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Techtelmechtel oder Landfriedensbruch

■ Polizei-Einsatz bei Anti-DVU-Demonstration umstritten / SPD Unterbezirk Ost verurteilt Massenverhaftungen „auf Schärfste“ / GDP-Vorsitzender Schulz: Alles recht- und verhältnismäßig

Ein „polizeiliches Einsatzkon zept, das dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit strengstens Rechnung trägt“, hat der SPD -Unterbezirk Bremen Ost am Dienstag, drei Tage nach den Neustädter Festnahmen von 28 Demonstranten gegen die rechtsradikale DVU, gefordert. Gleichzeitig verurteilten die Genossen die Polizeistrategie vom letzten Sonntag „aufs schärfste“. Bei dem Einsatz hatte die Polizei

über die Hälfte der Demonstran ten festgenommen und anschließend mehrere Stunden in einer Massenzelle festgehalten.

In ihrer nächsten Sitzung wird sich auch die Bürgerschaft mit den Massenverhaftungen befassen. Der grüne Abgeordnete Martin Thomas beantragte eine aktuelle Stunde über die „wahllose Festnahme von Anti-DVU-Demonstranten.“

Von „wahllosen Festnahmen“

kann allerdings nach Überzeugung des Chefs der Bremer Schutzpolizei, Albert Lohse, keine Rede sein. Für Lohse haben die Demonstranten gezielt ein „moderates Einsatzkonzept“ der Polizei unterlaufen, um die Abfahrt der DVU-Busse zu verhindern, und - nachdem dies mißlungen sei einen „eindeutig identifizierten und festgenommenen“ Gewalttäter zu befreien versucht.

Bei dem angeblichen Gewalttäter handelt es sich um den Werfer eines Farbbeutels. Eindeutig identifiziert wurde er gegenüber den verspätet eintreffenden Polizeibeamten von DVU -Anhängern. Der Befreiuungsversuch bestand nach Augenzeugenberichten darin, daß mehrere Demonstranten vor einem Streifenwagen die Freilassung des Inhaftierten forderten. Ein Demonstrant sprühte einem Beamten dabei Tränengas ins Gesicht. Er entkam. Aus „reinem Feststellungsinterese“ (Lohse) nahm die Polizei 28 andere fest.

Gegenüber der taz bezeichntete Lohse die Auseinandersetzung um den Streifenwagen gestern als „Techtelmechtel“, gegenüber der Staatsanwaltschaft wertete die Einsatzleitung dieses „Techtelmechtel“ allerdings als „Verdacht des schweren Landfriedensbruchs“. Strafandrohung: Zwischen sechs Monaten und 10 Jahren. Eine Gegenüber wievielen der Streifenwagen -Umstehenden dieser Tatverdacht begründet ist, wollte der Bremer Schupo-Chef gestern nicht entscheiden. „Das überlasse ich Staatsanwaltschaft und Gericht.“ Konkrete Indizien besitzt die Polizei laut Lohse Gegenüber drei oder vier Demonstranten, bei de

nen nachträglich „waffenähn liche Geräte“ gefunden worden seien.

Von der absoluten Recht- und Verhältnismäßigkeit des Einsatzes ist auch der Bremer Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Hans Schulz, überzeugt. Schulz, dienstlich direkter Vorgesetzter des verantwortlichen Einsatzleiters und selbst bei NPD-Wahlkämpfen demonstrations-einsatz -erprobt, wies gestern die Kritik des SPD -Bundestagsabgeordneten und SPD-Vorstandskandidaten Ernst Waltemathe als „schädliche Entgleisung“ zurück und äußerte Zweifel, ob ein Mann als SPD-Landesvorsitzender geignet sei, der sich für Personen einsetze, die im dringenden Verdacht stehen, einen schweren Landfriedensbruch begangen zu haben. Schulz Empfehlung an Waltemathe: Sich künftig auf die Sachkompetenz von Polizisten verlasen, die ihre politische Heimat in der SPD haben statt auf „emotionalisierte Informationen“ einer Mitarbeiterin.

Bei dem verhafteten Farbbeutelwerfer habe es sich schließlich „um einen ständig gewaltbereiten Rädelsführer“ gehandelt, der Polizeibeamte seit Jahren provoziere und diffamiere.

K.S.

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