: Abbild und Urbild
■ Nam June Paiks Videoinstallation „Eine Kerze“
In der kleinen Frankfurter Kunsthalle „Portikus“ ist seit kurzem die Videoinstallation „Eine Kerze“ von dem koreanischen Künstler Nam June Paik zu sehen. Paik stammt aus der Fluxus-Bewegung und ist inzwischen ein erfahrener Video-Spezialist; auf der letzten Documenta zeigte er die aus 50 Monitoren und fünf Projektoren bestehende Videoskulptur „Beuys‘ Voice“. Er hat zwei internationale Fernsehübertragungen durchführen können, „Good morning Mister Orwell“, 1984, und „Wrap around the World“, 1988, vor der Eröffnung der Olympischen Sommerspiele in Seoul. Paik hat „Eine Kerze“ speziell für die Ausstellung im Portikus konzipiert; die Installation soll jedoch später übergehen in die Bestände des noch im Bau befindlichen Frankfurter Museums für Moderne Kunst.
Der Portikus ist ein fünfzehn Meter langer und siebeneinhalb Meter breiter Raum. Vor die dem Eingang gegenüberliegende Rückwand stellte Paik eine brennende Kerze. Der Raum ist abgedunkelt. Die Flamme der Kerze wird von einer Videokamera aufgenommen und simultan von mehreren Projektoren direkt an die Wände projiziert. Das Kerzenlicht ist in der Projektion nicht naturalistisch wiedergegeben. Die das Videobild konstituierenden Farben blau-grün-rot bleiben vielmehr so weit gegeneinander verschoben, daß sich keine vollkommene Farbsynthese herstellen kann. Die Größe der Abbildung variiert. Vom Eingang aus betrachtet sind an der linken Wand zwei Flammen zu sehen, eine grüne und eine blau-rot überlagerte lilafarbene. An der Rückwand hinter der realen Kerze erscheinen unten eine blaue und eine grüne Flamme, das Rot ist abgedeckt und weiter oben Flammen in den Tönen rot, blau und gelblich, daneben ist der schemenhafte Schatten einer Projektion aus weiter Distanz zu erahnen. Die rechte Wand hat eine grüne und eine blaue Flamme, dazu liegt schräg eine gelbliche. Dreht man sich um, dann taucht links von der Eingangstüre eine kleine, unscharfe, gelbgrüne Flamme auf und rechts oben eine kleine rote.
Die unregelmäßigen Bewegungen der realen Flamme werden in natürlicher Entsprechung auf die Ebene der Projektion übertragen, so daß ein rhythmischer Gleichklang zwischen Abbild und Urbild entsteht. Im Falle der Farbe dagegen ist der mediale Transformationsprozeß hin zum Videobild offenbar gemacht, indem die Überlagerung der isolierten farbigen Schemen verhindert wird.
Paik erzählt in seinem Werk von der Funktionsweise des technischen Mediums. Trotzdem degradiert er „Die Kerze“ nicht zum bloßen Demonstrationsobjekt. Sie hat Teil an der ästhetischen Gesamtwirkung der Installation durch die natürliche Bewegungsempfindlichkeit der Flamme und deren organischem Licht, welches die Opposition eröffnet zu den artifiziellen Farbeffekten der Projektion. Der Betrachter, der die einzelnen Kompositionselemente der Videoprojektion simultan erlebt, erfährt deren übergeordnete, sinnliche Synthese: ein ruhiges Einwirken auf die Phantasie.
Petra Leutner
Eine Kerze, Videoinstallation von Nam June Paik, Portikus in Frankfurt, bis 12.März 1989; der Katalog kostet 15 DM.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen