: DKP-Erneuerer verabreichen bittere Pillen
Parteitag der Deutschen Kommunisten in Frankfurt / Strömung der Erneuerer votiert gegen Parteivorsitzenden Mies / Auch von Moskaus Delegierten Jakovlev gibt's Kritik an Traditionalisten ■ Aus Frankfurt Jan Feddersen
Sonnabend, zweiter Tag des DKP-Parteikonvents in der Frankfurter Festhalle, kurz nach ein Uhr. Im Foyer schwatzen einige Delegierte über Privates, erholen sich von der stickigen Luft im Saal. Drinnen beginnt die Wahlprozedur, der Kampf um die Mandate für die allerhöchsten Parteiämter. Erstmals ist es neben den Stimmkarten-Delegierten auch gewöhnlichen Parteimitgliedern erlaubt, die Diskussion live zu verfolgen - die parteiunabhängige Journaille muß draußen bleiben, „um die offene Aussprache nicht zu behindern“, wie Rainer Benecke, Angestellter im Hamburger DKP-Bezirksbüro, erklärt.
Zwischen zwei mobilen Essensständen thront der ad hoc eingerichtete Altar der allerneuesten Errungenschaften der Deutschen Kommunistischen Partei: darunter ein von der sowjetischen Gastdelegation gestiftetes, überdimensioniertes Porträt von Wladimir Iljitsch Lenin, sehr bunt und in Öl; außerdem eine vom SED-Ideologiechef Hermann Axen überreichte Miniaturbüste des theoretischen Urvaters der Partei, Karl Marx, sehr ernst dreinblickend und aus Bronze gefertigt.
Die größte Errungenschaft der seit knapp zwanzig Jahren am Rande der Bedeutungslosigkeit operierenden DKP kann nicht aufgebahrt werden: die teils erfrischende Diskussionsbereitschaft der letzten Monate um den richtigen Kurs der Partei, der Mut vieler Mitglieder, der Akklamationskultur der Partei nicht mehr Folge zu leisten. Vor allem die Parteibezirke Hamburg, Bremen, Rheinland-Pfalz und der Kölner Stadtbezirk haben seit knapp zwei Jahren in punkto Perestroika Avantgardefunktion in der DKP übernommen
-die „Moskauer Linie“, wie viele „Erneuerer“ mit Stolz in der Stimme sagen. Was diese Minderheitsströmung überhaupt erneuern will, für welche Art der Modernisierung sie eintritt, ist noch ohne scharfe Kontur, zu ungewohnt scheint das Erfordernis, ohne Denkschablonen sich der Wirklichkeit in der BRD zu stellen.
Kurz vor halb zwei, Michael Hoffmann, Genosse aus Frankfurt, kommt freudestrahlend aus dem Tagungssaal: „Die erste Schlacht ist geschlagen.“ Der hessische Initiativantrag, der an die Tradionalisten appelliert, nicht ihre Linie durchzuzocken, wird angenommen. Der im November von Parteichef Herbert Mies erarbeitete Personalvorschlag, nach dem die „Erneuerer“ nur noch mit Hamburgs DKP-Chef Wolfgang Gehrcke im Vorstand vertreten sein sollen und nach dem die Jugendorganisation SDAJ sowie die Studentenorganisation MSB wegen ideologischer Aufmüpfigkeit gar nicht mehr berücksichtigt werden sollten, ist mit 90 Stimmen Vorsprung abgeschmettert worden.
Eine bittere Pille für den knapp 60jährigen Mies. Bereits am Eröffnungstag mußte er unter der Rubrik „Grußbotschaften“ heftige Schelte einstecken. Alexander Jakovlev, enger Mitstreiter Gorbatschows und Leiter der KPdSU-Delegation, sprach ein 25minütiges Grußwort, in dem er indirekt auch die verharschten Parteistrukturen der DKP indirekt aufs Korn nahm: „Wir haben (...) den Augenblick verpaßt, als seine (des Sozialismus, d.Red.) gewachsenen und komplizierter gewordenen Produktivkräfte Veränderungen in den gesellschaftlichen Verhältnissen erforderlich gemacht haben“, diktierte er den Parteitradionalisten ins Stammbuch.
Hinter dem Stand im Foyer sitzt Stefan Siegert, Karikaturist für die 'Unsere Zeit‘, und sagt bündig zum bisherigen Verlauf des Parteitages: „Langweilig. Die Beiträge gehen kaum aufeinander ein.“ Katja Barloschky, bremische Vizechefin der DKP, hat er sicher nicht gemeint. In einer mitreißenden Rede konfrontierte sie die Delegierten mit der politischen Wirklichkeit, mit den Schwierigkeiten der kommunistischne Politik, wenn ökologische Erfordernisse mitgedacht werden sollen. Mit der Ökologiefrage habe ihr Landesbezirk nämlich begriffen, „daß es sich um das neben der Friedensfrage gravierendste die Menschheit bedrohende Problem globaler Dimension handelt“. Konkret: Wie soll man 13.000 Arbeitsplätze im bremischen Werk von Daimler Benz verteidigen, wenn gleichzeitig fortschrittliche Stadtplaner „zu Recht eine gründliche Abkehr vom automobilen Individualverkehr fordern“. Die 34jährige Mitarbeiterin eines ABM-Projekts im Weser-Stadtstaat wehrt sich entschieden gegen den demagogischen Vorwurf, ihre Orientierung auf die Globalinteressen enthielte einen „Abschied vom Proletariat“. „Wir müssen das schaffen, daß die Arbeiterinnen und Arbeiter sich für diese ihre Interessen einsetzen, sonst sehe ich sowieso keine Chance, die Zerstörung unserer ökologischen Grundlagen aufzuhalten.“
Kurz nach halb fünf, immer noch Sonnabend. Die Diskussion um die Kandidatur von Mies zum Vorsitzenden ist beendet mit einer kleinen parteiinternen Revolution: Mehr als zwanzig RednerInnen meldeten sich zur Diskussion, um ihren Unmut über verfehlte Führungskraft Luft zu machen. So etwas hat es zuvor nicht gegeben, ältere GenossInnen sind empört, „er hat ja immer auf der Seite der Arbeiterklasse gestanden“. „Na und“, ätzt daraufhin ein jüngeres Mitglied, „stillgestanden hat er dabei.“
Viertel nach fünf, Mies ist für weitere zwei Jahre in seinem Amt bestätigt worden, allerdings mit 159 Gegenstimmen - vor zwei Jahren waren es nur 22. „Jetzt läuft die Wahl Ellen Weber“, verkündet ein Wahlhelfer, und die Flure leeren sich. Vera Achenbach, Parteivorständlerin und prominente Vertreterin der Modernisierer, wird nicht gegenkandidieren, „die hessische Resolution wurde ja angenommen“, kühl sagt sie: „Mal abwarten.“
Zwanzig vor acht, Ellen Weber mußte noch mehr Gegenstimmen hinnehmen als Mies. Viele „Erneuerer“ werden unruhig. „Hoffentlich rächen sich die anderen nicht, weil ihre Leute so viele Gegenstimmen gekriegt haben.“
Sonntag, kurz vor halb zehn, die meisten Delegierten betreten den Saal mit dick verquollenen Augen, „nur vier Stunden geschlafen“, erzählt einer. Die Stimmung im Saal ist gereizt. Jupp Schleifstein, Parteiarbeiter von altem Schrot und Korn und ehemaliger Direktor des Marxismus-Instituts und DKP-Think-Tanks IMSF, greift in einer flammenden Rede das katastrophale Wahlergebnis für Herbert Mies und Ellen Weber an. Er spricht von Verrat an der Einheit der Partei. Schleifstein trifft den richtigen Ton; viele Delegierte nicken. Die „Erneuerer“ kriegen es allmählich mit der Angst zu tun, ein Durchzocken der Mehrheit wird befürchtet. „Scheiße, keine Lust mehr, so zu taktieren. Daß die nicht begreifen, daß die Gegenstimmen nicht die Einheit der Partei treffen sollten“, meint ein Hamburger Delegierter. Herbe Selbstkritik wird erwartet - auch bei den „Erneuerern“.
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