: Oper, Dior-Sex, jede Menge Albernheiten
■ Am Donnerstag hatte Prokofjews „Liebe zu den drei Orangen“ am Goetheplatz eine herausragende Premiere: virtuoses Geklotze mit Gags, das den Rezensenten nicht restlos glücklich im Theatersessel sitzen ließ
Hörerfahrungen mit Prokofjew waren für mich bei aller Faszination, die von ihm ausgeht, unbefriedigend. Mir ist, als erklänge seine Musik stets gebremst, ausgebleicht, mit Grauschleier. Reichlich Patina breitet sich über seinem Werke aus, glättet die Klangspitzen, verkleistert die Plattenrillen. Peter und der Wolf bestimmt das gängige Interpretationsideal. Wattige Moderne, wen soll das schon aufgeregt haben? Und doch gab es das vor 60, 70 Jahren: empörtes Publikum, beleidigte Kritik, entsetzte Kollegen und unwillige Musiker. Und dann noch jene, die meinten, Musik müsse so beschaffen sein, daß die werktätigen Massen sie mitsingen können.
Hört man Prokofjews eigene Einspielungen, so klingt etwas durchs militante Schellackplattenrauschen, was aufhorchen läßt. Geht man ins Theater am Goetheplatz, um die Liebe zu den drei Orangen zu genießen, hört man, was damals erregt hat.
An Prokofjews erster komischer Oper, um 1920 entstanden, wird allgemein der Wechsel zwischen Komik, Groteske und „melodischen Kantilenen sich ausschwingender Empfindungen“ gelobt. Champagner assoziierte der oberste Volksbildner der frü
hen Sowjetunion, Lunatscharkij. Ganz anders kam es aus dem Bremer Orchestergraben: agressiver Witz, beißende Ironie, lärmende Banalitäten, böser Humor und unbegrenzte Dynamik entlockte Istvan Denes mit engagiertem Dirigat (nach etwas unentschiedenem Beginn) dem Bremer Philharmonischen Staatsorchester. Prokofjew pur, lebendig, aktuell. Genau so war es richtig.
Grell, schwarz, böse ging es auch auf der Bühne zu. Und das war fast genauso richtig.
Prokofjews Oper handelt, so sagt er selbst, vom Lachen. Auf der Bühne allerdings wird so richtig nur einmal gelacht. Es lohnt sich, da mal genauer hinzuhören und zuzusehen: Der melancholi
sche Held der Oper, ist wegen schwerster Depressionen als Erbe der Macht schlichtweg ungeeignet (unsäglich traurig, mit zarter, süßer Tenorstimme: Thomas Tomasiewicz). Er soll, so will es der gequälte Vater (als sensibel-brutaler Mafiapate: Karsten Küsters, zuweilen mit Marlon-Brando -Blick), endlich durch ein rauschendes Fest, das alles mobilisiert, was die Unterhaltungsindustrie zu bieten hat, zum Lachen gebracht und damit geheilt werden. Da erscheint die böse Fee (mondän, zickig mit rabenschwarzer Seele: Katherine Stone), um Heiterkeit beim Erben zu vereiteln; überflüssigerweise, da die Unterhaltungsindustrie bekanntlich nicht zum Lachen ist.
Allein, sie fällt und streckt ihren Allerwertesten deutlich sichtbar in die Luft. Das ist ja wirklich saukomisch. Der Held ist geheilt.
Prokofjews Musik hierzu ist erstaunlich: Der Held lacht erst etwas asthmatisch, dann steigert er sich in hysterische Koloraturen auf Hahaha, Chor und Orchester hecheln mit. Nach Eintritt der Erschöpfung erklingen Töne, ernste, die ersten Töne in diesem Werk, die menschliche Gefühle authentisch wiedergeben. Hinter dem Zotigen werden Scham, Demütigung und Leid für Sekunden hörbar.
Andras Frizsay Kali Son, der Regiesseur mit dem langen Namen, läßt dies beklemmende Wirklichkeit werden. Er inszeniert das zynisch. Fata Morganana, reckt ihre Beine bizarr verwinkelt in den Bühnenhimmel. Natürlich streckt sie der festlichen Gesellschaft ihren Hintern entgegen und natürlich sieht das Premierenpublikum ihr Vorderteil, dessen intimes Dreieck zwei blinkende Lichterketten umranden (Deutlichkeit ist stets Stilmittel der Unterhaltungsindustrie). Es wird natürlich gelacht im Publikum, genauso, wie auf der Bühne.
Fricsays Inszenierung und die Bühnenbilder von Villareal er
zählen Prokofjews Oper in Bildern, die wir aus Kino, Glotze und der Werbung für Yuppies kennen: müllverstopfte Straßen mit dampfendem Gully aus dem US-no-future-Krimi, Laserschwertkampf im schwarzen Weltall des SF-Genres, der agressive Sex aus Dior's Parfümwerbespot und dazwischen jede Menge Albernheiten aus der Slapstickkommödie. Sur-real.
Das Produktionsteam und das oft virtuos mitspielende Ensemble zeigen uns so einen Prokofjew ohne Moder, der lachen macht und provoziert.
Trotzdem, restlos glücklich bin ich mit dieser aus der Spielzeit herausragenden Produktion nicht. Mag sein, daß es zu virtuos war, daß zu kräftig geklotzt wurde, die Bühne zu voll war mit visuellen und inszenatorischen Gags, daß das Umschlagen von Lust in Graus zu direkt wirkte. Eine optische Reduktion, wie sie im Schwerterkampf zwischen dem Gutem und dem Bösen zu sehen war, hätte vielleicht im 3. Akt, wo die Liebe das Happy End vorbeitet, manches deutlicher werden lassen. Nun ja, mit dem Vorwurf, zu virtuos zu sein, war auch Prokofjew zeit seines Lebens konfrontiert.
Mario Nitsche
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen