piwik no script img

Verrutschte heile Welt

Deutsche Ausländer stellen den Ringerbund vor Probleme  ■  PRESS-SCHLAG

Wenn an den beiden ersten Wochenenden im März in Reilingen und Herdecke die Deutschen Meister im Ringen ermittelt werden, dürfte mancher Funktionär des Deutschen Ringerbundes (DRB) Schwierigkeiten bekommen, die Namen der Titelträger richtig auszusprechen. Zu den aussichtsreichsten Anwärtern auf nationalen Lorbeer zählen Ringer wie Ahmet Cakici, Jan Gorski, Rifat Yildiz, Roman Kierpacz, Özcan Elmas oder Pjotre Michallek.

Kein Zweifel: Türken, die in der Bundesrepublik geboren sind und hier auch mit dem Ringen begannen, beherrschen gemeinsam mit den übergesiedelten deutschstämmigen Polen die Mattenszene und markieren eine Zäsur in der bundesdeutschen Ringergeschichte. Denn bislang standen Recken wie Wilfried Dietrich, der „Kran aus Schifferstadt“, oder der Urloffener Martin Knosp im Vordergrund. Auch ein Pasquale Passarelli, italienischer Abstammung, doch in der Pfalz großgeworden, bildete lediglich einen exotischen Klecks in der DRB -Chronik.

Aber nun schlägt der DRB Alarm. Als auf dem Verbandstag im verträumten Schifferstadt die Jahresplanung des DRB debattiert wurde, ging es hoch her. Was tun mit der „Ausländer„-Flut, die schon längst die Bundesliga ergriffen hat und auf internationaler Ebene Wirkung zeigt?

Ein Kooperationsvertrag zwischen den Ringerverbänden der Bundesrepublik und der Türkei gibt den Türken nämlich die Möglichkeit, ihre in Deutschland geborenen Landsleute abzuwerben und diese bei internationalen Wettkämpfen für die Türkei starten zu lassen. Diesen Kontrakt will der DRB jetzt einseitig kündigen, denn er fürchtet um seine Zukunft.

In Berlin beschloß der DRB-Landesverband vor Jahresfrist sogar, acht- bis zwölfjährige Türken von den Landesmeisterschaften auszuschließen. Begründung des Präsidiums: Der türkische Nachwuchs sei auf Bundesebene ohnehin nicht startberechtigt, und der deutsche Nachwuchs begehe Mattenflucht, weil in dieser Altersklasse die jungen Türken stärker seien als Wilfried Dietrichs Enkel. Der Beschluß wurde kurze Zeit später wegen des negativen Medienechos widerrufen, doch ein Hauch von Ausländerfeindlichkeit blieb.

Dann kam er endlich, der hoffnungsvolle deutsche Mattennachwuchs - aus Polen. Und wieder sah man beim DRB lange Gesichter. Auch die „Ostringer“ entsprachen nicht den Wunschvorstellungen bundesdeutscher Funktionäre. Hier und da meldeten sich Stimmen, die sich über die rasche Einbürgerung der Polendeutschen wunderten.

Wie es weitergehen soll, weiß innerhalb des DRB momentan niemand. Im Falle der Türken muß sich der Verband entscheiden: entweder werden die Kämpen aus der zweiten oder dritten Arbeitsemigrantengeneration naturalisiert und somit für die BRD international startberechtigt, oder man muß sie klaglos für ihre „Heimatländer“ starten lassen. Bei den Zuwanderern aus Polen will der Deutsche Sportbund (DSB) durch ein verstärktes Integrationsprogramm aktiv werden, denn auch der DSB scheint erkannt zu haben, daß den Aussiedlern nicht nur Sympathie entgegenschlägt.

Die Bundesliga, bislang ein Hort ambitionierter Dorfvereine, die zum sonntäglichen Wettringen bei Volksfestatmosphäre einluden, ist gehörig durcheinandergeraten: Eine heile Welt kommt ins Rutschen.

Jürgen Schulz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen