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Abtreibung-betr.: "Abtreibung und Tötungsvorwurf", taz vom 19.12.88

betr.: „Abtreibung und Tötungsvorwurf“,

taz vom 19.12.88

Warum tut sich die Frauenbewegung so schwer mit dem Tötungsvorwurf? Weil sonst die moralische Unschuld von Frauen in Gefahr gerät?

Natürlich ist Abtreibung ein Abtöten von potentiell menschlichem Leben. Wer sich mit der faszinierenden Entwicklungsdynamik eines werdenden menschlichen Organismus auseinandergesetzt hat, kann nicht darüber hinwegesehen.

Kann es denn sein, daß das Schlagwort vom „Leben als Störfaktor“ gegen die Gentechniker auch für die „naturverbundenen“ Frauen gilt? Genau an diesem Punkt wollen sich Frauen, weder heimlich noch öffentlich, nicht als Naturwesen verhalten. Sie verwechseln weder ihre Sexualität mit ihrer Fortpflanzungsfähigkeit (sehr zum Leidwesen von Männern und „Lebens„schützern) noch wollen sie sich dem Diktat ihres Bauches unterwerfen.

Abtreibung und Verhütung ist eine jahrtausendealte Methode für die Frauen, sich mit dem eigenen Reich der Natur auszusöhnen. Es gelingt ihnen im Patriarchat nur als Mittat gegen sich und das potentiell möglichen Leben. Die Politik der sauberen Weste - wer für Schwangerschaftsabbruch ist, kann nicht gegen Gen- und Reproduktionsmedizin sein, begreift nicht den Unterschied des vorliegenden Problems. Das eine ist der Versuch (unter patriarchalen Bedingungen) sich die Fortpflanzungsfähigkeit zu erhalten und anzueignen, das andere ist die Enteignung und Verstümmelung derselben.

Irmgard Schaffin

Es freut mich, daß die taz die Debatte der grünen Frauen so ausführlich und ordentlich wiedergegeben hat. Besonders gefiel mir, daß Conny Hühn verlangte, die Frauenbewegung müsse sich gegen den Konfliktbegriff wehren, wonach die Frauen nach einer Abtreibung nicht erleichtert sein dürfen, sondern unter einem Leidenszwang zu stehen hätten. Und die Biologin Helga Satzinger setzt hinzu, daß die moderne Medizin die falschen Bilder eines „öffentlichen Embryos“ erst einmal hergestellt hat.

Eben, das ist es! Nur die christlichen Religionen haben sich den Ärzten angeschlossen. Von Patriarch zu Patriarch haben sie einen weiteren Aufhänger gefunden um die Frau zu entmachten und zu demütigen. Vielleicht müssen wir die Krankheiten, die der Mann beim Beischlaf seiner Frau übertragen hat, auch eines Tages als Embryo hegen und pflegen... Kurz gesagt: Solange es sich um ein Embryo handelt, ist es ein Teil der Mutter, und sie hat - wie bei jeder Operation - darüber zu befinden. Mit dem ersten Atemzug handelt es sich um einen Menschen, dessen Vernichtung eine Tötung ist.

Hilde Radusch, Berlin 30

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