: In Niedersachsen wird vereinzelt protestiert
■ StudentInnen protestierten bereits 1987 gegen Hochschulpolitik des Landes / Jetzt ist die „Luft einfach raus“, meint eine Asta-Sprecherin
Hannover (taz) - „Mit UNiMUT gegen Rächz - Grüße nach Berlin“ steht auf dem großen Transparent, hinter dem sich 500 GeschichtsstudentInnen der Uni Hannover zur öffentlichen Vorlesung im Zentrum der Landeshauptstadt versammelt haben. Professor Carl-Hans Hautmeyer liest über hannoversche Stadtgeschichte: wie die Förderung der Wissenschaften durch den Landesherren im 17. und 18.Jahrhundert den Sprung von der kleinen Residenz- zur Industriestadt Hannover vorbereitete. Nur einige der StudentInnen haben Stühle mitgebracht, die übrigen stehen dicht gedrängt im „öffentlichen Hörsaal“. Anschließend ziehen die hannoverschen Historiker zum Wissenschaftsministerium, fordern dort unter anderem die Wiederbesetzung einer seit Jahren vakanten Professur zum Mittelalter und blockieren dort erst einmal den Straßenbahnverkehr. „Fünf Seminarräume und ein Hörsaal für 1.300 Studenten“, heißt es auf dem Flugblatt, das sie verteilen. Die Zahl der GeschichtsstudentInnen an der Universität Hannover hat sich in den letzten Jahren verdoppelt, die Zahl der Lehrkräfte dagegen wurde um mehr als ein Viertel auf nunmehr 17 reduziert. An keiner Schule gibt es derart wenig Lehrer.
Die Protestaktion am vergangenen Mittwoch und ihr Anlaß sind typisch für die gegenwärtige Situation an den niedersächsischen Hochschulen. Im Albrecht-Land sind die StudentInnen nicht nur die Leidtragenden der allgemeinen Hochschul-Misere. Der Hochschulminister versucht ganz ungeniert, über die Verschlechterung der Studienbedingungen an einer Vielzahl von Fachbereichen „Studentenströme zu lenken“, und tritt so das Grundrecht auf Bildung gerade der Geisteswissenschaftlichen StudentInnen mit Füßen. Dagegen flammt in den vergangenen Wochen an einzelnen Hochschulen und Fachbereichen immer wieder Prostest auf, ohne daß sich die Aktionen bisher zu einem landesweiten oder auch nur zu einem Streik ganzer Hochschulen ausweiten konnten.
Vierhunderfacher „UNiMut gegen Rächz“ bereitete ein Beispiel in Hannover schon vor zehn Tagen einer RCDS -Veranstaltung mit Niedersachsen Finanzministerin Birgit Reuel ein schnelles Ende. Obst und Tomaten und schließlich Stinkbomben kamen zum Einsatz. Drei Tage später verhinderten 1.000 Studenten der Uni-Göttingen eine RCDS-Veranstaltung mit Bundesumweltminister Klaus Töpfer durch Schallemissionen. Als erstes gestreikt, und zwar gleich vierzehn Tage lang, hatte in Niedersachsen schon zum Jahreswechsel der Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Braunschweig-Wolfenbüttel. Vor vierzehn Tagen begannen dann die Streiks an der Universität Hannover, an denen sich insgesamt acht Fachbereiche auf unterschiedliche Weise beteiligten. Die Streiks begannen bei den ArchitektInnen, GartenbauerInnen und LandespflegerInnen, die MathematikerInnen und PhysikerInnen etwa führten nur einen zwei Tage befristeten Ausstand durch, bei den RomanistInnen und beim Fachbereich Erziehungswissenschaften dauern die Aktionen noch an. Zum Aktionstag am letzten Mittwoch gab es auch Demonstrationen in Osnabrück und Oldenburg. StudentInnen der Hochschule Lüneburg besetzten am gleichen Tag ihre Biliothek und campierten aus Protest gegen die Wohnungsnot in Zelten auf dem Markt der Stadt.
Mit der Situation in Berlin oder Süddeutschland kann sich der niedersächsische Studentenprotest im laufenden Semester natürlich bisher nicht vergleichen. Vor eineinhalb Jahren im Sommersemester 1987 dagegen waren es allein Studierende der niedersächsischen Hochschulen gewesen, die zu Zigtausenden gegen die Sparpolitik ihrer Landesregierung auf die Straße gegangen waren. Seither „war die Luft einfach raus“, wie es eine Sprecherin des Asta der Uni Osnabrück ausdrückt. Die niedersächsische Landesregierung aber ist inzwischen dabei, alle Zugeständnisse wieder zurückzunehmen, die sie beim Studentenprotests im Jahre 1987 machen mußte.
Die Novelle des niedersächsischen Hochschulgesetzes, die im März vom Landtag verabschiedet werden soll, sieht wiederum die Zwangsexmatrikulation bei Überschreiten der doppelten Regelstudienzeit vor. Auf dem Höhepunkt der vergangenen Studentenproteste hatte Wissenschaftsminister Cassens noch vor 4.000 Studenten versprochen, daß der entsprechnde Paragraph gestrichen werde. Die Studiengebühren für LangzeitstudentInnen - der wichtigste Punkt des Protestes vor eineinhalb Jahren - werden nun durch die Hintertür über die erhöhten Krankenkassenbeiträge eingeführt und auch die Einsparung von 371 Stellen an den Hochschulen ist nicht vom Tisch. Auf sie hat das Wissenschaftsministerum auch angesichts der weiter steigenden Studentenzahlen nur scheinbar verzichtet: Den Hochschulen wurde im Endeffekt lediglich freigestellt, anstatt beim Personal die gleiche Summe auch anderweitig einzusparen.
Gleich zwei Vollversammlungen mit jeweils über 1.000 KommilitonInnen haben sich am vergangenen Donnerstag mit den Folgen dieser Sparpoltik befaßt. Die VV an der Technischen Universität Braunschweig, verabschiedete unter dem Titel „Für eine neue Universität“ den Entwurf eines 17 Punkte umfassenden Forderungskataloges, wobei die „Bereitstellung einer angemessenen räumlichen, personellen und sachlichen Ausstattung“ an erster Stelle steht. In Braunschweig soll nun erst einmal die Diskussion in den Fachschaften beginnen. Weiter war da schon die VV an der Uni Hannover, die Zwangsexmatrikulation, die Stellenstreichungen und die Rücknahmen der geplanten Schließungen ganzer Fachrichtungen zum Inhalt eines bis Donnerstag befristeten Ultimatums machte.
Jürgen Voges
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