piwik no script img

Sportsmen unter sich

■ Box-Weltmeisterschaft Mike Tyson - Frank Bruno, 26.2., 3.20 Uhr, ARD

1. Ich meine, es ist doch wahr: da kommt man müde aus der Batschkapp heim und will nur noch mal schnell nachsehen, ob in der Glotze schon alles duster ist - und da begrüßt einen dieser Typ mit „Guten Morgen“.

2. Aber dem habe ich eine genau auf den Ausschalter verpaßt! Bis neun gezählt - „Du sagst nicht mehr 'Guten Morgen‘ zu mir, wie meine Mutter früher, wenn ich aus der Disco zu spät nach Hause kam, Du nicht“ - und ihn dann wiederbelebt.

3. Da war nämlich ein Boxring im Bild. Und seitdem ich damals den Kampf von Frazier gegen Ali verschlief, war die Frage für mich offen, wer von beiden nun eigentlich Weltmeister ist.

4. Aber ganz schön dürr waren sie geworden, irgendwie. Und hauten da trotzdem aufeinander ein, Junge, Junge, daß es eine wahre Schlacht war. Dann ging der eine technisch k.o. und ein anderer Kampf ging los.

5. Der Typ hatte sich mittlerweile von dem Niederschlag erholt und fand seine Sprache wieder: „Vorkampf“ stammelte er, und „Superfedergewicht“, irgendwer gegen irgendwen. Hauptkampf: „Tyson gegen Bruno“. Kein Wort über Ali und Frazier - zeige mir einen Freund, der Dich nicht enttäuscht!

6. Da brauchte ich erstmal einen Whiskey und ein Bier und 'ne Zigarre. Sie verstehen schon, nicht wahr: Frustration in Verbindung mit einer unzureichenden Problembewältigungsstrategie - und außerdem: Atmosphäre muß sein!

7. Endlich merkte mein Bekannter, daß ich Ali erwartet hatte, und stellte mir die Kämpfer vor: Zunächst Bruno. Ein netter englischer Gentleman, wie er im Park mit seiner Freundin Rollschuh läuft. Ein freundlicher Bär mit einer schweren Jugend und seiner kleinen Großmutter im Rucksack, die er überallhin mitnimmt, auf daß sie nicht ins Altersheim komme. Aber zugehauen hat er trotzdem. Ich habe es genau gesehen.

8. Dann Tyson: Das wilde Tier aus der Bronx, wie es kleine gebratene Kinder frißt. Oder komme ich jetzt mit dem Video durcheinander, das ich mir letztens ausgeliehen hab. Anyway: Eine Hau-drauf-Maschine ohne Ordnung, die ihren Trainer rausschmeißt, sich auf der Straße prügelt und bestimmt schon im Gefängnis war! Es sagt ja keiner, aber raushören tut man es doch. Beruhigt, daß auch, wenn zwei Schwarze gegeneinander kämpfen, unsere Welt noch klar sortiert ist, genehmigte ich mir meinen ersten.

9. Jetzt kamen die Kämpfer. Zuerst wieder Bruno, zaghaft, als ob er sich schämte, kein Tänzer geworden zu sein. Dann Tyson. Brutal und ekelhaft, wie wir ihn haben wollen. Beides Kerle, denen selbst Sylvester Stallone Platz machen würde, wenn sie ihm auf dem Ho-Chi-Minh-Pfad entgegenkämen.

10. Lange Gerade. Tyson haut wie üblich zu, Bruno schummelt und kloppt auf den Rücken. Whiskey! Bruno hält sich schon über neunzig Sekunden. Die Fans toben und ich mittendrin. Erste Runde, zweite Runde - hey man, you're holding, you're holding, pah, Hauptsache, er gewinnt - dritte Runde, vierte, der haut ja die ganze Zeit weiter, fünfte Runde, Mann, wo ist denn das Bier verdammt, paß doch auf Bruno. Bruno A6 Whiskey - Tyson F5, Treffer! Bruno angeschossen, Bruno versenkt.

11. War ja ganz klar, daß er verliert. Deshalb war ich ja für ihn. „Das Leben“, dachte ich, „ist es nicht ein sinnloses Hin und Her, ein Kampf in einem Ring, der keine Ränder hat, so daß man nicht aus ihm entfliehen kann. Man kommt auf die Welt, und wirft das Handtuch. Und während es fällt, kassiert man Wirkungstreffer.“ Das alles dachte ich natürlich nur, weil kein Bier mehr im Kühlschrank war, und ich vor diesem materialistischen Versorgungsmangel in die Welt des Scheins und der Ideen floh.

12. Die große Glühbirne hängt schon hoch am Himmel und den Film über Edison habe ich halb verpaßt. Um mich herum die leergetrunkenen Spuren eines wilden Fights, im Hirn ein dumpfes Dröhnen. Warum machen die das nur? So aufeinander einzuprügeln. Der ganze Tag ist versaut. Sich das anzugucken. So ein verdammter Schwachsinn. Und dann hab ich da auch noch dies schwere Ding kassiert: Leberhaken, Marke Chivas Regal wahrscheinlich. Aber was soll's: Dabeisein ist alles!

Ralf Rottweiler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen