: Die Unschuldslämmer der Casa Nostra
■ Immer mehr Frauen spielen in der Mafia eine aktive Rolle: aber Italiens Justiz untermauert das Klischee der nichtsahnenden Ehefrau Diese verstehe per Geschlecht nichts vom Geschäft / Urteilsbegründungen, die der Mafia nur recht sein können
Josefa Wittenborg
Seit wenigen Jahren erst ist bekannt, daß die „ehrenwerte Gesellschaft“ auf der Durchführung eines alten Rituals besteht, wenn sie ein neues Mitglied rekrutiert. Der Neuling muß sich von mindestens drei „ehrenwerten Herren“ an einen abgelegenen Ort begleiten lassen, wo er ein Heiligenbildchen in die Hand gedrückt bekommt. Mit einem Dorn sticht er sich in den Finger und beschmiert mit seinem Blut das Bildchen, das er anschließend in Brand steckt. Dabei schwört er mehrere Eide auf die Gebote von Cosa Nostra, die alle mit der Formel schließen, daß er selber so brennen möge wie der Heilige, falls er dagegen verstoße. Natürlich - es braucht kaum erwähnt werden - sind Frauen bei dem düsteren Ritus ausgeschlossen und können daher auch nicht Mitglieder von Cosa Nostra werden. Tommaso Buscetta, Zeuge der Anklage im großen Mafia-Prozeß 1986/87 in Palermo und der erste, der die geheime Zeremonie verriet, bekräftigte für die moderne Mafia, was traditionsgemäß als eiserner Grundsatz gilt. „Niemals die Frauen mit reinziehen, niemals der Frau oder Freundin von der Organisation erzählen. Cosa Nostra ist Männersache.“
Dennoch gibt es sie - Frauen, die für die Mafia und die verwandten Organisationen Süditaliens, die neapolitanische Camorra und kalabresische 'ndrangheta arbeiten. Eine Dokumentation von Anna Puglisi und Antonia Cascio - beide sind Mitglied in der „Vereinigung der sizilianischen Frauen gegen die Mafia“ - belegt es. In der für das Anti-Mafia -Dokumentationszentrum „Peppino Impastato“ erarbeiteten Studie und Sammlung von Zeitungsberichten der 70er und 80er Jahre kamen erstaunliche und über die Grenzen Süditaliens bisher kaum bekanntgewordene Tatsachen ans Licht, die das Bild von Mafia, Camorra und 'ndrangheta als exclusive Männerclubs etwas zurechtrücken.1
Es ging nicht um den Beweis, daß Frauen den Männern ebenbürtig sind im Überschreiten von Grenzen des zivilen Zusammenlebens nach dem Motto „Mord und Totschlag, auch für uns kein Problem“. Ebensowenig ging es darum, traditionelle Verhaltensweisen der Sizilianerinnen - wie den stillschweigenden Konsens mit dem mafiosen Ehemann, die Vermittlung mafioser Maximen in der Kindererziehung oder die Aufforderung zur „vendetta“ (Blutrache) - schlichtweg zu negieren. Vielmehr kam es Puglisi/Cascio darauf an, das verbreitete Klischee über Frauen aus Mafiafamilien als „Ohren, Augen und Mund verschließenden Äffinnen“, die ohne Interesse an den dunklen Geschäften an der Seite ihres Ehemanns dahinleben, zu revidieren. Sie lieferten darüber hinaus zahlreiche Belege für die vielfältigen Aktivitäten der Frauen im Bereich der organisierten Kriminalität. Die Palette reicht von der Hausfrau, die in Strickweste und Pantoffeln Heroin in der Vucciria, dem Altstadtmarkt in Palermo, verkauft, bis zur Geschäftsführerin einer Werbefirma, die Politiker mit Schmiergeldzahlungen der Mafia gefügig machte.
Die Frauen oder Schwestern der Mafiagrößen sind oft erstaunlich reich, meist weil ihnen die männlichen Angehörigen Firmen und Aktien überschreiben. Sind sie nun als Beteiligte oder als ahnungslose Mitläuferinnen einzustufen? Um diese Frage entbrannte in Sizilien ein heftiger Streit zwischen der Justiz und der UDI (Vereinigung der italienischen Frauen). Francesca Citarda, Gattin des Mafiaboß Giovanni Bontade (beide fielen kürzlich einem Killerkommando zum Opfer), hielt die Aktienmehrheit der Baufirma „Calliope“. Diese Firma steht im Verdacht, als Geldwaschanlage für die vom Bontade-Clan im Drogenhandel verdienten Narco-Lire zu dienen. Obwohl die Herkunft des Firmenkapitals nicht zweifelsfrei erklärt werden konnte, wurde das beschlagnahmte Eigentum per Gerichtsbeschluß später wieder zurückgegeben. Ebenso freigesprochen wurde 1983 Anna Maria di Bartolo, Hauptgesellschafterin der „Urania“ und Gattin eines den Bontade verbundenen Bauunternehmers.
Die Urteilsbegründung ließ den Frauen der Anti-Mafia Bewegung die Haare zu Berge stehen: Es sei nicht anzunehmen, hieß es in diesem Urteil, daß die Frauen aus mafiosen „Familien“ sich emanzipiert und von ihrer traditionell subalternen und passiven Rolle gelöst hätten und nunmehr gleichberechtigt an den Aktivitäten der Clans teilnähmen. Man könne sie nicht mit Terroristinnen vergleichen, die in den bewaffneten Gruppen stets eine aktive Rolle gespielt hätten. Aufgrund alter Gewohnheiten und des konservativen (sprich männlichen) Zuschnitts der Mafia würden sie sich höchstens darauf beschränken, gewisse Werte zu teilen und wenn verlangt, die Männer begünstigen. Insgesamt seien dies Verhaltensweisen, die nicht strafrechtlich relevant seien. Wenn sich auch für Anna di Bartolo finanzielle Vorteile aus den Aktivitäten des Gatten ergeben hätten, so sei das nicht einer eigenständigen Lebensführung, sondern ihrem Status als Ehefrau zuzuschreiben, der ja an sich nicht strafbar sei. Es sei üblich in den südlichen Regionen, daß Lizenzen und Beteiligungen auf den Namen der Frau überschrieben werden. Daraus könne nicht auf bewußte Beteiligung an den erlaubten oder verbotenen Geschäften des Mannes geschlossen werden, an denen die Ehefrauen nur als nominale Eigentümerinnen partizipierten, vor allem dann nicht, wenn elementare Kenntnisse fehlten oder eine natürliche und traditionsbedingte Fremdheit gegenüber der schwierigen Welt der Geschäfte gegeben sei. Somit sei wahrscheinlich, daß Frau Bartolo die Verwaltung der Gesellschaft voll und ganz ihrem Gatten überlassen habe.
Damit hatten die Richter vornehm umschrieben, daß Frauen aus Mafiafamilien als Halbidiotinnen eingeordnet werden müssen, denen das Interesse an der Bereicherung fehlt; nebenbei hatten sie an einem für die Mafia nützlichen Mythos mitgestrickt. Die UDI fragte in einem geharnischten Brief an den obersten Richterrat in Rom nach, ob man die Sizilianerinnen allen Ernstes für zu doof halte, als Komplizinnen von Mafiosi eine Schuld auf sich zu laden. Und ob es wirklich kein Vergehen darstelle, wenn „Frauen, diese Wesen, die nur mit den Eingeweiden denken“ die Werte der Mafia teilen und dafür sorgen, daß die Gatten straffrei ausgehen.
Die Richter hätten es besser wissen können. Die neapolitanischen Bandenführerinnen sind in Italien jedem Kind ein Begriff. Nirgendwo sonst konnten Frauen in der organisierten Kriminalität so weit aufsteigen wie in Neapel und Umgebung. Die bekanntesten Beispiele sind Pupetta Maresca und Rosetta Cutolo, die an der Spitze der miteinander verfeindeten „Nuova Famiglia“ und der „Nuova Camorra Organizzata“ Drogenhandel, Spielhöllen, Prostitution und Schutzgeldzahlungen kontrollieren. Vor allem das seit Beginn der 70er Jahre intensiv betriebene Rauschgiftgeschäft bietet Frauen ein breites Betätigungsfeld für Kurierdienste und als Besitzerinnen von Laboratorien zur Herstellung des Gifts. Als eines von vielen, allerdings spektakuläres Beispiel mag der Fall der Angela Russo gelten, die von den Zeitungen „Heroin-Oma“ getauft wurde, weil sie bereits das stattliche Alter von 74 Jahren erreicht hatte.
Stets mit einem weiten, auffällig gemusterten Cape als Erkennungszeichen bekleidet, transportierte die Mutter von elf Kindern kiloweise Heroin von Palermo nach Norditalien. Die Auswertung abgehörter Telefonate ergab, daß sie nicht nur niedere Kurierdienste verrichtete, sondern souveräne Entscheidungsträgerin war. Sie orderte Lieferungen von „Hemden“, „Bettwäsche“ oder „Scheiße“. Der gelähmte und an einen Rollstuhl gefesselte Ehemann wurde über die Geschäfte seiner Frau völlig im dunkeln gelassen. Auf den Reisen nach Norditalien, die mehr der Pflege der Organisation dienten als dem Herointransport, trieb sie auch schon mal das Geld bei den Kunden ein. Im Februar 1982 ergingen 39 Haftbefehle gegen Mitglieder der Bande von „Nonna eroina“. Bei ihrer Vernehmung gab sie sich ganz arglos: „Heroin, ist das ein Waschmittel?“
1 Anna Puglisi, Antonia Cascio: Con e Contro, Palermo, 1987
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