: Juristische Vielzweckwaffe
Die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Bundestags -Anfrage der Grünen im vergangenen August hat es bestätigt: Der Paragraph 129a dient vielen Zwecken - nur nicht der Strafverfolgung. In gerade fünf Prozent der vom Generalbundesanwalt geführten Verfahren und gegen acht Prozent der Beschuldigten kommt es nach oft monatelangen Ermittlungen überhaupt zu einer Anklageerhebung. Und acht von zehn Verfahren, die nach Paragraph 129a eingeleitet werden, stützen sich nicht auf den Vorwurf der Mitgliedschaft, sondern auf den der „Werbung“ für beziehungsweise der „Unterstützung“ eine(r) „terroristischen Vereinigung“: sogenannte „Kommunikationsdelikte“.
Was darunter zu verstehen ist, definieren die höchsten Ankläger der Republik selbst. Und seit der Einführung des Paragraphen 129a - „Bildung terroristischer Vereinigungen“ im Juni 1976 hat sich die Anwendung des Gesetzestextes kontinuierlich zur Verfolgung linksradikaler Meinungen entwickelt.
Verfolgt und verurteilt wird, wer beispielsweise die Haftbedingungen der politischen Gefangenen kritisiert oder wer die Texte militanter Gruppen dokumentiert. Wer sich kritisch und intensiv mit der Gentechnologie auseinandersetzt - für die Bundesanwaltschaft ein „anschlagsrelevantes Thema“ - gerät ebenso schnell ins Visier der Karlsruher Strafverfolger.
293 Verfahren nach Paragraph 129a wurden 1987 eingeleitet, das Jahr, in dem mit der Verabschiedung der „Sicherheitsgesetze“ der Katalog der „terrortypischen“ Straftaten nebst dem drohenden Strafmaß erheblich ausgeweitet wurde. Solche „anschlagsrelevanten“ Themen werden inzwischen auch schon mal vorausschauend definiert.
Als die Teilnehmer einer „anti-imperialistischen Stadtrundfahrt“ in Berlin zur Zeit der Protestdemonstrationen gegen die Tagungen von Weltbank und IWF mehrfach von der Polizei aufgehalten und die Personalien der Businsassen überprüft und gespeichert wurden, hieß es zur Begründung, sie hätten verschiedene „anschlagsgefährdete Objekte“ besichtigt, sie möglicherweise sogar für geplante Anschläge ausgespäht.
Charakteristisch für den berüchtigten Paragraphen 129a sind die mit ihm einhergegangenen Änderungen der Strafprozeßordnung. So wurden mit seiner Einführung im „Deutschen Herbst“ der Ausschluß von Verteidigern aus Gerichtsverfahren erleichtert, ein Verbot der Verteidigung mehrerer Angeklagter durch einen Anwalt installiert und Sonderhaftbedingungen für die Verhafteten und Verurteilten eingeführt. Ein Jahr später schon wurde der Paragraph 129a juristisch nachgerüstet: Kontaktsperregesetz, legalisierte Schleppnetzfahndung und später die Verschärfung des Demonstrationsstrafrechtes.
Eine Anklage wegen Werbung für oder Bildung oder Unterstützung eine(r) terroristische(n) Vereinigung im Umfeld der Rechtsradikalen hat es bislang nur in einem acht Jahre zurückliegenden - Fall gegeben. Von der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ über die „Aktionsfront Nationaler Sozialisten“ (ANS/NA) des Michael Kühnen bis zu den militanten Zirkeln neo-nazistischer Gruppen, die für Brandanschläge auf Wohnheime Asylsuchender verurteilt wurden, haben die obersten Strafverfolger regelmäßig die Existenz einer „terroristischen Vereinigung“ verneint.
Anders dagegen im Umfeld antiimperialistischer und autonomer Gruppen. Als im Dezember letzten Jahres nach dem Hinweis eines Agenten des Berliner Verfassungsschutzes in einem Keller im Berliner Bezirk Kreuzberg drei Blechkisten mit Zündvorrichtungen aufgefunden wurden, hagelte es sofort den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, den „Amazonen“. Sieben Personen wurden vorläufig festgenommen. Die Zündbauteile ähnelten angeblich denen, die bei einem früheren Anschlag auf eine Berliner „Karstadt„-Filiale verwendet worden waren. Für das Konstrukt der Mitgliedschaft reichte bereits, daß sich zu dem Anschlag eine Gruppe mit dem Namen „Amazonen“ bekannt hatte.
In Hamburg verurteilte das Oberlandesgericht am 17.Januar dieses Jahres den ehemaligen Leher Fritz Storim zu einer einjährigen Haftstrafe. Anlaß war der Abdruck eines Beitrages in der Zeitschrift 'Sabot‘, in dem die Zusammenlegung der RAF-Mitglieder gefordert worden war. Dem Hamburger konnte nicht einmal eine presserechtliche Verantwortung für die Dokumentation nachgewiesen werden. In der Urteilsbegründung stützten sich die Richter auf die „geistige Nähe“ Storims zur RAF und auf die Tatsache, daß das Postfach der Zeitschrift auf seinen Namen angemeldet war.
Die Dokumentation von Texten, die die Isolationshaft bei politischen Gefangenen anprangern und eine Zusammenlegung der Gefangenen fordern, sind typisch für die Einleitung von Ermittlungen nach Paragraph 129a. Rund zweihundert Verfahren wegen Werbung für oder Unterstützung eine(r) terroristische(n) Vereinigung sind zur Zeit anhängig, wie Ursula Gröttrup, Mitglied im Bundesvorstand der Deutschen Journalisten Union, gezählt hat. Das Beispiel des Hamburgers Storim belege, so Ursula Gröttrup, daß der „Terroristenparagraph“ der Gesinnungsjustiz Tür und Tor geöffnet hat.
Die Ermittlungstätigkeit der Strafverfolgungsbehörden nach Paragraph 129a wird zunehmend ausgeweitet. Jüngstes Beispiel: Unmittelbar nach Bekanntwerden des Hungerstreiks am 1.Februar dieses Jahres von 43 inhaftierten Mitgliedern der RAF, die ihre Zusammenlegung in eine oder zwei Gruppen fordern, ließ die Generalbundesanwaltschaft die Zellen der Gefangenen durchsuchen. Das besondere Augenmerk galt dabei möglichen Unterlagen, aus denen sich Absprachen der Gefangenen zum gemeinsamen Vorgehen belegen ließen. Gegen alle Hungerstreikenden wurden jetzt Verfahren eingeleitet. Den Inhaftierten - entweder bereits wegen Paragraph 129a verurteilt oder in Untersuchungshaft - wird nun nochmals vorgeworfen: „Mitgliedschaftliche Betätigung in einer terroristischen Vereinigung“.
Wolfgang Gast
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