: Von den Eigenheiten des Wohnungsbedarfs
Einige „ganz normale“ Erfahrungen mit dem „Eigenbedarf des Hausbesitzers“ / Viele Mieter werden sich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts voller Wehmut sogar nach den hier beschriebenen Bedingungen zurücksehnen ■ Von Rainer Jogschies
Der Blick aus dem Fenster in den Hof: eine plattgemachte Landschaft. Wo drei Pflaumenbäumchen standen, ein Birkenhain bis in Dachhöhe sproß, eine alte Fliederhecke Vögeln Nistplatz bot, Rosen und Brombeeren Farbtupfen im üppigen Grün waren, ist nur noch niedergetrampelter Rasen. Sogar der wilde Wein am Haus ist abgerissen.
So hat es mein Vermieter veranlaßt. Dem früheren Schützenkönig war der Garten zu „ungepflegt“. Wir „leben nicht im Bolschewismus“, sagt er - er könne mit seinem Eigentum machen, was er wolle. Keine Rede davon, daß nicht er das nun entwurzelte Grün gepflanzt hat, sondern ich.
Und ich bin schon lange fällig, herausgerissen zu werden nur daß es da noch ein paar Rechtsprobleme gibt. Schon zweimal hat mich mein Vermieter „fristgerecht gekündigt“. Denn er - der von sich selber prahlt, „einige Wohnungen unser eigen nennen zu dürfen und etliche hundert Wohnunen in der Verwaltung“ zu haben - hat „Eigenbedarf“. Herr X. ist Makler, sein Name prangt vom Rücken des örtlichen Telefonbuches und von einem Neonschild mitten in der Einkaufszone. Wir leben ja nicht im Bolschewismus.
Beim ersten Mal, 1978, war es noch schwierig. Das Gericht mußte Gründe hören - die sozialdemokratische Reform-Form des „Mieterschutzes“. Also: Sein Sohn Helmut, so der Vater, wolle sich „selbständig“ machen. Deshalb brauche er eine billige Wohnung - meine. Außerdem brauche Helmut mehr Platz als in seinem Reihenhaus am Stadtrand, weil er eine Familie gründen wolle. Ich hingegen sei bloß ledig (wegen des Einzugs meiner Freundin war mir die „fristlose Kündigung“ angedroht worden). Mein unmittelbar bevorstehender Studienabschluß sei kein Argument, auf eine augenblickliche Kündigung zu verzichten: mir sei zuzumuten, aus dem Vorort täglich nach Hamburg in die Arbeitsräume der Universität zu fahren, statt zu Hause zu lernen.
Die Klage wurde abgewiesen. Denn kurz zuvor war Helmut noch mit der Prokura der väterlichen Firma vor demselben Gericht aufgetreten - und auch die Familiengründung befand der Richter als noch zu wenig konkret.
Beim zweiten Mal, zehn Jahre später, gab es schon vermieterfreundliche Freibriefe: beispielsweise vom Hanseatischen Oberlandesgericht, das die bloße Behauptung von „Eigenbedarf“ als ausreichend für einen Räumungsbeschluß sah. Der Amtsrichter wollte dennoch Argumente. Die klangen 1988 so: Stiefsohn Eberhard studiere in Harburg, ihm sei jedoch nicht die tägliche Anfahrt aus seinem Wohnort Hamburg zuzumuten. Überdies benötige er eine größere Wohnung, weil er mit seiner Freundin zusammenziehen wolle. Es steht zu befürchten, daß mein Vermieter damit „Recht“ bekommt.
Nach meinem Eigenbedarf an meiner Wohnung, in der ich seit 13 Jahren lebe, wird nicht gefragt. Nicht einmal danach, was denn die bedürftigen Söhne so in meine Wohnung zieht (Eberhard hat sie nie gesehen, Helmut hat ein Häuschen) vor Gericht trat nur der treusorgende Vater auf. Sohn Helmut jedenfalls zog nicht in dasselbe Mietshaus, als wenig später durch einen Todesfall eine damals noch preisgünstige Wohnung frei wurde. Und auch Stiefsohn Eberhard zog nicht ebendort in eine aus Altersgründen freiwerdende Dachwohnung.
So ist es mit dem Eigenbedarf wohl wie mit dem Garten. Ich sei ein „rebellischer Mieter“, schrieb mir Makler X. Er schickte mir einen Privatdetektiv hinterher, um meine Einkommensverhältnisse und meine politische Meinung zu ergründen; er schickte mir seine Schützenbrüder ins Haus, die vor Gericht bekunden, in meiner Wohnung gäbe es „übermäßige Pflanzenhaltung“. So ist es mit der grundgesetzlich garantierten „Unverletzlichkeit der Wohnung“ und der „Sozialbindung des Eigentums“: Sie gelten, solange es dem paßt, der sein Geld mit deiner Miete verdient.
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