: Der Arm der Verfolger reicht bis nach Berlin
■ Asylsuchende Oromos sind vor Nachstellungen aus Äthiopien nie sicher / Oromo-Zentrum von Diplomaten bespitzelt / Obwohl den Flüchtlingen bei Rückkehr der Tod droht, werden die Asylanträge abgelehnt / Ein Verfolgter berichtet
Abdi Habib-Ahmed ist der Pubertät kaum entwachsen; er trägt Jeans, Turnschuhe sowie ein helles Sweat-Shirt, sportlich sieht er aus. Selten lacht er, meistens schweigt er. Dann zieht sich seine Stirn zu sorgenvollen Furchen zusammen, seine Augen blicken ins Nichts. Abdi ist Oromo. Er soll demnächst abgeschoben werden. Hinter ihm liegt ein Leben der Verfolgung, des Befreiungskampfes und der Flucht.
Mit einem mörderischen Umsiedlungsprogramm will die marxistisch-leninistische Militärjunta in Äthiopien die Kultur der Oromo, der größten Bevölkerungsgruppe des Landes, zerschlagen. Die Fänge der Regierung in Addis Abeba reichen bis nach Berlin. Als Abdi einmal auf dem Weg zum Oromo -Zentrum in der Prinzenallee aus einer U-Bahnstation kam, so erzählt er, wurde er plötzlich von vier Männern und einer Frau verfolgt. Abdi erkannte den äthiopischen Botschafter aus Ost-Berlin, dessen Leibwächter und eine Sekretärin. Einer der Männer hielt Abdi fest, ein anderer öffnete seine Jacke und zeigte seinen Diplomaten-Ausweis. Dabei sah Abdi eine Pistole unter dem Gürtel. „Was suchst du hier?“ fragte ihn der Mann und schlug zu. Abdi schlug zurück. Während der Prügelei kam die Polizei. Sie nahm das Botschaftspersonal im Auto mit und setzte es an einem Grenzübergang ab.
Die Rangelei gehört zu einer Serie von Einschüchterungsversuchen der äthiopischen Regierung gegen die 60 bis 80 Oromo-Flüchtlinge in Berlin. „Alle paar Monate fahren hier Autos aus Ost-Berlin vorbei mit diplomatischen Kennzeichen“, sagt der Leiter des Oromo-Zentrums. „Sie halten hier an und und machen Foto-Aufnahmen von unserem Zentrum.“ Aufgrund solcher Vorfälle hat sich der Leiter sogar mit einem Gesuch um Schutz vor Übergriffen äthiopischer Diplomaten an Erich Honecker gewandt.
Abids Bruder ist ebenfalls Asylbewerber und lebt in Berlin. Wo seine Schwester ist, weiß Abdi nicht. Sein Vater, ein enteigneter Landbesitzer, wurde 1979 von der äthiopischen Polizei verhaftet. „Er starb im Gefängnis“, sagt Abdi nüchtern, die näheren Details ausklammernd. 1980 holten „sie“ auch seine Mutter ab. Damals war er 14. Die Kinder haben nie wieder etwas von ihr gehört.
Um nicht zwangsrekrutiert und nach Kuba verschickt zu werden, was äthiopischen Waisenkindern droht, flüchteten Abdi und sein Bruder in die befreite äthiopische Provinz Harare. Dort schlossen sie sich einer 300 Mann starken Einheit der „Oromo Liberation Front“ (OLF) an, wurden jedoch nach einem Gefecht, von dem noch heute eine Narbe an Abdis Kopf zeugt, vom Militär gefangengenommen. Die beiden Brüder kamen ins Harraj-Gefängnis, aus dem sie nach einem Jahr bei einem Überfall der OLF befreit wurden. „Barfuß sind wir dann zehn Tage lang nach Djibuti gelaufen.“ Dort hatten verwandte und befreundete Oromo für die beiden Brüder gefälschte Pässe und zwei Tickets nach Berlin besorgt.
Wie bei den meisten Oromo-Flüchtlingen lehnen das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge sowie das Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht Abdis Fluchtmotivation als durchweg unglaubwürdig ab. Abdi soll abgeschoben werden. In den Begründungen heißt es immer wieder, daß Abdi nichts in Äthiopien zu befürchten habe, weil dort „Republikflucht“ nicht bestraft werde.
Daß Abdi in Berlin in der Organisation der Oromo-Studenten (TBOA) die Kulturgruppe leitete, daß er auf deutschen Kirchentagen als Musiker aufgetreten ist und politische Oromo-Lieder gesungen hat, daß inzwischen überall Kassetten von ihm verkauft werden und sein Foto auf zahlreichen Plakaten zu sehen war, wird ihm zusätzlich noch zur Last gelegt. Das sei ein „selbstgeschaffener Nachfluchtgrund“, der „aus Rechtsgründen zu keinem Asylanspruch führen kann“.
Ich frage Abdi, ob er sich eine Rückkehr nach Äthiopien vorstellen kann. „Eine Rückkehr gibt es nicht“, sagt er. „Die werden mich am Flughafen abfangen. Danach wird es mich nicht mehr geben.“
E.K.
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