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Wilde Rose, du bist unerreichbar

■ Sowjetische Rockgruppen auf Tournee durch die BRD

Viele beneideten Alexander Skljar um seine Arbeit als Diplomat in der sowjetischen Botschaft in Nordkorea. Er konnte reisen und verdiente gut. Eines Tages schmiß er seinen Job, kaufte sich vom Ersparten eine elektrische Gitarre und wurde Rockmusiker.

Nachdem er erste Erfahrungen in der Gruppe „Zentrum“ gesammelt hatte, gründete Skljar 1986 „Va-Bank“. Die Band trat auf Rockfestivals in Moskau auf; später auch in anderen Städten der UdSSR. Im Sommer '88 folgte sie Einladungen nach Norwegen und Finnland. In Helsinki wurde die erste LP aufgenommen.

„Punk auf der Basis von Rhythm'n Blues“, nennt „Va-Bank“ ihren Stil. „Alles eigene Kompositionen und eigene Texte“. Russische Texte. Worum es geht, ist nur den Übersetzungen ausgewählter Stücke zu entnehmen, die den Presseunterlagen beigefügt sind.

„Ich möchte mal auf Kuba sein. / Ich möchte Fidel die Hand drücken. / Ich möchte ihm sagen, daß wir zusammengehören. / Ich möchte ihm sagen, daß wir Brüder sind.“

„Va-Bank“ will „niemanden kopieren“. Obwohl es natürlich Gruppen gibt, westliche wie östliche, an denen man sich orientiert. Die „Dead Kennedys“ zum Beispiel, „Einstürzende Neubauten“ oder „Ideal“.

Letzten Donnerstag bestritt „Va-Bank“ in Göttingen den Auftakt der Tournee „Sowjet-Rock“. Insgesamt vier Bands aus der UdSSR sind zur Zeit in Norddeutschland unterwegs.

Mit von der Eröffnungspartie: „Zvuki-Mu“, ebenfalls aus Moskau. Ihre Musik, nicht ohne weiteres einer bestimmten Richtung zuzuordnen, ist weicher und komplizierter, der Rhythmus nicht so eingängig wie der hämmernde Punk von „Va -Bank“.

Optisch mehr noch als akustisch ist der Aufttritt auf Pjotr Mamonow zugeschnitten, den Gründer, Sänger und Gitarristen. Die Instrumente untermalen häufig nur die pantomimischen und schauspielerischen Darbietungen des Frontmannes; die durchdringende, wimmernde Stimme widmet sich vor allem Alltagsthemen und -helden.

„Eine enge Kreuzung, das alte Moskau. / Weiße Handschuhe und Trauer in den Augen. / Rote Straßenbahnen, blaue Mäntel. / Niemand liebt dich, und niemand wartet auf dich. / Geh nach Hause, Posten.“

„Va-Bank“ und „Zvuki-Mu“ sind Mitglieder im Moskauer Rock -Laboratorium. Die 1985 ins Leben gerufene Selbsthilfevereinigung - in anderen Großstädten gibt es mittlerweile ähnliche Einrichtungen - nimmt die Interessen von über zweihundert angeschlossenen Bands wahr. Das Rock -Laboratorium organisiert Auftritte, vermittelt Übungsräume, hilft bei der Produktion von Kassetten und Platten.

All diese Gruppen, die sich abseits und zum Teil in bewußter Abgrenzung vom offiziellen, staatlich kontrollierten Musikgeschehen entwickelt haben und bis vor wenigen Jahren noch im kulturellen Untergrund aktiv waren, haben sich mittlerweile einen „halboffiziellen“ Status und damit neue Freiräume erkämpft. Das bedeutet: keine Förderung, aber auch keine Bevormundung durch staatliche Agenturen. Texte werden keiner Behörde zur Genehmigung vorgelegt; Tabuthemen sind lediglich Gewalt und Pornographie. Das bedeutet aber auch: durchbrechen des Ausreise- und Auslandsauftritt-Monopols der offiziellen, durch den sowjetischen Kunstrat „anerkannten“ Rockbands.

Zu diesen zählen Katja Surschikowa und ihre Begleitband „Perpetuum Mobile“. Nach etwas peinlicher Einleitung - „Do you want Glasnost? Do you want Perestroika? - rockt die Gruppe zu Beginn des Konzertabends gut los; schon nach den ersten drei Instrumentalstücken kommt Stimmung auf in der nüchternen und für Musikveranstaltungen eigentlich wenig geeigneten Mensa der Göttinger Uni. Dann, begleitet von zwei wie Brockenhexen auf Besen hereinreitenden Tänzerinnen, Katja Surschikowa. Ihre klare, etwas grelle Stimme erinnert an die alte Nina Hagen; die Musik von „Perpetuum Mobile“ erinnert an die alten „BAP„; die Texte, wiederum leider nur Journalisten und den mit einem Backstage-Paß ausgestatteten Konzerthelfern zugänglich, erinnern an altrussische Gedichtromantik.

„Wilde Rose, dunkle Heckenrose, / Geheimnisvolles und rötliches Feuer. / Man kann sie nicht pflücken, und wenn man sie berührt, / Dann wird die Hand verletzt. / Wilde Rose, du bist unerreichbar...“

Der zweite Teil des Auftritts fällt ab. Der anfangs fetzige Rock gleitet über in seichten Pop. Extravagante Kostüme kaschieren kaum choreographische Schwächen der Tänzerinnen.

Katja Surschikowa, die schon in der DDR, Rumänien, Ungarn und Kuba auftrat und Preise einheimste, ist dennoch der Medienstar des „Sowjet-Rock„-Ensembles.

Allerdings verdient sie an der Tournee nicht mehr als die anderen; denn Gagen gibt es nicht, nur ein kleines Tagegeld.

„Natürlich“, sagt Horst Dietrich von der Hamburger „Fabrik“, Cheforganisator des ganzen Spektakels, „übernehmen wir Flug, Unterbringung, Transportkosten usw.“. „Wir“, das sind der Christliche Verein junger Menschen (CVJM), seit längerem in Sachen (west)deutsch-(sowjet)russischer Kulturaustausch aktiv und Wegbereiter der „Sowjet-Rock„ -Tournee; zweitens die „Fabrik“, die für eine Festsumme von der CVJM die Rechte zur Organisation und Ausgestaltung der Konzerte erworben hat; und schließlich die örtlichen Veranstalter, kommunale oder private, die ihrerseits eine Fixgage sowie bestimmte Umsatzprozente an die „Fabrik“ abführen müssen. Um Profite, so wird allerseits versichert, gehe es bei „Sowjet-Rock“ ohnehin nicht. Völkerfreundschaft und Kulturaustausch - „Volksdiplomatie“ nannte es der sowjetische Delegationsleiter Alexei Ryazantsew beim Empfang durch den Göttinger Oberbürgermeister - stünden im Vordergrund. Und die Vermittlung von Einblicken in die „buntschillernde Rockszene in der Sowjetunion“.

Einen Teil dieser Szene repräsentiert die Leningrader Gruppe „Auktion“, die den zweiten Abend mit einem eindrucksvollen Auftritt beschließt: Vier, sechs, acht... immer mehr Männer sammeln sich, geschminkt und verkleidet, begleitet von dumpfen Conga- und schrillen Saxophonklängen, zum Finale einer ekstatisch wilden Mischung aus Theater und Bühnenshow, psychedelischem Rock und weinendem Gesang.

„Man muß uns nicht wecken, wir schlafen nicht. / Wir haben gemeinsame Ansichten, unsere eigene Ordnung. / Würden gern glauben, daß es für immer ist. / Und darin liegt das ganze Elend.“

Raimer Paul

Sowjet-Rock ist noch am 8.2. in Glücksburg, am 9. und 10.2. in Hamburg (Fabrik) und ebenfalls am 10.2. in Kiel zu sehen und zu hören.

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