Nr. 005 berichtet aus dem Bunker

Telefonat mit Gertrud Schilling, Abgeordnete der Grünen im Gemeinsamen Ausschuß, eine Art Ersatzparlament im Verteidigungsfall, während der Wintex-Übung im Regierungsbunker  ■ I N T E R V I E W

taz: Hallo, hier ist die tageszeitung.

Gertrud Schilling: Ja, hier ist Gertrud Schilling, aus dem Regierungsbunker. Ich bin heute nacht hiergeblieben; die anderen vom Gemeinsamen Ausschuß wollten alle nicht.

Das ist ja ein Ding. Was treibt Ihr da eigentlich, wie sieht es überhaupt im Bunker aus?

Das ist riesig hier, man kann sich leicht verirren. Das ist ja ein alter Eisenbahnstollen. Der Hauptstollen ist mehrere Kilometer lang, und dann gibt es diverse Seitenstollen. Das sind ganz schmale Gänge von ungefähr 1,80 Meter Breite, und da fahren solche Elektrokarren durch, also da kommen zwei so gerade haarscharf aneinander vorbei. Wenn du hier aus dem Büro rauskommst, mußt du aufpassen, daß dir keiner über die Füße fährt. Da ist wohl auch schon einiges passiert. Überall hängen Schilder „Achtung Fahrbetrieb auf Hauptgang“.

Wieviele Leute sind denn da drin? Ist das ein hektisches Gewimmel?

Man sagt uns, 2.000 Leute wären jetzt hier drin, aber davon sind die Hälfte Bedienstete, die den Betrieb aufrechterhalten, also kochen, saubermachen und so weiter. Im Ernstfall sollen 10.000 Leute hier rein. Übrigens ist dieser Bunker gar nicht amtombombensicher, das ist eigentlich ganz erstaunlich. Aber trotzdem heißt es, Ausfliegen der Bundesregierung nach Orlando oder so, das wär‘ nicht.

Du hast eben etwas von Büro gesagt. Hast Du etwa ein eigenes Büro.

Ja, ja, jeder vom Gemeinsamen Ausschuß hat hier ein Büro. Es gibt sogar Fraktionsräume, damit man sich getrennt beraten kann. Und dann ein Schlafraum, also Einzelzimmer, mit Bett, Bundeswehrspind und Stuhl. Du hast immer das Gefühl, du mußt ein Fenster aufmachen. Aber ist ja nicht. Hier gibt es sogar eine Post, richtig mit Postzeichen, da bekommt man dann die geheime Post nach einem bestimmten Ritus.

Wie sind denn die Sicherheitsvorkehrungen?

Das ist natürlich vom Bundesgrenzschutz bewacht. Ich habe eine Besuchermarke bekommen, „005“, mit Dienstsiegel, das muß ich dann die ganze Zeit umhaben. Am Eingang haben wir ein Paket bekommen, mit einer Fluchthaube...

Wie bitte?

Ja, Fluchthaube für den Brandfall. Das ist so ein Ding, sieht aus wie eine Schmetterlingstrommel, da hast Du für 20 Minuten Sauerstoff drin, und die 20 Minuten sollen ausreichen, damit Du in eine sicherere Zone kommst. Aber wo die ist, hat man uns nicht gesagt. Also, wenn hier irgendwie was passiert, dann ist bestimmt die Hölle los.

Was bekommt Ihr denn von der Wintex-Übung überhaupt mit? Wie weit ist der Russe denn jetzt?

Also, das ist alles ziemlich popelig. Der Gemeinsame Ausschuß kann überhaupt nicht nachprüfen, was ihm hier vorgesetzt wird. Es gibt gar keine Kommunikationsstränge unabhängig von der Regierung. Zum ersten Mal haben sie diesmal richtig Bundestag simuliert, also noch die Vorstufe vor dem Gemeinsamen Ausschuß. Das haben wir aber auch leider nicht sehen können. Ganz interessant ist, daß sie die Nato -Doktrin des „Stay put“, also „Bleib zu Hause“, für die Bevölkerung als weitgehend wirkungslos einschätzen. Man rechnet mit 2,7 Millionen Flüchtlingen aus dem Bundesgebiet, dazu kommen noch mal 1,8 Millionen, die aus grenznahen oder sonstwie gefährdeten Gebieten evakuiert werden sollen.

Ja, Getrud, dann noch einen schönen Abend im Bunker. Gibt's denn wenigstens Bier?

Diesmal habe ich hier noch keins gesehen. Aber vor zwei Jahren haben sie nachher jede Menge leere Bierflaschen rausgefahren, immer Klopapier rein und Bierflaschen raus.

am taz-Telefon: Ch. Wiedemann