: Eine Nachtwache für 90 Pflegefälle
■ Graue Panther wollen die Zustände in den Altenheimen öffentlich machen Zivildienstleistende feste Mitarbeiter in den Heimen
Den Zuständen in den Alten-und Pflegeheimen wollen die Grauen Panther zukünftig ihre Arbeit noch stärker widmen. Gestern stellten sie ein Buch mit dem Titel „Tatort Pflegeheim“ vor, in dem erstmals Zivildienstleistende über ihre Erfahrungen in Heimen dieser Art berichten.
Über die Zustände in den Alten-und Pflegeheimen gibt es viele Gerüchte. Konkrete Belege für pflegerische und medizinische Verhältnisse hat es in der Vergangenheit allerdings wenig gegeben. Den HeimbewohnerInnen und ihren Angehörigen fehle oft der Mut, von ihren Erlebnissen zu berichten - und das Pflegepersonal sei zur Verschwiegenheit verpflichtet, begründet Elisabeth de Fries, Vorsitzende der Grauen Panther in Bremen, diese Situation. Auch der formale Beschwerdeweg über die Bremer Heimaufsicht sei wenig sinnvoll: „Die MitarbeiterInnen dieser Institution kündigen ihre Besuche in den Heimen vorher an. Dann sind
die Mißstände in aller Regel behoben, wenigstens für diese Zeit.
Wenn dann aber doch einmal Informationen an die Öffentlichkeit gelangen, bestätigen sie in aller Regel die Gerüchte. Danach ist die personelle Ausstattung in den Heimen durchgängig völlig unzureichend. Die Arbeitsbedingungen sind in aller Regel unzumutbar. Eine medizinische Grundpflege der HeimbewohnerInnen ist kaum gewährleistet, menschliche und persönliche Zuwendung erhalten sie sog gut wie nie. Bei der Bremer Heimstiftung, Trägerin von 12 Alten-und Pflegeheimen in Bremen, ist nach Informationen der Grauen Panther eine Nachtschwester für bis zu 90 Pflegebedürftige zuständig. Die Arbeiten werden oft von Zivildienstleistenden ausgeführt.
Gerade diese Praxis kritisiert Alfred Lorenz, Mitglied im Personalrat des Krankenhauses Bremen-Ost. Nach seinen Informationen stellen die Zivildienstleistenden in Alters -und Pflegehei
men bereits heute zwischen 10% und 20% der Belegschaft und leisten die Arbeit von medizinischem Personal, ohne hierfür ausgebildet zu sein. Dies führe nicht nur zu medizinsichen Risiken, sondern auch zur Schaffung von Arbeitnehmern zweiter Klasse, da die Zivildienstleistenden wesentlich schlechter bezahlt werden. Lorenz schätzt, daß die Träger der Heime durch den Einsatz dieser MitarbeiterInnen jährlich etwa 2 Milliarden Mark einsparen.
Mit dem von ihnen herausgegebenen Buch wollen die Grauen Panther die Verhältnisse in den Heimen bekanntmachen und Abhilfe schaffen. Ihre Vorstellungen gehen aber darüber hinaus. Stärkere Mitsprache der HeimbewohnerInnen und alternative Wohnmodelle stehen im Mittelpunkt ihrer Überlegungen. „Grundsätzlich sollten die alten Menschen aber solange wie möglich in ihren eigenen Wohnungen bleiben“, so de Fries. om
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