piwik no script img

„Eine rechtlich brenzlige Situation“

Professor Hans-Jürgen Papier, Leiter des Instituts für Umweltrecht an der Uni Bielefeld, zur fehlenden Rechtsgrundlage bei gentechnischen Freisetzungen  ■ I N T E R V I E W

taz: In der vergangenen Woche wurde von der „Zentralen Kommission für die biologische Sicherheit“ (ZKBS) erstmals ein Freilandversuch mit gentechnisch veränderten Organismen befürwortet. Ist die Genehmigung durch das Bundesgesundheitsamt nur noch eine Formsache?

Professor Papier: Die Frage ist schwierig zu beantworten, weil die Voraussetzungen einer derartigen Zulassung derzeit gar nicht gesetzlich geregelt sind. Man arbeitet, soweit es um den Umgang mit genetisch verändertem Material geht, nur mit einer Richtlinie der Bundesregierung. Eine Richtlinie ist eben kein Gesetz und deshalb nicht in der Lage, eindeutige und notfalls gerichtlich überprüfbare Voraussetzungen für eine derartige Zulassung zu normieren. Trotzdem vermute ich mal, daß nach der Befürwortung durch die ZKBS die Zulassung durch das Bundesgesundheitsamt bevorsteht.

Hart gefragt: Wäre eine solche Genehmigung ohne gesetzliche Grundlage rechtswidrig?

Nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes müßte der Gesetzgeber erstmal die grundlegenden Fragen beim Umgang mit gentechnisch manipuliertem Material regeln. Das ist noch nicht geschehen. Ich will nicht sagen, daß diese Genehmigung rechtswidrig wäre. Aber: Der Gesetzgeber ist bisher dem verfassungsrechtlichen Regelungsauftrag noch nicht nachgekommen.

Stehen Sie mit Ihrer skeptischen Bewertung der gegenwärtigen Rechtslage eher allein?

Die Auffassung, daß der Gesetzgeber grundsätzlich die Voraussetzungen und Grenzen des Umgangs mit manipuliertem lebendem Material regeln muß, wird von vielen geteilt. Das Bundesverfassungsgericht hat ja wiederholt entschieden, daß wesentliche Entscheidungen im grundrechtsrelevanten Bereich der Gesetzgeber treffen muß. Er darf das nicht der Exekutive überlassen. Die andere Frage ist, wie sind solche Genehmigungen im Einzelfall zu qualifizieren? Man könnte auch die Auffassung vertreten, daß ohne gesetzliche Regelung eine solche Genehmigung überhaupt nicht erforderlich wäre.

Nach dem Motto, was nicht verboten ist, ist erstmal erlaubt?

Genau. Das ist im Grunde die auch rechtlich brenzlige Situation. Allerdings ist für spezifische Formen des Umgangs mit gentechnisch manipuliertem Material eine Genehmigung schon nach bestehenden Gesetzen - etwa dem Bundesimmissionsschutzgesetz oder dem Bundesseuchengesetz erforderlich.

Verlangen Sie, bis zur Verabschiedung eines Gentechnik -Gesetzes zu warten und erst danach den Startschuß zu geben?

Das wäre auch für diejenigen, die das betreiben wollen, aus Gründen der Rechtssicherheit sinnvoller. Sie könnten sich dann auf eine klare gesetzliche Ermächtigung berufen.

Gilt auch der Umkehrschluß, daß Kritiker der aktuellen Freisetzungsversuche sich ermuntert fühlen können gegen eine zustimmende Entscheidung des BGA zu klagen?

Das kommt natürlich auch auf den speziellen Einzelfall an, inwieweit also von ihm ernsthafte Gefährdungen der Rechtsgüter Dritter ausgehen können. Aber ich halte prinzipiell eine Klagebefugnis potentiell Betroffener für denkbar. Gerade aufgrund der Tatsache, daß eine gesetzliche Grundlage derzeit fehlt, könnten sich Dritte dazu ermuntert fühlen.

Fehlt bei den Beteiligten Behörden und Expertengruppen die Sensibilität für dieses Problem?

An sich ist das keine neuartige Fragestellung. Die Forderung des Vorbehalts des Gesetzes ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Grunde Gemeingut. In wichtigen Urteilen des Gerichts auch zur friedlichen Nutzung der Kernenergie, wird gefordert, daß die wesentlichen Entscheidungen insbesondere über das von Dritten zu tragende Restrisiko der Gesetzgeber treffen muß.

Der Kölner Petunien-Versuch soll offenbar trotz der von Ihnen beschriebenen Rechtsunsicherheit genehmigt werden. Warum diese Eile?

Ich vermute, daß diejenigen, die die Versuche planen, drängen und auch auf die Möglichkeit verweisen, derartiges im Ausland zu machen. Man hätte der ganzen Problematik dadurch entgehen können, daß man beizeiten ein entsprechendes Gesetz verabschiedet hätte. Die Probleme liegen seit Jahren auf dem Tisch. Noch 1985 lautete die These der Bundesregierung, daß ein gesetzlicher Handlungsbedarf überhaupt nicht bestünde.

In dem in dieser Woche bekanntgewordenen Gesetzentwurf der Bundesregierung ist eine Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen nur in Ausnahmefällen vorgesehen. Ist das vertretbar?

Ich möchte mich jetzt nicht dazu äußern, ob so etwas politisch opportun ist. Verfassungsrechtlich ist es nicht erforderlich, daß der Gesetzgeber eine Beteiligung der Öffentlichkeit schlechthin vorsieht. Man muß überlegen, ob durch den Umgang mit gentechnisch manipuliertem Material in die Grundrechte Dritter eingegriffen werden könnte, etwa in das Grundrecht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Gesundheit. In solchen Fällen wird man eine Beteiligung Dritter im Verwaltungsverfahren vorsehen müssen. Den völligen Verzicht auf die Beteiligung Betroffener im Verwaltungsverfahren hielte ich für verfassungsrechtlich problematisch.

Interview: Gerd Rosenkranz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen