: „Die Polizei vom Müllenbrock-Syndrom befreien“
■ Ein Interview mit dem Vorsitzenden der „Sozialdemokraten in der Polizei“, Jörg Kramer, über rot-grüne Perspektiven in der Innenpolitik / Einen AL-Polizeipräsidenten kann er sich noch nicht vorstellen / „Kennzeichnung ist kontraproduktiv“
taz: Herr Kramer, Sie sind in der Unterkommission der Koaltionsverhandler von SPD und AL zum Thema „Innere Sicherheit“. Wie können beide Parteien eine gemeinsame Perspektive für eine friedlichere Stadt entwickeln?
Jörg Kramer: Am vergangenen Freitag haben erste Sondierungsgespräche stattgefunden. Da tastete man sich erst einmal gegenseitig ab. Wenn ich das grob bewerten darf: Es gibt eine Vielzahl von gemeinsamen Standpunkten und nur weniges, wo es Divergenzen gibt.
Der gemeinsame Standpunkt alleine reicht ja offenbar nicht. So ist ja die Kennzeichnung der Polizei eigentlich nicht umstritten. Doch sagt die SPD: Wir sind dafür, können es aber nicht durchsetzen.
Die „Kennzeichnung“ ist meiner Meinung nach eine Marginalie bei den Verhandlungen. Es geht beiden Seiten, so glaube ich, darum, hinsichtlich der Aus- und Fortbildung neue Wege zu gehen. Es genügt nicht, einen Polizeianwärter nach zweieinhalb Jahren Ausbildung der übrigen Sozialisation durch den Polizeialltag zu überlassen.
Nochmal zur Kennzeichnung: Sie sagen, das ist eine Marginalie. Ich sage: Das ist eine emotionsgeladene Geschichte.
Ich stimme Ihnen soweit zu, als daß die Kennzeichnung einen unheimlich hohen Symbolwert hat. Wenn wir nach strukturellen und personellen Veränderungen in der Zukunft zum Ausdruck gebracht haben, daß wir eine andere Polizei haben wollen, dann würde die Kennzeichnungsdebatte schlicht kontraproduktiv wirken. Wenn man sich gemeinsam darauf verständigt, eine andere Polizei haben zu wollen, ist die Kennzeichnung überflüssig.
Irgendwann in der Zukunft ist das möglicherweise überflüssig, aber was machen Sie denn am 1.Mai in Kreuzberg?
Die Aus- und Fortbildung zielt natürlich auf die Zukunft. Es müssen aber, da stimme ich zu, auch Sofortmaßnahmen her. Es müssen Zeichen in die Polizei hineingegeben werden durch personalpolitische Entscheidungen zum Beispiel.
Haben Sie persönlich was gegen Kennzeichnung?
Nein, überhaupt nicht. Die Mehrzahl der Sozialdemokraten in der Polizei auch nicht.
Das heißt: Kennzeichnung ist bei den Verhandlungen kein Thema?
Doch, Thema ist das natürlich. Aber wir haben viele Argumente, um die AL davon zu überzeugen, das sie kontraproduktiv ist.
Sollte der Polizeiapparat Ihrer Ansicht nach jetzt wieder dezentralisiert werden?
Man sollte von der Zentralisation: „alles zur Landespolizeidirektion hin“ Abstand nehmen. Die Entscheidungen müssen auch verbindlich auf niedrigerer Ebene gefällt werden können. Die Direktionen brauchen mehr Autonomie als in den vergangenen Jahren.
Stichwort „Entwaffnung der Polizei“. Sollte man den Streifendienst und Verkehrsdienst voneinander entkoppeln und bei den Verkehrsbeamten „abrüsten“?
Ich glaube, daß es sinnvoll ist, den „multifunktionalen Polizisten“ zu haben. Eine Trennung in „gute“ und „böse“ Polizisten ist nicht sinnvoll.
Der „Braß“ bei der Polizei ist unheimlich stark, was man nicht zuletzt bei dem überproportional guten Abschneiden der REPs in der Wählergruppe der Polizisten sehen konnte. Wie können AL und SPD ganz konkret in der Polizei andere Zielvorstellungen entwickeln und die Polizei verändern?
Die Polizei muß erst einmal von dem „Müllenbrock-Syndrom“ befreit werden. Damit meine ich die martialische Ausrüstung. Der Einsatzanzug gehört erstmal eingemottet, die Wasserwerfer müssen zurückgehalten werden. Das normale Erscheinungsbild des Polizisten in grün-beige sollte wieder in den Vordergrund treten. Die normalen Funktionen des schützenden, helfenden Polizisten meine ich damit, nicht den mit Schutzschild und Schlagstock. Bei Demonstrationen sollte die friedenstiftende Funktion der Polizei dadurch deutlich werden, daß im Vorfeld intensive Gespräche mit den Veranstaltern geführt werden. Als auf der Demonstration am Montag nach der Wahl Scheiben eingeschmissen wurden, riefen Demonstranten „Aufhören! Aufhören!“. Diese Entwicklung muß von der Polizei und den Demonstranten kultiviert werden.
Es wird aber immer Spontandemonstrationen geben, die nicht per se friedlich sind. Wie kann man denn da deeskalierend wirken? Das setzt doch ein Vertrauensverhältnis zwischen Polizei und Demonstranten voraus, das so nicht existent ist. Müßte nicht zur Vertrauensbildung in die Polizei hinein und zur Umsetzung einer neuen Innenpolitik ein AL-Mitglied personell in die Polizeiführung eingebunden werden?
Geistig würde sie bestimmt einbezogen werden...
...und personell?
Ich weiß nicht, wie Sie sich das vorstellen?
Müßte es nicht einen stellvertretenden AL -Polizeipräsidenten oder, noch besser, eine Präsidentin geben? Der oder die sozusagen personell, das, was man schön auf Koalitions-Papieren geschrieben hat, in die Praxis umsetzt?
Also das erscheint mit völlig abwegig. Ich könnte mir auch niemanden vorstellen, der vor allem auch in der Polizei eine gewisse Akzeptanz hätte.
Es geht doch nicht nur um die Akzeptanz bei der Polizei. Es geht darum, daß bestimmte Vorstellungen, die die AL von der Polizei hat, von oben reingetragen werden müssen. Die Polizei ist doch kein politikfreier Raum, der jenseits einer rot-grünen Regierungsrealität einfach weiterexistiert.
Sie müßten mir eine Person nennen, die ich mir vorstellen kann.
Die AL hat wahrscheinlich dasselbe Problem wie Sie ... (Lachen)
Ich sag‘ nur: Akzeptanz kann nicht angeordnet werden.
Gibt's die Akzeptanzprobleme denn auch für Sozialdemokraten bei der Polizei?
Sicher, davon bin ich überzeugt. Es gibt neben der Polizei wohl keine gesellschaftliche Gruppe, wo das rot-grüne Chaos so an die Wand gemalt wird. Das alleine wird schon eine erhebliche Belastung sein. Und das wird verstärkt durch gravierende personelle Entscheidungen zu Beginn einer rot -grünen Koalition.
Eine Forderung der AL ist: Die Kasernierung soll abgeschafft werden. Zustimmung bei Ihnen?
Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Die Entbindung vom gemeinsamen Wohnen läßt sich sehr schnell realisieren. Im Moment sind eh nur noch die Polizeischüler im ersten Jahr dazu verpflichtet, gemeinsam zu wohnen. Aber vergessen Sie nicht: Viele stehen dann vor dem großen Wohnungsproblem in Berlin.
Sollte die Polizei zahlenmäßig abgebaut werden, wie es die AL fordert?
Von Abbau halte ich sehr wenig. Es gibt eine Vielzahl von Aufgaben, die von der Polizei bisher nur verwaltet werden.
Welche?
Etwa der Bereich der Kriminalitätsbekämpfung, zum Beispiel Umweltkriminalität, oder bei der organisierten und Wirtschaftskriminalität, da ist noch viel zu tun. In bezug auf die Gewaltkriminalität ebenso: Gewalt gegen Frauen, da ist eine Verstärkung denkbar. Es sind bei dem derzeitigen Personalbestand gewisse Umschichtungen unausweichlich, in Richtung Kripo, und zwar zu Lasten der Schutzpolizei.
Können Sie sich künftig türkische Polizisten in Berlin vorstellen?
Von ihrer Herkunft her ja. Die gibt's ja schon. Ich könnte mir auch denken, daß junge Beamte türkischer Herkunft stärker integriert werden. Aber die Bedingungen sind bekannt: Sie müssen deutsche Staatsbürger sein.
Ist der Kontaktbereichsbeamte eigentlich ein Streitpunkt bei den Verhandlungen?
Ja, insofern als die AL den ganz abschaffen will. Wir schätzen den bürgernahen Service des KOBs sehr viel höher ein. Nichts desto trotz muß aber eine neue Aufgabenbeschreibung für sie vorgenommen werden.
Wie sieht die aus?
Naja, vor allem muß der Eindruck entkräftet werden, der Kontaktbereichsbeamte wäre ein Schnüffler.
Interview: ccm/mtm
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