: Bundesanwaltschaft hebelt BKA-Gutachterin aus
Im Verfahren gegen den in der Düsseldorfer Kiefernstraße verhafteten Rolf Hartung wurde ein entlastendes BKA-Gutachten vorenthalten Bundesanwaltschaft beruft sich allein auf umstrittenen Schriftprüfer / Hartungs Anwalt: „Haftrichter wurde wahrscheinlich getäuscht“ ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs
Der am 4.10. 88 in der Düsseldorfer Kiefernstraße verhaftete Rolf Hartung sitzt möglicherweise nur deshalb in U-Haft, weil dem Haftrichter ein entlastendes BKA-Gutachten von der Bundesanwaltschaft vorenthalten worden ist. Hartung's Anwalt Karl-Heinz Bartens erklärte gegenüber der taz, er gehe davon aus, daß die Bundesanwaltschaft dem Haftrichter nur das belastende Gutachten des privaten Schriftgutachters Hans Ockelmann, nicht jedoch die entlastende Expertise einer BKA -Schriftgutachterin „vorgelegt“ habe. Bartens will für den Januar einen Haftprüfungstermin erreichen. Von der Bundesanwaltschaft war bis Redaktionsschluß keine Stellungnahme zu bekommen.
Die Bundesanwaltschaft wirft Hartung vor, zusammen mit anderen an dem im Sommer 1986 erfolgten Sprengstoffanschlag auf die Daimler-Tochter Dornier in Immenstaad und an dem Bombenanschlag auf das Kölner Amt für Verfassungsschutz im September 1986 beteiligt gewesen zu sein. Hartung soll der Urheber jenes Satzes sein, der in dem Bekennerschreiben für den Kölner Anschlag handschriftlich eingefügt worden war. Ferner soll Hartung das handschriftliche Warnschreiben für den Dornier-Anschlag verfaßt haben. Über beide in Druckbuchstaben verfaßte Schreiben hatte die BKA -Schriftgutachterin Barbara Wagner am 12.10.87 eine Expertise erstellt, in der es wörtlich heißt: „Beide Schreiben stellen stilisierte, plakative Schriften dar, die z.T. mit runenartigen Elementen durchsetzt sind.
Bei derartigen Schreibleistungen kann man prinzipiell nicht von habituellen Schriftzügen ausgehen. Es ist daher nicht möglich, wegen der mangelnden graphischen Ergiebigkeit einen Urheber mit Wahrscheinlichkeitsgraden zu identifizieren. Die beiden Schriften, so die BKA-Expertin weiter, „werden von unvereinbaren Befunden deutlich dominiert, was letztlich zu der Aussage führen würde, daß beide Schreiben nicht auf einen einzigen Urheber zurückzuführen sind“. Weil dieser Befund für die Belastung von Rolf Hartung also nichts mehr hergab, schaltete die Bundesanwaltschaft den Hamburger Privatgutachter Hans Ockelmann ein. Der hatte - wie berichtet - zuvor schon in dem Stammheimer Verfahren gegen Christian Kluth wesentlich zur Verurteilung beigetragen und spielt in dem zur Zeit laufenden Prozeß gegen Eric Prauss und Andrea Sievering eine entscheidende Rolle.
Im Falle Rolf Hartungs lieferte Ockelmann erneut wie bestellt. In seinem Gutachten vom 7.9.88 heißt es wörtlich: „Es muß als ausgeschlossen gelten, daß es im Lebensbereich des Herrn Hartung und darüberhinaus eine weitere Person gibt, die in Bezug auf ihre Schreibgewohnheiten gleichartig hochgradig mit den fraglichen Schreibleistungen übereinstimmt ... Rolf Hartung ist als der gesuchte Schreiber zu bezeichnen.“ Am 5.10.88, einen Tag nach der Verhaftung von Hartung, erteilte die Bundesanwaltschaft Ockelmann den Auftrag, zu prüfen, ob möglicherweise Eric Prauss als Urheber für beide Schreiben in Frage käme. Das schließt Ochelmann in seiner gutachterlichen Antwort am 24.11.88 messerscharf aus: „In Anbetracht der bereits erfolgten Identifizierung des Rolf Hartung als Schreiber von Anlage K1 und K2 war das hier erzielte Untersuchungsergebnis zu erwarten. Umgekehrt ist das jetzige Untersuchungsergebnis eine indirekte Bestätigung für die Richtigkeit der Urheberschaftsaussage des Rolf Hartung identifizierenden Gutachtens“. Hans Ockelmann ist Mitglied im Fachverband für gerichtliche Schriftvergleichung. Der Vorstand dieses Verbandes hat ein Ehrengerichtsverfahren gegen ihn eingeleitet. Die Beiziehung der jüngsten „Gutachten“ sei dringend empfohlen.
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