Was passiert im Wannsee-Reaktor?

■ Zehn-Megawatt-Reaktor und Kalte Neutronenquelle

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Der HMI-Reaktor dient weder, wie kommerzielle Atomkraftwerke, der Energieerzeugung, noch handelt es sich um einen Demonstrationsreaktor für irgendeine „fortgeschrittene Reaktorlinie“. Objekt wissenschaftlicher Begierde sind vielmehr ausschließlich die während der Atomspaltungsprozesse im Reaktorkern erzeugten Neutronen. Sie werden mit Stahlrohren vom Reaktorkern weg und den um den Kern angeordneten Experimentierstationen zugeleitet.

Wie in optischen Mikroskopen das Licht oder in Elektronenmikroskopen die negativ geladenen Elektronen dienen die ungeladenen Neutronen den HMI-Forschern als „diagnostisches Instrument“, um Einblick in den Aufbau verschiedener Stoffe zu erhalten, bis hin zur Anordnung einzelner Atome und ihren Bewegungen im Festkörper. Dazu schießt man Neutronen möglichst gleicher Geschwindigkeit auf die zu untersuchende Probe, an deren Atomen sie auf charakteristische Weise gestreut werden. Die Verteilung der gestreuten Neutronen wird mit Detektoren gemessen und mit Hilfe spezieller Computerprogramme ausgewertet.

Zwei Maßnahmen sollen, sofern Genehmigungsbehörde und Verwaltungsgerichte mitspielen, die Palette der Experimentiermöglichkeiten ab 1990 erheblich vergrößern.

1. Die Verdoppelung der thermischen Leistung des Reaktors von fünf auf zehn Megawatt:

Mit der thermischen Leistung erhöht sich auch die Zahl der im Reaktor erzeugten Neutronen und damit der Neutronenfluß, der für die Experimente zur Verfügung steht. Künftig können Untersuchungen durchgeführt werden, für die die Strahlungsintensität bisher zu gering war.

2. Einbau einer Kalten Neutronenquelle (KNQ):

Mit der KNQ werden Neutronen, die den Reaktor üblicherweise mit Geschwindigkeiten um zwei Kilometer pro Sekunde (thermische Neutronen) verlassen, auf nur einige Meter pro Sekunde (kalte Neutronen) abgebremst. Kalte Neutronen eignen sich insbesondere zur Untersuchung von Ausscheidungen in metallischen Werkstoffen, von biologischen Makromolekülen oder Kunststoffmolekülen.

Das Herz der KNQ besteht aus einem kleinen direkt am Reaktorkern angebrachten Behälter, der auf minus 250 Grad Celsius heruntergekühlten Wasserstoff enthält. An den tiefgekühlten Wasserstoffmolekülen werden die thermischen Reaktorneutronen gestreut und dabei auf die gewünschten niedrigen Geschwindigkeiten heruntergebremst.

Nach Auffassung der AL, der Kläger gegen die Umbaupläne und auch der Landes-SPD „erhöhen beide Maßnahmen das Risiko eines kerntechnischen Unfalls“ (SPD-Beschluß). Nach wie vor kann die einfache Werkshalle, die den Reaktor beherbergt, einen Hubschrauber- oder Flugzeugabsturz nicht überstehen. Das radioaktive Inventar, daß allerdings um zwei bis drei Größenordnungen kleiner ist, als in den großen kommerziellen AKWs, könnte vollständig in die Umgebung gelangen. Zusätzlich ist der Reaktor nach dem Einbau der KNQ auch „von innen“ bedroht. Dann nämlich, wenn alle Vorsorgemaßnahmen sich als nicht ausreichend erweisen und passiert, was nicht passieren darf: das Eindringen von Sauerstoff in den Wasserstoffkreislauf der KNQ. Wasserstoff und Sauerstoff bilden explosives Knallgas.

gero