: Verbunden mit Mutter Erde
■ Die Navajo und ihre Zeremonien Von Gunda Schwantje
Der Pick-up windet sich schwerfällig durch den Canyon. Cindy, eine junge Dine (Menschen der Erde, wie sich die Navajo selbst nennen) mit wachen, aufmerksamen Augen, hält auf die Biegung des Flusses zu. An einer von Bäumen geschützten Stelle ist ein Feuer und ein kugelförmiges Gebilde, das einem mit Stoff überspanntem Iglu gleicht eine indianische Schwitzhütte. Einige Dine sitzen im Kreis, stimmen Gesänge an, schlagen Trommeln - etwas beklommen setze ich mich dazu. Auf die Aufforderung der schon älteren Medizinfrau hin kriechen wir durch den schmalen Einlaß in die Hütte und hocken uns um die kleine Mulde, die in der Mitte der Schwitzhütte ausgehoben wurde. Steine, die nicht bersten, wurden vorher draußen, im „ewigen Feuer“, zum Glühen gebracht. Ein Helfer reicht sechs von ihnen herein. Die Medizinfrau senkt sie in die kleine Grube, die das Universum symbolisiert. Der Stein in der Mitte stellt die Erde dar. Vier weitere werden um ihn plaziert: Sie repräsentieren die vier Himmelsrichtungen. Ein weiterer Stein, der auf den mittleren gelegt wird, ist Sinnbild des Himmels. Die rotglühenden Steine leuchten und heizen die Hütte schnell auf. Die Dine stimmen Gesänge an und beten reihum. Als die Medizinfrau die Steine mit kaltem Wasser übergießt, schlägt mir unerwartet eine Hitze entgegen, auf die ich fast mit Panik reagiere: Verzweifelt versuche ich, mich dem sengend heißen Dampf zu entziehen, drücke mich so weit wie irgend möglich an die Außenwand. Die Temperatur ist unerträglich. Nach der ersten Runde wird die Luke, die gut abgedichtet war, kurz geöffnet. Frische Luft strömt herein. Berührt von der Intensität dieser Menschen, mit denen ich die Reinigungszeremonie erleben durfte, und körperlich völlig erschöpft, schleppe ich mich nach dem vierten Durchgang aus der Hütte.
Das Universum der Dine besteht aus zwei Arten von Wesen, den earth surface people - normale Erdenbewohner, im Zyklus von Leben und Tod stehend - und sogenannten holy people, geweiht im Sinne von geheimnis- und kraftvoll. „Die heiligen Wesen reisen auf Sonnenstrahlen, Regenbögen und mit Hilfe von Blitzen. Sie verfügen über Kräfte, uns Dine zu unterstützen oder anzugreifen. Mit dem, wie euer Begriff Gott besetzt ist, sind sie nicht vergleichbar, denn sie sind weder allmächtig noch allwissend“, erläutert Cindy das traditionelle Wissen der Dine. „Auch basiert unsere Ordnung nicht auf der Idee von Gut und Böse, sondern auf dem Prinzip von Gleichgewicht und Ungleichgewicht, von Harmonie und Disharmonie - mit der Natur, mit der Gemeinschaft, mit sich selbst.“
Dieses Universum ist eine geordnete, harmonische Einheit von miteinander verflochtenen Elementen - „Mutter Erde“, die Menschen, Tiere, Pflanzen und der Kosmos. Die Mythen beschreiben die Schöpfungsgeschichte der Erde, die Entstehungsgeschichte der jeweiligen Indianernation und legen für das Individuum und die Stammesgemeinschaft verbindliche Lebensregeln fest. Alltag, Religion und Spiritualität sind miteinander verschmolzen, wie auch die Identität der Dine untrennbar mit dem Boden, mit „Mutter Erde“, verbunden ist. Dieses integrale Sein bedingt eine Geisteshaltung, zu der sich Weiße in der Regel nicht in Beziehung setzen können. Die Sprache der Dine, die sonst durch ihre Genauigkeit in der Benennung besticht, kennt das Wort „Religion“ nicht.
Das Leben selbst gilt im traditionell indianischen Sinne als eine Zeremonie. Alltägliche Handlungen werden im Bewußtsein der ständigen Präsenz spiritueller Kräfte vollzogen. Beim Körbeflechten und Weben beispielsweise bleibt das Produkt nach unseren Vorstellungen unvollendet, um den Geistern, die den Gegenstand beleben, ein Schlupfloch, spirit outlet, zu lassen.
Alle Zeremonien begleiten wichtige Arbeiten und Ereignisse wie Geburt, Pubertät und Heirat im Lebenszyklus dieser Menschen. Bei der Geburt eines Kindes vergraben die Dine die Nabelschnur in der Nähe des Hogans (der traditionellen Wohnstätte), um eine dauerhafte und geweihte Beziehung zum Land herzustellen. Der Übergang von der Ernährung durch die leibliche Mutter zur „Mutter Erde“ wird durch diese symbolische Handlung gestärkt. So wird auch das erste Lachen eines Neugeborenen, ein freudiges Ereignis für die Familie, mit einer Give-away-Zeremonie, in deren Verlauf das Baby den Gästen kleine Geschenke macht, beantwortet.
Lionel erzählt in seiner ruhigen, bestimmten Art von seinem rauhen Leben in Los Angeles, von Frustrationen, Diskriminierung und Alkoholabhängigkeit, von den Schwierigkeiten, zwischen der dominierenden angloamerikanischen Kultur und den indianischen Traditionen zu bestehen. „Ich vermißte das harte, aber erfüllendere Leben bei meinem Volk, meiner Familie. Die Lebensbedingungen in der Reservation sind zwar für viele Dine katastrophal, dennoch habe ich mich für die traditionelle Lebensführung entschieden, lebe in einem Hogan mit karger Ausstattung am Rande der Chuska Mountain Range.“ In seiner Familie wird noch regelmäßig die für die Dine zentrale Zeremonie blessing way (gute Hoffnung) abgehalten. „Es ist jedesmal ein großes Treffen, alle Familienangehörigen sind anwesend. Wir laden Sänger für diese Rituale ein und führen die Zeremonie nach altem Wissen, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde, durch.“ Während der ersten Nacht werden überlieferte Dine-Gesänge gesungen: „Wir bitten die spirituellen Kräfte um Gesundheit, Stärke und allgemeines Wohlbefinden in der Blessing-way-Zeremonie.“ Der nächste Morgen beginnt mit einer Reinigungszeremonie; Gesänge, die bis zum Morgengrauen des folgenden Tages dauern, beenden das Ritual.
Manchmal malen die Sänger auch sandpaintings: Der Boden des Hogans wird dann mit sauberem hellfarbenem Sand bestreut. Auf diesem Untergrund zeichnen sie mit gemahlener Holzkohle, pulverisierten Mineralien, Blütenstaub und zerdrückten Pflanzen überlieferte Muster und Figuren. Die Farben variieren - Weiß, Blau, Gelb und Schwarz jedoch werden in jedem Fall verwandt. Um den Geist, der ihm innewohnt, nicht zu stören, arbeiten die Künstler jeweils vom Zentrum weg, dem Lauf der Sonne entsprechend. Die Figuren stellen die Heiligen Wesen dar; über 500 verschiedene Variationen, die jeweils eine andere, festgelegte Bedeutung haben, sind bekannt.
Unbeschwert, wie auch schon vor der Zeremonie in der Schwitzhütte, lenkt Cindy den Truck durch die Chuska-Wälder hindurch. Wir halten für einen kurzen Moment auf einem Ausläufer des Hochplateaus. Vor uns liegt wieder die endlose Halbwüste Arizonas.
„Indianisches Sein“ ist in seiner Vielfalt und Komplexität, in seiner Andersartigkeit, kaum faßbar. Zeremonien sind für die Dine lebensnotwendig. Im Gegensatz zu den Anhängern „indianischer“ Lebensphilosophien in westlichen Ländern die die Rituale nicht selten als individuelle spirituelle Bereicherung gleichsam konsumieren, indem sie bestimmte exotische Elemente herauslösen - bilden Zeremonien wie die soeben erlebte das Bindeglied für kollektives Erfahren von Leben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen