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Galileo Rushdie leistet Abbitte

Der Autor der „Satanischen Verse“ bedauert das „Leiden“, das sein Buch „gläubigen Anhängern des Islam“ gebracht habe / Gleichzeitig Appell an die Religions-Toleranz / Teheraner Mullahs uneins über die Reaktion  ■  Aus London Rolf Paasch

„Schriftsteller und Politiker sind natürliche Rivalen“, erkannte Salman Rushdie vor einiger Zeit schon. Diese Einsicht hat ihm unterdessen eine Morddrohung des iranischen Revolutionsführers Ayatollah Khomeini eingebracht. Und die ungleiche Rivalität zwischen beiden ging am Wocheennde in eine neue Runde: Erst entschuldigte sich Rushdie in einer am Samstag über seinen amerikanischen Verlag Viking-Penguin verbreiteten Erklärung für die Verletzung der Gefühle der Moslems in aller Welt durch sein Buch Satanische Verse. Dann aber sendete die offizielle iranische Nachrichtenagentur 'IRNA‘ binnen sechs Stunden drei widersprüchliche Reaktionen, in denen Rushdies Erklärung zunächst zurückgewiesen, dann akzeptiert und schließlich wieder als unzureichend abgelehnt wurde. Die verschiedenen Fraktionen in der iranischen Führung können sich offensichtlich nicht einigen, ob die Erklärung alle Kriterien der am Freitag von Präsident Khamenei geforderten Reuebekundung erfüllt.

Die Reaktionen der iranischen Führung auf die Entschuldigung Rushdies zeigt, daß Geist und Vorstellungskraft der Mullahs in Teheran offenbar ebenso verwirrt und inkohärent sind, wie die umstrittenen Traumsequenzen aus Rushdies Roman Satanische Verse. Nachdem Khomeini letzte Woche ein Kopfgeld von umgerechnet zehn Millionen Mark auf das Haupt des ketzerischen Literaten mit der blasphemischen Feder ausgesetzt hatte, war der in der modernen Literaturgeschichte wohl einmalige Hinrichtungsbefehl nicht nur im Westen auf Empörung gestoßen. Auch von der moderaten Fraktion des Teheraner Regimes kam Kritik. In Großbritannien, von wo die Proteste gegen den angeblich Islam-feindlichen Roman Salman Rushdies ausgingen, scheinen die meisten Führer der über eine Million Gläubige zählenden britisch-moslemischen Gemeinde die Erklärung Rushdies anzunehmen. Er hoffe, so erklärte der Fortsetzung, Wortlaut,

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Vorsitzende der 'Islamischen Gesellschaft für die Förderung religiöser Toleranz‘ Hesham El Essawy, „daß diese Entschuldigung einen Ausweg aus der Krise weist“. El Essawy war es auch, der nach der Lektüre des Romans bereits im vergangenen Oktober vor möglichen Wirkungen des Werkes gewarnt hatte: „Ich lade Sie dazu ein“, so hatte er damals an Rushdie geschrieben, „eine etwas andere Position zu beziehen, ehe daß Monster, das sie so unnötigerweise kreiert haben, über die ganze Welt hinweg, in etwas Unkontrollierbares wachsen wird.“ Was gemäßigte britische Moslems wie El Essawy nun von Rushdie und seinem amerikanischen Verlag Viking-Penguin erwarten, ist die Ein

fügung einer gedruckten Warnung in das Buch, die alle Moslems dazu auffordert, den Roman nicht als Fakten, „sondern als von Mr. Rushdies über-imaginativen Geist erfundene Fiktion zu lesen“.

Andere Stimmen aus Bradford, der nordenglischen Einwanderermetropole mit ihren 22 Moscheen fordern dagegen weiter das Verbot des Buches oder gar den Kopf Rushdies. Während sich die Mullahs in Bradford, aber vor allem in Teheran, von Rushdies Erklärung noch verwirrt zeigen, hält sich der in Bombay geborene Autor in seiner Wahlheimat Großbritannien weiter unter Polizeischutz versteckt. „Das wirkliche Risiko“, so hatte er 1982 in seinem Essay Imaginary Homelands geschrieben, „nimmt der Künstler dann in Kauf, wenn er seine Welt bis zu den Grenzen des Möglichen vortreibt, in dem Versuch, die Summe

dessen zu vergrößern, was denkbar ist.“ In politischer Hinsicht ist ihm das mit seinen Satanischen Versen mit Sicherheit gelungen.

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