: „Legt Biblis still, weil das Volk es will“
Tausende AKW-GegnerInnen fordern die Stillegung in Biblis und den Ausstieg aus der Atomkraft / Resolution vor dem AKW verabschiedet / RWE-Informationszentrum besetzt und von Polizei geräumt / Richter ordnen Zuverlässigkeitsprüfung der RWE an ■ Aus Biblis Michael Blum
„Legt Biblis still, weil das Volk es will“, riefen Tausende von AKW-GegnerInnen vor dem südhessischen Schrottmeiler Biblis. Annähernd zehntausend Menschen hatten sich am Sonntag nachmittag zu einer Protestkundgebung vor dem Sicherheitszaun versammelt, zu der mehr als 120 Initiativen und Parteien aufgerufen hatten. Auf einer Kundgebung forderten Joschka Fischer (Grüne) und die Vorsitzende der südhessischen SPD, Heidi Wieczorek-Zeul, die Stillegung in Biblis, den Ausstieg aus der Atomkraft, die verstärkte Förderung von alternativen Energien und die „Stillegung“ des hessischen Reaktorministers Weimar (CDU). „Wir können uns keine Landesregierung leisten, die einen personifizierten Black-out darstellt - das schwarz-gelbe Chaos im hessischen Landtag muß ein Ende haben. Das Sicherheitsrisiko Weimar muß zurücktreten“, erklärte Wieczorek-Zeul. Die „kriminelle Praxis“ der AKW-Betreiber bedürfe einer sofortigen Prüfung. Zwei Sprecherinnen der örtlichen Interessengemeinschaft „Frauen und Mütter gegen Atomkraft“ verwiesen auf die steigende Zahl von AKW-Gegnerinnen vor Ort: „Vor 20 Jahren war es eine Frau, die gegen den RWE-Antrag für den Block Biblis A Einwände erhob. Heute sind wir Hunderte“, erklärte eine Vertreterin umjubelt. Sie verwies darauf, daß südhessische BürgerInnen seit März dieses Jahres die Stillegung in Biblis mit einer Klage durchsetzen wollen. Bereits im Klageantrag hätten sie die Zuverlässigkeit der Betreiber angezweifelt.
Am Ende der bis Redaktionsschluß friedlich verlaufenden Kundgebung verabschiedeten die DemonstrantInnen eine Resolution, in der sie die Stillegung des AKWs verlangen. „Der Beinahe-Super-GAU vom Dezember 1987 ist der Offenbarungseid der bundesdeutschen Atomindustrie. Unser aller Leben war abhängig von der Funktion eines Ventils und den Entscheidungen einer überforderten Bedienungsmannschaft, heißt es darin. Die AKW-GegnerInnen fordern als Konsequenz den Rücktritt von Bundesreaktorminister Töpfer und seinem hessischen Amtskollegen Weimar und die „Stillegung aller Atomanlagen“.
Am Samstag abend hatten 30 AKW-GegnerInnen aus mehreren hessischen Städten das außerhalb des Sicherheitszauns gelegene RWE-Informationszentrum besetzt. Am Jahrestag des Beinahe-GAUs wollten sie damit gegen die „Vertuschungsstrategie“ der Atomlobby und „gegen den Atomstaat BRD“ protestieren. Am Sonntag morgen wurde der Flachbau von der Polizei geräumt. Die Räumung verlief weitgehend friedlich. Von 24 BesetzerInnen wurden die Personalien festgestellt.
Eine atomrechtliche Zuverlässigkeitsprüfung der AKW-Biblis -Betreiberfirma RWE durch das hessische Umweltministerium hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) angeordnet. Dem von Reaktorminister Karlheinz Weimar geführten Ministerium setzten die Kasseler Richter für die Stellungsnahme eine Frist bis zum 5. Januar 89. Bislang hatte Weimar eine entsprechende Prüfung abgelehnt. Grund für die richterlich angeordnete Expertise ist ein beim VGH anhängiges Eilverfahren, mit dem AKW-GegnerInnen die Stillegung der südhessischen Pannenreaktoren erstreiten wollen. Die obersten hessischen Richter fordern vom Umweltministerium zudem ein Sicherheitsgutachten der Blöcke Biblis A und B.
Unterdessen verlangten die südhessischen Kommunen Heppenheim, Lorsch, Bensheim, Lautertal und Einhausen die Stilllegung beider Schrottmeiler. Weitere hessische Gemeinden fordern die Abschaltung des Beinahe-GAU-Blocks Biblis A.
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