Sinti und Roma weiter im Hungerstreik

Hungerstreikende in Hamburg fordern Bleiberecht für von der Abschiebung bedrohten Roma / Abschiebung einer Familie wegen Verfahren vor Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte zunächst ausgesetzt  ■  Aus Hamburg Oliver Neß

Seit nunmehr 18 Tagen sind in Hamburg Angehörige der Volksgruppe der Roma und Sinti im Hungerstreik. Die 20 Männer wollen mit ihrem Hungerstreik auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme ein Bleiberecht für alle 700 in der Hansestadt von der Abschiebung bedrohten heimatlosen Roma durchsetzen. Einer der Roma-Familien will die schleswig-holsteinische Stadt Norderstedt jetzt die Aufnahme anbieten.

In den letzten Wochen überzog die Hamburger Ausländerbehörde die Roma mit einer Ablehnungsflut für Anträge auf Asyl oder Aufenthalt. Die Situation eskalierte Mitte Januar am Fall der zehnköpfigen Familie Adzovic, nachdem der Familienvater sich mit drei seiner Kinder verbrennen wollte. Im Anschluß begann ein rund vier Wochen dauernder Nervenkrieg, der am 15.Februar mit der offiziellen Ablehnung der Anträge auf Aufenthaltsgenehmigung endete. Die Innenbehörde - an der Spitze Innensenator Werner Hackmann (SPD) - drohte mit „Zwangsmaßnahmen“. Stündlich wurde die Abschiebung der staatenlosen Adzovics nach Jugoslawien befürchtet.

Die Roma-Familie, Vater und Mutter haben in Jugoslawien mit mehrjährigen Haftstrafen zu rechnen, flüchtete sich in eine Kirchengemeinde im Hamburger Stadtteil Wandsbek. Angesichts der schlimmen Erfahrungen mit der rigiden Abschiebepraxis in Hamburg kamen die Roma- und Cinti-Union (RCU) und das Unterstützerbündnis aus rund 40 Gruppen und Organisationen zu dem Schluß, daß in der Hansestadt eine Kirche kein Schutz vor einer gewaltsamen Abschiebung ist.

Der Fall der philippinischen Seemannsfrau Susann Alviola aus dem Jahre 1986 war allen noch gut in Erinnerung. Damals holte die Ausländerpolizei mit brutaler Gewalt die Mutter mit ihren Kindern aus einer Kirche und schob sie auf die Philippinen ab.

In dieser Situation entschloß sich die RCU am 18.Februar zum Hungerstreik. Die jetzt noch 20 hungerstreikenden Roma sind fest entschlossen, ihre Aktion bis „zum Allerletzten“ fortzusetzen. Der nunmehr ebenfalls seit 18 Tagen hungernde Vorsitzende der RCU und Spitzenkandidat der Grünen für die Europawahlen, Rudko Kawczinsky, sagte der taz: „Es gibt jetzt kein Zurück mehr. Wir machen das hier für unsere Kinder. Für die müssen wir das Bleiberecht erkämpfen: Siegen oder Sterben.“ Der Pressesprecher der Roma- und Cinti-Union, Michel Lang, erklärte: „Die Hinhaltetaktik des Senats wird hier den einen oder anderen in den Tod treiben. Jetzt hört von uns aber keiner mehr mehr auf“.

Schwere gesundheitliche Schäden sind bereits jetzt die Folge des konsequenten Hungerstreiks. So mußte Ende letzter Woche ein Hungerstreikender wegen schwerer Stoffwechselstörungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Als er dort Nahrung zu sich nehmen sollte, türmte er und beteiligte sich noch am selben Tag wieder am Hungerstreik.

Für die Familie Adzovic gibt es unterdessen eine Chance, in der Bundesrepublik zu bleiben. Die Stadt Norderstedt, an der Hamburger Landesgrenze in Schleswig-Holstein gelegen, wird nach Information der taz der Familie heute die Aufnahme anbieten.

Ein Ende des Hungerstreiks bedeutet dies aber nicht. Denn den Hungerstreikenden geht es um das uneingeschränkte Bleiberecht für alle in Hamburg verfolgten Roma und Sinti. Der Hamburger Innensenator Hackmann war bis Mitte letzter Woche zu keinen Zugeständnissen bereit. Erst die Veröffentlichung einer behördeninternen Dienstanweisung im Hamburg-Teil der taz erinnerte den SPD-Hardliner an Recht und Gesetz.

Danach ist ein Asylverfahren noch nicht endgültig abgeschlossen, wenn eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig ist. Eine solche Beschwerde wurde bereits vor einigen Wochen vom Anwalt der Adzovics eingereicht. Daraufhin erklärte der Innensenat, die Roma bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu dulden.