: AMERIKANER SIND FAIR
■ Klein sind die Pfeile der Indianer geworden - Doch es ziehen auch keine Büffel mehr über die Prärie. Amerika-Notizen
Tucson ist eine nette kleine Stadt zwischen Phoenix im Norden und der mexikanischen Grenze. Daß hier einige Pershing-II-Raketen zerstört worden sind, macht sie auch aus der Entfernung sympathisch. Das heiße und trockene Klima läßt den „Grand Canyon State Arizona“ für Lungenkranke und Penner interessant erscheinen. Viele kommen im Winter nach Tucson. Die Bombs wohnen auf dem Rasen, die Kranken werden betreut in Hospitälern, die wie Burgen der Walt-Disney-Welt aus den Ebenen vor der Stadt ragen.
Mein Hotel liegt wenige Schritte vom Bahnhof. Schiebefenster, Fliegengitter, einige Möbel in Art Deco. Die Bettdecke: ein Leintuch, darüber ist ein gröberes Gewebe gebreitet. Beides ist miteinander unter der Matratze festgestopft. Cowboy-Schlafkultur. Der Wilde Westen. In dieser Stadt war Matt Dillon Sheriff. An der Tür zum Badezimmer ist der Korkenzieher festgenietet. * * *
Sonntag. Blaßblauer Himmel. Schwache Bewegung der Luft. Hinter dem schmucken Post office findet ein Straßenlauf sein Ende. Der Bevölkerung ist anzusehen, daß sie fleißig die Kataloge der Warenhäuser wälzt. Auch die LäuferInnen sehen aus wie Schaufensterpuppen, die einer sterilen Dekoration entflohen sind. Inmitten der schwach begeisterten Menge taumeln mit Styroporköpfen Mickymaus und Schweinchen Schlau. Die müssen sich die Ohren unter dem Dämmstoff abschwitzen. Vom weißen Turm der Kirche, die ein maurischer Zuckerbäcker entworfen haben könnte, klingelt ein Glockenspiel mit den Volksliedern Europas: Ich weiß nicht, was soll es bedeuten... - gilt's den Touristen oder den Vorfahren? Die Häuser sind sämtlich von Grünflächen umgeben, nur wenige Gebäude der Innenstadt sind höher als zwei Etagen. Die Straßen sind blank gewaschen. An den grauen Müllcontainern warnt die Aufschrift: Not for mail. Aus dem Andenkenladen neben dem Congress-Hotel tönen Wiener Walzer. Ein Geschäft, das Waffen, Juwelen und Musikinstrumente verheißt, ist mit schweren Rollgittern gesichert.
Am Montag, nach einem Streifzug durch die Läden, versuche ich im Supermarkt ein paar Dosen des pladdrigen Budweiser zu kaufen. Darf aber nicht. Vor zwölf gibt es in Arizona keinen Alkohol. Ausnahme machen die Navajos, die sich in ihrer Stammkneipe diverse Cans in den Hals schütten. Der Schuppen ähnelt dem „Silbernen Mond“ am Münchener Ostbahnhof. Jedoch ist die Jukebox besser, und mit Foodstamps darf bezahlt werden. Billard wird gespielt, einige Jungs werfen auf die Dartscheibe. Ich mache Musik für einen Quarter. Auf dem langen Tresen liegen Dollarlappen. Bei seinem Eintritt erwerbe der Trunksüchtige einen Sixerpack. So wird es bedeutend billiger, als einzelne Biere zu ordern. Rotbraune Dosen glänzen im Eis der gläsernen Kühlvitrine. Die fröhlich geschminkte Dame hinter dem Tresen lächelt unter ihrem lachsroten Toupet. Die Indianer lotsen mich an die Dartscheibe, doch ich kenne die komplizierten Regeln des Spieles nicht. So werden mir die Stellen, auf die ich zielen muß, exakt bezeichnet. Klein sind die Pfeile der Indianer geworden. Jedoch ziehen auch keine Büffel mehr über die Prärie. * * *
Alex ist in Rumänien geboren. Klara stammt aus Venedig. Als Einwanderer geben sie sich besonders amerikanisch. Fivehoundert horse-powers, sagt Alex und meint das Cadillac -Coupe, das wie ein angelutschtes Himbeerbonbon glänzt. In einem Vorort von Phoenix, in Glendale, haben die beiden Land gekauft und darauf ein riesiges Fertighaus stellen lassen. Es ist beeindruckend. Niemand sonst, den ich kenne, besitzt fünf Telefone. Eine Mauer läuft um das Grundstück, nicht sehr hoch, aber massiv. Zitronenbäume im Garten, auch Küchenkräuter, Tulpen und Kakteen. Kürzlich hat Alex eine Wand des Hauses ausgesägt und noch einen Raum angebaut. Das ist relativ einfach, denn das Haus besteht aus Leichtmetall und Plastik. Die Möbel sind zum größeren Teil ebenfalls aus Kunststoff. Selbst die Badewannen.
Ich kriege ein Gästezimmer. Davon gibt es noch zwei weitere, seit die beiden Töchter verheiratet sind. Der Blick geht über die von mächtigen Kakteen und Olivensträuchern überwachsene Landschaft. Infolge veränderter Temperatur zieht sich das Haus nachts knisternd zusammen.
Alex und Klara betreiben einen Genitorial-Service, ein Reinigungsunternehmen. Sie haben einen Vertrag mit Rio Verde, der Privatstadt, etwa sechzig Meilen außerhalb von Phoenix. Hier darf ein Haus bauen, wer älter als vierzig ist und weiß, keine Haustiere hält, keine Kinder mitbringt und hauptsächlich am Golfspiel Interesse hat. Die Stadt ist umzäunt und von schwarz gekleideten Privatpolizisten bewacht. Rechtsanwälte, Makler und Ärzte - meist von der Ostküste - verbringen hier den Winter. Die luxuriösen Bungalows sind ausschließlich Zweitwohnsitze. Hier leben genau die Leute, die auch eine Parzelle auf dem Mond haben wollten, wenn es möglich wäre. Vorerst begnügen sie sich mit dem Erdenbesitz.
Keine Gärten, keine Bäume sieht man in der Stadt. Jedes Fleckchen Boden wurde mit Säure begossen, clean gemacht. Dann belegte man die Areale mit Planen, die wiederum mit weißen Steinen bedeckt wur den. Niemals wird da irgendetwas wieder wachsen. Elektromobile schnurren über den frischen Asphalt die sanften Hügel hinab zum Flußufer, an die sich die sattgrünen Golfplätze schmiegen.
Alex steuert den einen, Klara den anderen Lieferwagen. Klara hat vom Manager die Schlüssel geholt und die Liste jener Leute, die abgereist sind oder demnächst kommen werden. Das Haus eines pensionierten Generals, der bald eintreffen wird, hat schon die Flagge aufgezogen. Nebenan wohnen Jane Fondas freundliche Tanten. Ein älterer Herr mit sehnigen Waden und hart von der Sonne gezeichneten Runzeln im Gesicht probt Golfschläge vor seinem Bungalow. Er wird nicht müde, den imaginären Ball in den Himmel zu schlagen.
Lisha, Tess und Ann sind ein gut eingespieltes Team. Bis auf die Sekunde haben sie die Arbeit aufeinander abgestimmt. Lüften, Putzen, Staubsaugen, Bettenmachen, Geschirrspülen ab ins nächste Haus. Die Mädchen verdienen nicht schlecht. Doch sie sind nicht versichert, und wenn sie arbeitslos werden, gibt es keinen Cent. * * *
Teresa will ein Wasserbett kaufen, und sie bittet mich, beim Transport behilflich zu sein. Sie verfügt über keine Kreditkarte, und so fahren wir zuerst zur Bank. Nicht nötig, dort auszusteigen. Wir halten an einer Art Geldzapfsäule, der ein Kameraauge aufsitzt. Der Gehaltsscheck wird in einen Zylinder getan und donnert per Rohrpost in den Bankbunker. Auf dem Monitor lächelt die Kassiererin. Nach wenigen Minuten pufft die Geldbombe zurück, bringt Dollars und Cents. * * *
Einladung zu einer Party. Mein alter Barracuda, dessen Kühler eingedellt ist und den ich in Rio Verde deshalb mit der Schnauze zur Wand parken mußte, böllert in Richtung Prescott. Wir fahren etwa eine Stunde. Zuerst hole ich Teresa aus der West-Thunderbird-Road, dann Marsha, deren Mann als Trucker auf Tour ist. Marshas Haus ist eingerichtet, als käme jeden Moment der Modefotograf. Nein, so sehe es immer aus, sagt sie, als ich sie frage, ob heute ein besonderer Tag sei. Illustrierte liegen nach Farben geordnet und symmetrisch gefächert neben dem Obstkorb mit Früchten aus unverderblichem Plastikfleisch. Marsha scheint froh, ihrem Kästchen mal zu entrinnen. Sie fragt mich, ob London oder Paris die Hauptstadt Europas sei. Auch Teresa weiß nicht Bescheid. Deutschland ist hier nicht wichtig. Hitler und das Oktoberfest fallen ihnen ein zu dem Thema. Lieber erzählt Marsha von der Valley-National-Bank, die jedem jungen Paar einen großzügigen Kredit einräumt zur Finanzierung des Grundbesitzes und eines Hauses. Die Sache hat den Haken, daß das glückliche Paar hinfort alles hat außer das nötige Kleingeld für Konzertkarten oder eine Handvoll leckeres Gras. Und die Zinsbelastung ist hoch. Der Lohn wandert automatisch an die Bank, und die gibt Kreditkarten, welche nur für bestimmte Läden in einem begrenzten Gebiet gültig sind. * * *
Dutzende Gäste sind vor uns eingetroffen. Dürre Hunde hecheln mit langen Zungen. Kinder paddeln im Pool. Im Haus brummt die Klimaanlage. Die mitgebrachten Getränke werden in den Kühlschrank geschoben, in dem sich gut ein Elefant verstecken ließe. Es herrscht große Freude über unsere Ankunft. Alle Leute laden einander zu Besuchen ein. Das darf man so ernst nicht nehmen.
Abends joggen einige Schwarze auf der Straße vorbei. Die Kinder springen an den Zaun und äffen sie nach. Der Vater freut sich und lacht. Das verdirbt mir die Stimmung und ich habe keinen Anlaß, das zu verbergen. Natürlich bin ich Ausländer und überhaupt nicht kompetent in der Rassenfrage. Nein, er sei wie alle anderen Leute, die er kenne, versichert mir der Gastgeber, und er reicht den Joint weiter. Er lese regelmäßig Reader's Digest und kenne die Welt also nicht bloß aus der Glotze. Afrikaner jedoch gehörten nach Afrika, das könne man schon an deren Hautfarbe erkennen. Ebenso gehörten die Mexikaner nach Mexiko und die Indianer in die Reservate. Schließlich seien das Selbstverständlichkeiten, und man wolle auch die Angelegenheit anders regeln als damals die Deutschen...
Amerikaner sind fair. Man trägt mir nichts nach und respektiert auch meinen frühen Aufbruch. Die Nacht bleibe ich bei Teresa, und die leisen Bubbles, das schläfrige Geschwätz des Wasserbettes versöhnt mich mit einem amerikanischen Traum.
Norbert Jeschke
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