: Bonn grüßt Berlin: Haut auf diese Stadt!
CDU entfesselt Schlammschlacht um Berlin / Aktuelle Stunde im Bundestag / Schwarze Monstershow soll Stimmen bei Hessenwahl sichern / Lambsdorff wärmt Kalte-Kriegs-Parolen auf / Berlin: Diepgen spricht von Volksbegehren / SPD-AL erarbeiten Präambel ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski
Schlammschlacht satt und Tiefschläge massenweise: so profilierte sich gestern die Regierungskoalition bei der aktuellen Stunde des Bundestags zur Situation in Berlin. In der offenkundig von der CDU als Wahlpropaganda für die bevorstehende Hessen-Abstimmung inszenierten Redeschlacht wurde der SPD immer wieder „Wortbruch“ und „Wählertäuschung“ vorgeworfen. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Seiters - der vorgestern bereits in Berlin ein „Dossier“ über die „rot-grüne Monstershow“ verteilt hatte -, sah die SPD-Altvorderen Reuter und Schumacher im Grab rotieren. Die SPD mache sich erpressbar durch eine Partei, die die parlamentarische Demokratie verunglimpft, sorgte sich Seiters und erntete lautstarke Zwischenrufe. Der FDP-Vorsitzende Graf Lambsdorff kassierte Gelächter von Freund und Feind, als er fragte, wie wohl die SPD reagiert hätte, „wenn wir uns einen solch dreisten Wortbruch geleistet hätten“. Die SPD in Berlin sei auf dem „Weg zur politisch selbständigen Einheit West-Berlin“, wärmte er die Kalte-Kriegs-Parole der DDR auf. Lambsdorff drohte verbrämt, der Stadt den Geldhahn zuzudrehen: „Wir finanzieren nicht jeden rot-grünen Unsinn.“ In die gleiche Kerbe hieb die innerdeutsche Ministerin Dorothee Wilms (CDU). Bonn stehe zu seiner Bindung an Berlin, sagte Frau Wilms, allerdings sei das Bonner Engagement „keine Einbahnstraße“.
„Bitter weinen“ werde die SPD noch, weil sie ihre „rechtsstaatliche Tradition der Macht geopfert habe“, prophezeite der Abgordnete Johannes Gerster (CDU). Die AL habe „kein Verhältnis zur Demokratie“, predige den Kaufhausdiebstahl, unterstütze die RAF, diffamiere die Polizei als „Bullen“ und sammle Geld für Waffen für El Salvador.
Der Berliner SPD-Abgeordnete Gerd Wartenberg bedankte sich ausdrücklich bei Gerster für dessen Rede. Dies helfe der SPD, weil es offenbare, daß es der CDU nur um Diffamierung und nicht um die angebliche Sorge für den Bürger gehe. Die Sorge um rechtsstaatliches Verhalten sei vor dem Hintergrund des Berliner Bauskandals, den verurteilten CDU-Politikern und Lummers Kontakten zu rechtsradikalen Parteien „lächerlich“. Ausgerechnet die „Sekte“ FPD, die in Berlin nicht Fortsetzung auf Seite 2
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in der Lage sei, eine „Sektenführerin“ zu wählen, rede vom angeblichen Chaos, höhnte Wartenberg. „Sie sind der Kleinbürger, der Amok läuft, wenn er den Staat als Beute zu verlieren droht“, rief der grüne Abgeordnete Helmut Lippelt. Wenn in der CDU „Ordnung“ für Wohnungsnot, 100.000 Arbeitslose in Berlin, die „vollständige Korruption und Verfilzung“ des Verfassungsschutzes und „dumpf-rassistiche Töne“ gegen Ausländer stehe, dann sei die AL „gerne für das Chaos“, erklärte seine Fraktionskollegin Sigg Fries.
Die CDU habe keinerlei Berechtigung, einer AL-SPD-Koalition die Handlungsfähigkeit abzusprechen, sagte Heiz Westphal (SPD); schließ
lich mache die Regierungskoalition „jeden Tag vor, wie man es nicht machen kann“. Klar Schiff bei Zusammenarbeit
In Berlin schließt jetzt der geschäftsführende Bürgermeister Diepgen eine Initiative seiner Partei für ein Volksbegehren zur vorzeitigen Auflösung des Abgeornetenhauses nicht mehr aus. Den Zeitpunkt sehe er gekommen, wenn der SPD-AL-Senat die Stadt „in einen Exodus und in die Provinzialität“ treibe.
SPD und AL haben sich inzwischen auf eine Präambel für eine gemeinsame Politik geeinigt. Darin werden als wichtige Politikfelder Arbeit, Umwelt, Wohnungspolitik und eine liberale Innenpolitik benannt. Festgehalten wurde aber auch, daß die Partner „aus unterschiedlicher Tradition kommen und sich auch in Politikformen und -verständnis unterscheiden“. Kernstück und Schalt
stelle der küftigen Regierungspartner soll ein Koalitionsausschuß werden, dem neben dem Regierenden Bürgermeister die Vertreter der Parteiführungen von SPD und AL und den jeweiligen Fraktionsvorsitzenden angehören werden.
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