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Nagy erhält „ehrenhafte Beisetzung“

■ Tochter des 1958 hingerichteten ehemaligen ungarischen Ministerpräsidenten trat erstmals im Fernsehen auf / De-facto-Rehabilitierung für ihren Vater? / Aufstand von 1956 kein Tabu mehr

Budapest (afp) - Die Tochter des ehemaligen ungarischen Ministerpräsidenten Imre Nagy, der nach der Niederschlagung des Ungarn-Aufstands 1958 hingerichtet worden war, hat sich erstmals in den ungarischen Medien zu der geplanten Verlegung der sterblichen Überreste ihres Vaters geäußert. Das etwa zehnminütige Interview mit Erszebet Nagy-Veszi, das das ungarische Fernsehen am Sonntag abend ausstrahlte, war Teil einer Sendung über den Aufstand der Ungarn 1956, den damaligen Regierungschef Imre Nagy und seinen Tod. Erstmals berichtete damit das Fernsehen in dieser Länge - rund 30 Minuten - über ein Thema, das bisher in Ungarn tabu gewesen war. Beobachter wiesen jedoch darauf hin, daß sich die ungarische Staats- und Parteiführung seit einer Woche mit der Frage beschäftigt, welche Bedeutung dem Aufstand beigemessen werden soll. Am Freitag wird das ZK der ungarischen KP zu einer Sondersitzung über dieses Thema zusammenkommen.

Die ungarischen Fernsehzuschauer erfuhren von Frau Nagy -Veszi, sie wünsche, daß ihr Vater und seine vier Weggefährten, die mit ihm hingerichtet worden oder kurz vor der Hinrichtung im Gefängnis gestorben waren, zusammen beigesetzt würden. Noch liegen sie in einem Massengrab des Budapester Zentralfriedhofes.

Der ungarische Staatssekretär im Justizministerium, Gyula Borics, teilte in derselben Sendung am Sonntag mit, daß der ehemalige Ministerpäsident und die vier anderen Politiker eine „ehrenhafte Beisetzung“ haben werden, die die Regierung organisiert. Die Exhumierung solle am 13. und 14.Februar mit den Hinterbliebenen besprochen werden. Beobachter wiesen darauf hin, daß die ungarischen Behörden bis zu diesem Zeitpunkt niemals auf Fragen der Angehörigen zu dem Ablauf und den Umständen des Prozesses, den Tod und die Hinrichtung eingegangen seien.

Erstmals wurden in der Fernsehsendung auch die Todesdaten der beiden Weggefährten von Imre Nagy bekanntgegeben, die vor seiner Hinrichtung in der Zelle zu Tode kamen. Der Staatsminister in der Regierung Nagy, Geza Losonczi, starb am 25.Dezember 1957 und Nagys Berater Jozsef Szilagyi am 24.April 1958, während die Hinrichtung des Ministerpräsidenten auf den 16.Juni 1958 fiel.

Nach der Niederschlagung des Aufstands durch die sowjetischen Panzer am 4.November 1956 hatten sich Imre Nagy und seine Leute in die jugoslawische Botschaft in Budapest geflüchtet. Von dort wurden sie am 22.November 1956 nach Rumänien verschleppt und Ende 1957 in das Hauptgefängnis von Budapest verlegt. Im Juni 1958 wurden sie wegen „Hochverrats und Verschwörung“ zum Tode verurteilt.

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