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HTR für Industrie nicht interessant

Der Abbruch des HTR-Verfahrens steht fest / Umweltministerium in Hannover bereitet ablehnenden Bescheid vor / Ministerien sollen sich nun um Begutachtung des kleinen Hochtemperaturreaktors kümmern  ■  Aus Hannover Jürgen Voges

Der Protest gegen das standortunabhängige Genehmigungsverfahren für den kleinen Hochtemperaturreaktor stand seit Wochen in den Startlöchern. „500 Einwendungsverteiler, die flächendeckend in der gesamten Bundesrepublik Einsprüche gegen die Genehmigung des HTR sammeln sollten, haben wir in unserer Kartei“, sagt Walter Stahl von der hannoverschen „AG gegen den HTR-Modul“. Besetzungen, Demonstrationen, ein bundesweites „Trommeln gegen HTR“ waren für die entscheidende Phase des Verfahrens

-die öffentliche Auslegung der Genehmigungsunterlagen, die eigentlich schon Anfang dieses Monats in Hannover beginnen sollte - vorbereitet.

Doch spätestens seit vergangenem Freitag steht fest: Die Anti-AKW-Bewegung wird den Abbruch des Genehmigungsverfahrens feiern können, ohne zuvor auf die Straßen gehen zu müssen. Das Umweltministerium in Hannover hat am Freitag noch einmal mit der Firma Interatom aus Bergisch-Gladbach verhandelt, die zusammen mit der inzwischen von der Muttergesellschaft Siemens übernommen KWU im August 1987 die standortunabhängige Genehmigung beantragt hatte. Die Herren von Interatom sollten in Hannover Stellung nehmen zur definitiven Absage an das HTR-Projekt durch die „BEB Erdgas und Erdöl GmbH“, mit deren Interesse an tertiärer Erdölförderung vermittels des kleinen Hochtemperaturreaktors der Genehmigungsantrag begründet worden war.

„Wir haben dem Umweltministerium keine andere Firma nennen können, die Interesse am Bau des Reaktors hat“, mußte der für den HTR zuständige Abteilungsleiter der Interatom, Dr.Hartmut Mayer, am Freitag nachmittag erklären. Der Abschluß des Verfahrens durch eine formelle Genehmigung sei nun wohl eher ein sekundärer Punkt geworden, sagte der Abteilunsgleiter. Man sei auch schon zufrieden, wenn der Reaktor überhaupt technisch und gutachterlich ernsthaft geprüft werde.

„Die rechtlichen Grundlagen für ein standortunabhängiges Genehmigungsverfahren bestehen nun nicht mehr“, so hatte am Freitag morgen der Sprecher des Umweltministeriums, Herrmann Kues, noch einmal die Erklärung der BEB gewertet, wonach die Gesellschaft als „Partner für ein HTR-Projekt nicht zur Verfügung steht“.

In einem Rechtsgutachten der Kernenergieabteilung des Ministeriums hieß es schon im Herbst vergangenen Jahres: „Sollte ein Vorhaben zum Bau in Niedersachsen nicht mehr beabsichtigt sein, so entfällt grundsätzlich die Zuständigkeit des niedersächsischen Umweltministeriums.“ Weil die Interatom am vergangenen Freitag keinen Ersatz für ihren Bauinteressenten BEB aus dem Hut ziehen konnte, muß nun das Umweltministerium den Genehmigungsantrag von Siemens und Interatom wegen des fehlenden „Sachentscheidungsinteresses“ formell zurückweisen.

Dies allerdings, so ist aus dem Umweltministerium zu erfahren, wird erst in einigen Wochen geschehen. Bis dahin will das Ministerium rechtlich ausloten, wie die technische Überprüfung des Reaktors trotz des Abbruchs des Genehmigungsverfahrens abgeschlossen werden kann, um dem HTR -Modul doch noch das für den geplanten Export in die UdSSR und die DDR notwendige „technische Prüfsiegel“ zu verpassen. Bei einem Abbruch des Verfahrens sei an die Abgabe der Unterlagen an eine andere Einrichtung, wie das Bundesumwelt oder Bundesforschungsministerium zu denken, sagte der Sprecher von Umweltminister Werner Remmers am Freitag. Auf diesem Wege könne möglicherweise das TÜV-Gutachten zum HTR -Modul abgeschlossen und auch die Stellungnahme der Reaktorsicherheitskommission noch eingeholt werden.

Die Sprecherin der hannoverschen „AG gegen HTR-Modul“, Anna Masuch, ist auch heute noch der Überzeugung, daß „jedes standortunabhängige Genehmigungsverfahren schlicht verfassungswidrig ist“. Für die hannoverschen HTR-Gegner stellt der Rückzug des Umweltweltministeriums „einen großen Sieg der Bevölkerung in der BRD“ dar.

Für Anna Masuch zeigt der Ausgang des Verfahrens, daß es in der Bundesrepublik keine Akzeptanz mehr für die Atomenergie gibt. Feiern wollen die HTR-Gegner allerdings erst, wenn das Umweltministerium den standortunabhängigen Genehmigungsantrag förmlich abgelehnt hat.

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