piwik no script img

Entschärfte „Medienbombe“

■ Adolf Eichmann Dokumentarspiel in einer Wiederholung

(Die Vernehmung des Adolf Eichmann 23 Uhr, ARD) Ein riskantes Experiment, das die Grenzen des Mediums, die Grenzen zwischen Kunst und Wirklichkeit sprengt, wollte NDR -Fernsehspielchef Dieter Meichsner 1983 realisieren. Doch als es dann soweit war, hat er den Zündstoff, den er von Regisseur Dieter Wedel legen ließ, kleinmütig wieder entschärft. Die Bombe, das waren die Schreier und Zwischenrufer, die das Live-Fernsehspiel Das Protokoll unterbrechen sollten, um das Publikum zu überrumpeln und zu provozieren.

Grundlage des Stückes sind die Tonbandaufzeichnungen eines 275 Stunden währenden Verhörs, dem der israelische Polizeihauptmann Avner Less sein Gegenüber, Adolf Eichmann, „Judenreferent“ im ehemaligen „Reichs-Sicherheits-Hauptamt“, unterzog. Bereits Heinar Kipphardt hatte 1982 das 3.000 Seiten umfassende Protokoll des monatelangen Verhörs zu einem Schauspiel Bruder Eichmann verarbeitet. Vor den Augen einer Reihe prominenter Zuschauer (darunter Annemarie Renger, Gerhart Baum, Herbert Wehner), und vor den Live -Kameras wurden vom Schauspiel Bonn in einer Werkhalle Szenen aus diesem Verhör von zwei Schauspielern (Werner Kreindl als Eichmann, Peter Eschberg als Less) theatralisch dargestellt. Zum Skandal sollte es am Ende der Aufführung kommen, als der Eichmann-Darsteller, entnervt von den rhetorischen Zuschauerkämpfen, mit dem Satz „Tut mir leid, ich kann nicht mehr“ die Bühne verläßt.

Doch der NDR-Chef entschärfte, zumindest für das Publikum im Saal, die Medienbombe, indem er in seiner Begrüßungsansprache auf den inszenierten Charakter des Ganzen hinwies.

Immerhin hatten Millionen Fernsehzuschauer (elf Prozent Sehbeteiligung) das uneingeschränkte Rätselvergnügen herauszufinden, wessen Zwischenrufe nun echt und welche inszeniert waren. Und so fragte sich der Autor nach so viel aufgeregter Resonanz am Ende des Abends, ob es nicht besser gewesen wäre, auch beim Fernsehzuschauer mit offenen Karten zu spielen. Denn natürlich hatte keiner der zahlreichen Anrufer beim NDR wissen wollen, ob auch die Eichmann-Sätze des Spiels authentisch seien, sondern immer nur, ob der Zuschauer nun echt war oder nicht. Der 'Spiegel‘ meinte damals: „So hat das Medium wieder einmal seine Botschaft verschlungen.“

ks

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen