbund „Nadis“ abgespeichert worden sein.

Nach den neuerliche Enthüllungen hat der Berliner SPD -Vorstizende Walter Momper jetzt den Regierenden Bürgermeister Diepgen aufgefordert, dem Innensenator endlich die Verantwortung für den Verfassungsschutz zu entziehen. Der Innensenator habe sich geheimer VS-Unterlagen bedient, um in einer persönlichen Angelegeheit gegen den 'Zeit' -Journalisten vorzugehen. Das bestätige „in unglaublicher Weise, daß der Berliner Verfassungsschutz unter Kewenig als Privatdetektei mißbraucht worden ist“. Unerträglich nannte Momper weiter, daß Diepgen zu den „fast täglich neuen Offenbarungen“ noch nicht Stellung bezogen habe. Er forderte den Regierungschef auf, „für die überfällige Klärung zu sorgen und alle gebotenen, insbesondere personellen Konsequenzen zu ziehen“.

Wolfgang Gast

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