: Oooh, du sein Tango Ambientino
■ Nach Bewegung der Avantgarden, der ÖkopaxInnen, der Urschreie und Rebirthings, nach Letkiss, Twist und Flamenco jetzt endlich: Die alten Tanten tanzen Tango mitten in die Nacht
Es ist Mittwoch, acht Uhr abends, und wie jeden Mittwoch seit November beginnt im schönsten Cafe Bremens, dem „Ambiente“, jetzt das „Tango Cafe“. „Es ist nun mal ein Macho-Tanz,“ sagt Anne H. „Du mußt Dich einfach führen lassen. Am Anfang hatte ich Schwierigkeiten damit.“ Manchmal sieht man die noch. Im Moment nicht. Anne und Ronald nutzen die leere weiß-und-schwarz-geflieste Tanzfläche, um ihren komplizierten Schrittfolgen zur Musik, noch kompliziertere Figuren hinzuzufügen. „Wird ja gearbeitet hier wie in der Turnhalle,“ ketzere ich in mich hinein. An den Marmortischen ringsum sitzen ein Herr und noch einer und ich. Wie sroll das weitergehen, um Gottes Willen? Das ist doch was für fortgeschrittene Könner hier. Wird der im Hemd sich gleich vor mir verneigen, und ich muß dann passen? Und außerdem: Ist das die Bremer Tangoscene, die für ihre Größe und Fortgeschrittenheit weit
herum bekannt ist?
Halb elf Uhr. Ketzerei verflogen, die Berichterstatterin ist hingerissen und sieht sich, trotz Maracujasaft, besoffen an soviel wunderbarem Tango. Aus den Boxen kommt mal Wirbelnd-Schnelles, mal diese ziehende Tango-Traurigkeit. Auf der Tanzfläche drehen, gleiten, verharren und gleiten dann wieder sieben, manchmal acht Paare, das Äußerste, was die kleine Fläche zuläßt, und an den Tischen ist kein Stuhl mehr frei. Auch die laienhaftest Aussehenden haben sich als lange initiierte Tangolesen entpuppt, alle kennen sich aus dem Carre, der Brutstätte des Tango in Bremen, haben Tango-Kurse und Wochenenden hinter sich und immer noch nicht genug und nehmen sich jetzt also, gegen Abführung der drei Mark Eintrittsgeld, mittwochs das Ambiente.
Das Alter ist gehoben, über die Mitte Dreißig hinaus zumeist, die Kleiderordnung ist locker, das
outfit reicht von joggingähnli- chen Beutelhosen bis zglänzden Stng t engem und deshalb gehörig geschztemocknausgeschnittener Bluse, die wie schwere Seide glänzt. Der eine hat mal sein Leben einer kommunistischen Kaderorganisation vermacht, die andere gibt vorzügliche Yoga -Kurse, jetzt ist das egal, da tanzen sie alle. Und zwar so ziemlich alle mit allen, feste Paare sehe ich keine, die Männer tanzen mal mit der einen, mal mit der andern. Ob jene diese auffordern und diese sich lassen, wie vor der Emanzipation? Ja doch, oder vielleicht nein. Ich habe nicht gesehen, daß da ein Problem ist, wenn einfach alle gern tanzen wrollen, und zwar nicht wie die Monaden, jede für sich und Gott kriegt den Zusammenhang für uns alle dann auch nicht mehr hin. Auffordern ist eher ein Aufstehen und sich zusammentun als ein förmliches „Darf ich bitten?“.
Ja, und das Geführtwerden? Peinlicher Rückfall? Modell fürs
Zurücksinken in längst überwundene Weibchenrollen? Die Frauen, die ich da in Ottilies Milchhäuschen tanzen gesehen habe, können zumeist beides, sich genußvoll „führen lassen“ oder souverän selber „führen“. Was immer dann zu sehen ist, wenn eine Frau die andere „führt“. Das Spiel hat Regeln und feste Rrollen, und die Frauen sind die Virtuosinnen im Rrollenwechsel, sie können die eine, aber die andere auch.
Überhaupt, mir ist beim Zuschauen das kritische Räsonnieren, wo hier der konservatorische Pferdefuß stecken könnte, gründlich, vielleicht ja zu gründlich abhanden gekommen. Es ist einfach ein Genuß, Leute, ja, und die unterschiedlichen Geschlechter auch bei etwas anderem zu sehen als beim festlichen smallest-Talken über die ABM -Misere, beim Vertilgen kalter Buffets oder bei der Vermittlung von Therapieerfahrungen über den Kneipentisch. Beim Tanzen zum Beispiel.
Richtige, echte Männer habe ich völlig freiwillig tanzen sehen. Manche zwar auch da mehr mit der harten Arbeit an der technischen Vervrollkommnung ihres Figurenreichtums befaßt, als mit der Hingabe ans bittersüße stop and go des Tango, dennochdennoch: ein echtes Wunder. Und dann diese beiden hier, sie mit der gleichen distanzierten Entrückung im Gesicht wie er da, der mit den wohlgeformten gestreiften Hosen, was tanzen die schön! Aber der Tango ist ein disziplinierter Tanz, da wird nicht gelacht und geplaudert. Wenn es mit jemandem besonders gut geht, dann sagen das die Fußspitzen, die da über des andern Wade streichen - bei diesem Tango Argentino fußelt man sich ja beständig zwischen den Unterbeinen herum - und die Exaltation der Abwendung voneinander, und nur ganz selten zerplatzt mal ein Paar und freut sich offen raus, wie gut das grade gegangen ist. Aber zu sehen ist es die ganze Zeit. Heute abend
übrigens wieder.
Uta Stolle
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