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Fingerlecken im „Florian“

■ Marcia Pally über österreichische Erotik life

Marcia Pally ist Filmkritikerin beim New Yorker 'Penthouse‘, sie schreibt u.a. auch für 'Seven Days‘ und 'The Boston Herald‘. Ihre bitterböse Kolumne „Short Stories from America“ erscheint monatlich in der taz, ihren Scotch mag sie pur.

Anscheinend habe ich mich doch geirrt, was das Nachtleben während der Berlinale betrifft: Das Schärfste ist nämlich nicht das Lipstick, sondern die österreichische Spielart des Machismo, mit der ich bei Florian konfrontiert wurde - wo auch sonst? Hier verbrachte ich den Abend in einer Ecke, in der am Abend zuvor irgendein Bursche sich die ganze Nacht lang mit einer Dame unter dem Tisch vergnügt und bis morgens um acht Champagner geschlürft hatte. Dieser Österreicher, der mich mit seiner Männlichkeit so beeindruckt hat, brachte den ganzen Abend damit zu, seine Theorie auszuprobieren, daß ein Mann das Herz einer Frau gewinnt, wenn er ihr die Finger leckt. Eigentlich gar keine schlechte Idee, aber auch darum geht es mir nicht - und außerdem läßt sich so etwas sehr viel leichter ausprobieren, wenn der Ehemann der betreffenden Dame nicht gerade dabeisitzt. Als nächstes versuchte dieser Österreicher jedenfalls seine Männlichkeit dadurch zu beweisen, daß er den Widerspruch der betreffenden Dame einfach ignorierte, und auch das funktioniert sehr viel besser, wenn der Ehemann besagter Dame nicht mit am Tisch sitzt, weil es sonst unweigerlich zu einem Showdown kommt.

In Amerika gibt es nur eine Möglichkeit, wie eine solche Situation endet. Jeder kennt diesen Film: Der Ehemann fordert den Rivalen auf, die Dame in Ruhe zu lassen. Der Möchtegern-Liebhaber ignoriert ihn einfach und verlangt, die Dame solle doch selbst entscheiden. Der Ehemann versetzt dem Rivalen einen Stoß, dieser stößt zurück, und selbst unter so filmkunstbesessenen Leuten, wie man sie bei Florian trifft, entwickelt sich im Nu eine handfeste Auseinandersetzung. Nicht so unter Österreichern.

Der Liebhaber und der Ehemann diskutierten in aller Ruhe ihre jeweiligen beruflichen Qualifikationen und Leistungen, ohne daß einer von beiden auf den Gedanken gekommen wäre, der Dame die Finger zu lecken. Als ob die Sache auf diese Weise geregelt werden könnte - was nach einer reichlich langweiligen Stunde und zu meiner großen Überraschung dann auch tatsächlich der Fall war. Das ist, zumindest was Herzensangelegenheiten betrifft, nun wirklich das Schärfste, und wenn ich so darüber nachdenke, hat das vielleicht doch mit geschlechtslosen Männern zu tun...

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