: Die „große Koalition der Rentenreformer“
Verhandlungen zwischen den Bonner Altparteien zielen auf Gemeinsamkeit bei der Sanierung des bestehenden Rentensystems / An der beitragsbezogenen Rentenversicherung soll offensichtlich nicht gerüttelt werden / CDU-Reformer und Grüne ausgegrenzt ■ Von Martin Kempe
Berlin (taz) - Die „große Koalition“ der Sozialpolitiker von Regierungskoalition und SPD funktionierte am Donnerstagabend schon wie geschmiert. Als die Unterhändler nach zwei Verhandlungstagen ihre Papiere zusammenpackten, waren sie sich einig, nichts über die Substanz der Gespräche bekanntzugeben. Lediglich die Fortsetzung der Verhandlungen über einen gemeinsamen Entwurf zur Rentenreform wollten die Unterhändler von CDU/CSU, FDP und SPD für Ende nächster Woche ankündigen. Ansonsten sollen in der kommenden Woche erst einmal die Fraktionen darüber informiert werden.
Die politische Basis der sich abzeichnenden sozialpolitischen „großen Koalition“ ist die Einigkeit darüber, an den grundsätzlichen Strukturen des sozialen Sicherungssystems der Bundesrepublik nichts zu ändern. Die Krise des Rentensystems soll durch Reform des Bestehenden bewältigt werden. Vor allem an der beitragsbezogenen Rentenversicherung soll nicht gerüttelt werden und damit auch nicht an der Koppelung der Alterssicherung an die Erwerbsarbeit: Auch im Alter werden die Reichen reich und die Armen arm bleiben.
Voraussetzung dieser Einigkeit zwischen den Bonner Traditionsparteien ist die Ausgrenzung von Minderheiten. Im Lager der Koalition hatten der CDU-Reformer Biedenkopf und der ehemalige FDP-Vorsitzende und Wirtschaftsminister Bangemann Grundrentenmodelle befürwortet, die eine Mindestsicherung auf Sozialhilfeniveau mit der Möglichkeit zu freiwilliger Höherversicherung kombinierten. Im Herbst punktete Bundesarbeitsminister Norbert Blüm diese Widersacher aus und legte die Unionsfraktion auf sein betragsbezogenes (regierungsamtlich: „leistungsbezogenes“) Reformpaket fest.
Die Grünen fordern eine allgemeine Grundrente von (nach derzeitigem Preisniveau) 1.000 Mark mit darüberhinausgehender Pflichtversicherung, was zu einem Mindestniveau von etwa 1.200 Mark führen würde. Dieses Modell würde im Gegensatz zu den von Regierung und SPD favorisierten Reformvorhaben den Aufwand für die Alterssicherung sprunghaft steigern und wäre nur mit einer Umschichtung des Bundeshaushalts zugunsten der Sozialausgaben finanzierbar. Die Grünen sind als einzige Bundestagsfraktion an den Gesprächen nicht beteiligt und werfen der SPD vor, sich als „Hilfsarbeiter im Blüm'schen Reparaturbetrieb“ zu betätigen.
Grundlage der laufenden Verhandlungen in Blüms Ministerium ist ein Entwurf, den der Arbeitsminister Mitte November vorgelegt hat. Darin ist eine schrittweise Abschaffung der vorgezogenen Altersgrenze und die stufenweise Anhebung der Regelaltersgrenze bei Frauen auf 65 Jahre vorgesehen. Die jährliche Anpassung der Rentenbezüge soll sich nicht mehr an der Entwicklung der Brutto-, sondern der Nettolöhne orientieren. Die Beiträge zur Rentenversicherung sollen von derzeit 18,7 Prozent auf 20 Prozent im Jahr 2000 steigen. Der Bundeszuschuß soll in Zukunft entsprechend der Beitragssteigerung von derzeit 17,5 auf 18,5 Prozent steigen. Auf diese Weise sollen die Belastungen gleichmäßig auf Beitragszahler, Rentner und Staat verteilt werden. Zusätzlich erkennt Blüm die Forderung an, die priveligierte Alterssicherung der Beamten an die der übrigen Bevölkerung anzugleichen („Harmonisierung“).
Die SPD fordert dagegen eine stärkere und frühere Erhöhung des Bundeszuschusses und einen „konkreten Einstieg“ in die „Harmonisierung“ der Altersicherung, die zu einer Entlastung des Bundeshaushalts führen würde. Dagegen will sie wegen der nach wie vor prekären Massenarbeitslosigkeit mit der Heraufsetzung des Rentenalters länger warten als im Blüm -Entwurf vorgesehen. Sie strebt eine höhere Mindestsicherung an, um vor allem jene Menschen vor Alterselend zu schützen, die über lange Jahre in ungesicherten Beschäftigungsverhältnissen verbracht haben.
Umstritten ist in den Verhandlungen noch, inwieweit beitragsfreie Zeiten für Ausbildung und Kindererziehung bei der Rentenzumessung angerechnet werden. Betroffen sind davon vor allem die Frauen, für die zwar bei den Kindererziehungszeiten Verbesserungen geplant sind. CDU -Frauen und SPD aber fordern zusätzlich die Anerkennung der ersten vier Berufsbildungsjahre. Bis Februar soll der endgültige Entwurf vorliegen.
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