: MITTELSTANDSTRAUM
■ Filme von John Cassavetes im Arsenal
In Big Trouble, Cassavetes‘ letztem Film, wird ein Genre durchbrochen: Das Geheimnisvolle der Schwarzen Serie wird ausgedeutet, ausgeprochen, ausgeleuchtet. Die Ermordung des Ehemanns, um an dessen Lebensversicherung zu gelangen, von einer berechnenden Blondine und einem ihr verfallenen Versicherungsagenten geplant, nimmt hier einen überraschenden Verlauf. Peter Falk spielt den aus dem Weg zu räumenden Macho-ehemann im Abenteuer-Safari-Anzug, der Chinesen ans Hotel Excelsior verkauft und sie dafür mit Anträgen für eine goldene American-Express-Card entlohnt. Die berechnende Blondine ist die ihren Ehemann heiß liebende Blanche und der brave Versicherungsagent Leonard ist nicht der Versuchung verfallen, sondern träumt.
Big Trouble ist wie Gloria und Killing of a Chinese Bookie ein Gangsterfilm, der keiner ist. Gemeinsam ist ihnen zwar ein ausgefallenes Ambiente, aber dies zeigt die Normalität biederer Träume um so deutlicher: Leonard, der Versicherungsagent, dem es in der Seele wehtut, daß „Terroristen“ seinen schönen Korridor, wo er seit 20 Jahren zur Arbeit geht, in die Luft sprengen wollen; Mr. Sophistication, der Nachtklubbesitzer, der stolz die letzte Rate für sein Lokal an die Mafia leistet, als handele es sich um sein Eigenheim, oder Gloria, die wie eine Löwenmutter mit stets schußbereiter Pistole und ständig wechselnd gestylter Garderobe einen kleinen Jungen vor Gangstern verteidigt.
Es sind weniger die Sujets, die Cassavetes‘ Filme interessant machen als die SchauspielerInnen und die Kameraführung. Er legte mehr Wert auf die Darstellung als auf die Handlung, und die Kamera hatte der Darstellung zu folgen. Den Schauspielern folgen, einem Gespräch folgen. Dem selbstgefälligen Zelmo, der in Minnie und Moskowitz Minnie die Beschaffenheit ihres Charakters erklärt. Dicky und Maria, die in Faces, der quälenden Geschichte einer 14jährigen Ehe, wörtlich und bildlich ihre Gesichter wahren und verlieren. Der sich selbst entrückten und verrückt werdenden Mabel Longhetti in A women under influence. Mabel fragt ihren Ehemann: „Wie soll ich sein?“ - „Ganz du selbst“, ist die Antwort. Diese Erkenntnis hatte Lelia in Cassavetes‘ Erstlingswerk Shadows selber gemacht, ohne daß dies ein freundlicher Herr initiiert oder erklärt hätte.
Klein
Filme von John Cassavetes bis zum 22. März im Arsenal.
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