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Geheimnisverrat erwünscht

Dieter Kretschmer, Vorsitzender des DGB Rheinland-Pfalz, zur Giftgasproduktion mit bundesdeutscher Hilfe / Rechtsschutz für Arbeiter, die das öffentlich machen  ■ I N T E R V I E W

taz: Der DGB Rheinland-Pfalz hat jahrelang eine Kampagne gegen die Lagerung von chemischen Kampfstoffen in der Bundesrepublik geführt. Jetzt stellt sich heraus, daß das nur ein Problem unter vielen ist. Müssen Sie die Kampagne erweitern?

Kretschmer: Die Produktion von binären Chemiewaffen in den Vereinigten Staaten gefährdet die Situation in Europa auch dann, wenn diese Waffen in Europa nicht stationiert werden, wie das bei dem Giftgas in Fischbach bei uns hier in Rheinland-Pfalz noch der Fall ist. Man kann diese Waffen ja getrennt voneinander lagern und transportieren. Und deshalb sind wir der Meinung, daß der Slogan „chemiewaffenfreies Europa“ eigentlich zu kurz ansetzt, und haben im vergangenen November eine internationale Konferenz zur Forderung nach einem weltweiten Verbot von Chemiewaffen durchgeführt.

Wer interessiert sich dafür, ob der DGB Rheinland-Pfalz für ein weltweites Verbot der Chemiewaffen ist? Wenn Sie solch eine Forderung aufstellen, was hat das für einen Effekt?

Das mobilisiert die Leute bei uns in Rheinland-Pfalz, die sich durch die Giftgaslager in Fischbach besonders betroffen fühlen. Und wenn wir so eine Konferenz machen, dann ist das für zwei Tage in allen Tageszeitungen. Aber dann vergißt man es auch sehr schnell wieder. Eine so große Bedeutung wollen wir dem auch nicht zumessen.

Gäbe es nicht eine andere Möglichkeit für die Gewerkschaften, zu diesem Thema Aktivitäten zu entwickeln? Die Gewerkschaften sind in den Betrieben und haben Einblick in deren Innenleben. Muß man so lange warten, bis der CIA uns die Fakten über den Export von Giftgasanlagen auf den Tisch legt, statt daß die Betriebsräte Alarm schlagen?

Die Betriebe, in denen jetzt - mehr oder weniger nachgewiesen - diese Produktion gelaufen ist, stellen nicht den Kernbereich der chemischen Industrie dar. Die renommierten chemischen Betriebe, in denen die Gewerkschaft stark verankert ist, sind offenbar in dieser Sache nicht tangiert.

In dem Betrieb Imhausen bei Lahr, der jetzt betroffen ist, ist die IG Chemie erst seit 1987 überhaupt im Betrieb verankert. Die IG Chemie hat erstmals im April 1987 dort Betriebsratswahlen veranlaßt. Sie hat im Betriebsrat selber auch keine Mehrheit. Da sind natürlich die gewerkschaftlichen Einwirkungsmöglichkeiten sehr gering. Obgleich wir natürlich dafür sind, daß Arbeitnehmer in den Betrieben, in denen solche Sachen passieren, sich auch dagegen engagieren.

Es gäbe doch so etwas wie eine politische Verantwortung der Gewerkschaften, solche Dinge öffentlich zu machen, wenn sie innerhalb ihres Organisationsbereichs darauf stoßen.

Das würden wir auch gerne tun. Diese Verantwortung haben wir, der wollen wir uns auch nicht entziehen. Im übrigen müßten die Arbeitgeberverbände diese Verantwortung auch haben. Wobei ich in diesem konkreten Fall auch festgestellt habe, daß Imhausen nicht im Arbeitgeberverband ist. Praktisch geht das nur dann, wenn wir in dem Betrieb erstens Mitglieder haben, die zu den sensiblen Informationen auch tatsächlich Zugang haben.

Der zweite Punkt ist: Arbeitnehmer haben ja kein Mitbestimmungsrecht darüber, was produziert wird, wie produziert wird und schon gar nicht darüber, wohin welche Sachen verkauft werden.

Und das dritte Problem: Wenn ein Arbeitnehmer in einer derartigen Sache eine besondere Verantwortung verspürt, seine Gewerkschaft mobilisert und es an die Öffentlichkeit bringt, dann wird dieses Mitglied wegen Verletzung der Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber fristlos entlassen. Das ist die Rechtsordnung in der Bundesrepublik.

Kann ein Arbeitnehmer, der den Mut hat, derartige Betriebsgeheimnisse an die Öffentlichkeit zu bringen, mit dem Rückhalt des DGB Rheinland-Pfalz rechnen? Also Rechtsschutz, Öffentlichkeitsarbeit usw.?

Selbstverständlich. Und nicht nur vom DGB in Rheinland -Pfalz. Ich gehe davon aus, daß ein solcher Arbeitnehmer überall in der Gewerkschaft mit diesem Rückhalt rechnen kann. Rechtsschutz sowieso, moralischen Rückhalt auch.

Aber unsere Rechtsordnung ist so, daß ihm selbst das nichts helfen würde. Der würde ein Betriebsgeheimnis verraten. Und selbst, wenn der Arbeitgeber sich krimineller Dinge schuldig macht, bleibt das trotzdem nach unserer Rechtsordnung eine Verletzung der Treuepflicht.

Kann man davon ausgehen, daß engagierte Gewerkschafter innerhalb der Betriebe Zugang zu den relevanten Informationen haben?

Davon kann man in den wenigsten Fällen ausgehen. Die Leute, die in solchen Bereichen arbeiten, wo man Zugang zu den Geheiminformationen hat, sind nur sehr selten Mitglieder von Gewerkschaften, und deren Loyalitätsverhältnis zur Firma ist meistens größer als die Loyalität zur Gewerkschaft oder zu einer gesellschaftlichen Verantwortung, die sie haben.

Interview: Martin Kempe

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