: "Nicht freundliches Lächeln, sondern Arbeit zählt"
■ Walter Momper zur Frage der AL-Senatorinnen, zur Einbindung in die Gewerkschaft, zur Beziehung mit der DDR
taz: Im 'Spiegel‘ von diesem Montag wird berichtet, daß Honecker Sie mit einem Angebot über Reiseerleichterungen für West-Berliner in die DDR stützen will. Ist das nicht gerade in dieser Situation - Schüsse an der Mauer - ein schlechter Anfang, obwohl es ein gutes Angebot ist, im falschen Moment der richtige Rückenwind?
Walter Momper: Wenn die DDR etwas in bezug auf West-Berlin verbessern will, dann kann das nie schaden. Die Einzelheiten müssen aber eh noch besprochen werden.
Wie schätzen Sie die Situation in der DDR ein. Kann man von einer Linie der DDR-Politik sprechen, die in gewissem Sinne für rot-grün in West-Berlin optiert?
Ich kann das nicht beurteilen, wäre aber eher skeptisch. Die DDR verhält sich doch erkennbar für jeden ganz nach ihrer Interessenlage. Auch mit der DDr kann es nur einen vernünftigen Interessenausgleich geben. Freundlichkeiten vermag ich da nicht entdecken. Was den Interessenstandpunkt der DDR angeht, muß man sich daran erinnern, daß drei Tage vor der Wahl die Vereinbarung über das Südgüterbahnhofsgelände von der DDR unterzeichnet worden ist. Das Ergebnis lag über ein halbes Jahr verhandelt vor. Klar, daß es Diepgens Interesse war, noch einen Stich für die Wahl zu bekommen und die DDR hat ihm das gewährt. Vor dem 29. Januar gab es, wenn überhaupt, Hilfe für den regierenden Senat und für niemanden sonst.
Mit den Schüssen an der Mauer und dem dramatischen Fluchtversuch gibt es ja eine deutschlandpolitische Verschärfung. Hausmann hat seinen Besuch auf der Leipziger Messe abgesagt und andererseits fährt ihr Parteifreund Johannes Rau zur Messe. Was hätten Sie denn an Raus Stelle gemacht?
Ich bin nicht in seiner Situation. Uns macht das natürlich sehr betroffen macht, wenn Menschen sich in einer Situation sehen, wo sie mit einem selbstgebastelten Ballon oder auf andere Weise aus der DDR flüchten müssen. Wir lassen jedenfalls nicht locker in punkto Menschenrechte - auch nicht gegenüber der DDR. Das haben wir in den Gesprächen mit der SED in den letzten Jahren auch nicht getan. Da sind wir auch weiterhin standhaft. Aber damit verändert man noch nichts. Es hilft letzten Ende nur weiter, wenn man das Gespräch sucht und mit der anderen Seite auch über diese Punkte redet, die Kritik vorbringt. Ich halte deshalb Besuchsabsagen immer für den falschen Weg. Die DDR muß sich aber genauso an die KSZE-Akte halten wie jeder andere Staat auch, der sie unterzeichnet hat. Der Abbruch des Dialogs hat jedenfalls noch keinem Flüchtling an der Mauer etwas genutzt.
Auf der Liste der „Angebote der DDR“ steht ja auch die Frage der Reiseerleichterung für die West-Berliner. In welchem Rahmen wurde mit der SED bisher eigentlich darüber diskutiert. Geht es um eine Gleichbehandlung mit den Bundesbürgern, um die Abschaffung der Visa-Anträge.
Wir sind für eine Entbürokratisierung des Verfahrens, damit man das wunderschöne Umland der Stadt für touristische Zwecke auch spontaner nutzen kann, als es bisher der Fall ist. Wie weit das zu realisieren sein wird, das muß zu gegebener Zeit verhandelt und geregelt werden.
Liegt denn ein präzisiertes Angebot für die Reiseerleichterungen auf dem Tisch oder ist das Verhandlungsmasse?
Erstens sind wir noch nicht der Senat und zweitens werde ich das, was aus der Sicht des Senats erforderlich ist in der Regierungserklärung sagen. Dann wird man über solche Fragen mit der anderen Seite in Gespräche eintreten.
Sehen Sie durch die veränderte politische Großwetterlage, durch Gorbatschow besondere positive Auswirkungen für Berlin? Oder ist das nur ein abstrakter Eindruck?
Es ist ja schon viel in der kulturellen, in der wirtschaftlichen, in der wissenschaftlich-technischen Kooperation in Gang gekommen. In dem Maße, in dem die osteuropäischen Länder daran gehen massiver ihre Volkswirtschaften zu modernisieren, wird zwangsläufig westliches know-how und westliche Technik stärker gefragt sein. Da muß man sich dann die Frage der Finanzierung überlegen. Aber ich denke, Kredite werden aller Welt gegeben, warum nicht auch verstärkt an die osteuropäischen Staaten. Berlin kann mit den Kapazitäten, Fähigkeiten und dem know-how unserer Industrie, vor allem auch der kleinen und mittleren Betriebe, die viel zu wenig in den Ost-West -Austausch, in den Handel und die Kooperation einbezogen sind, viel leisten.
Das signifikanteste Ereignis für ein verändertes Ost-West -Verhältnis ist für mich in den letzten Wochen der polnische Markt hier am Reichpietschufer gewesen. Betroffen gemacht hat mich vor allem die wi ich finde überzogene Reaktion der Ordnungsbehörden. Wie haben Sie diesen Markt erlebt. Werden Sie den schnell errichteten Zaun am Potsdamer Platz wieder einreißen, der da errichtet wurde um den Handel zu unterbinden?
Die meisten Berliner wissen ja nicht, daß für die Polen die Antwort auf die Frage, wo das größte Kaufhaus Polens sei? West-Berlin lautet. Da das so ist, ist auch nichts dagegen einzuwenden, daß die Polen ihrerseits Waren hier verkaufen. Das darf natürlich nicht dazu führen, daß alle Kriterien in Hinsicht aufs hiesige Lebensmittelrecht oder die Zollregulungen bei Schnaps- und Zigaretteneinfuhr unterlaufen werden. Wenn man gewährleisten kann, daß diese wirklichen Mißstände nicht eintreten, ist nichts dagegen zu sagen, daß Besucher aus Polen wie das bisher am Krempelmarkt auch schon gewesen ist, halt Antiquitäten, Güter des handwerklichen Bedarfs oder was es sonst noch schönes aus Polen gibt, verkaufen, um sich mal 'ne Devisenmark zu verschaffen, die letztlich ja wieder auf den westlichen Devisenkonten landet. Problematisch ist natürlich das ungeheure Ausmaß gewesen, andererseits war es ein bischen orientalisches Treiben und das fand‘ ich auch gut. Das darf aber nicht zu Problemen der Versorgungslage in Polen führen.
Eine große Markthalle auf dem Gelände des Anhalter -Bahnhofs?
Da nun gerade nicht, aber der Krempelmarkt ist geeignet für solche Zwecke.
Für den Zaun sind Sie jedenfalls nicht.
Nö. Der Zaun hat doch gar keinen Sinn.
Es wird immer von der zweiten Phase der Entspannung in der SPD gesprochen, wenn man sich die DDR anschaut, den Machtkampf um die Honecker-Nachfolge, fällt es schwer sich den Partner für diese zweite Phase der Entspannungspolitik vorzustellen. Wo ist da eine neue Qualität möglich?
Ich sehe schon eine neue Qualität in dem, was die SPD als Oppositionspartei bundesweit vorgeschlagen hat. Eine atomwaffenfreie Zone ist eine neue Qualität mit erheblichen Auswirkungen, chemiewaffenfreie Zone wäre ein gewaltiger Schritt voran. Keine Nachrüstung bei den Kurzstreckenwaffen wäre ja auch schon ein Erfolg. Man kann schon eine neue Qualität der Entspannung erreichen. Das wird ja auch deutlich daran, was in den einzelnen KSZE-Körben drin ist, sei es im Kooperationsbereich als auch in der Frage der Menschenrechte. Richtig ist natürlich, daß das die inneren Verhältnisse und Strukturen überall verändert, bei uns im Westen auch. Der Wettbewerb mit den osteuropäischen Ländern wird einfach stärker werden, ich will gar nicht sagen der materielle, sondern der geistig-politische Wettbewerb. Man sieht ja, wie sich die inneren Verhältnisse in allen osteuropäischen Ländern verändern und ich bin überzeugt davon, daß diese Entwicklung an der DDR nicht vorbeigehen wird.
Nehmen wir einmal etwas an, was wir nicht hoffen. Unmittelbar vor ihrer Regierungserklärung kommt es wieder zu einem gescheiterten Fluchtversuch. Da können Sie doch dann nicht von der zweiten Phase der Entspannung reden...
Ich sage Dialog und Entspannungspolitik muß sein, und muß von westlicher Seite vorangetrieben werden. Auf den Dialog darf man nicht verzichten. Auf der anderen Seite, wenn es wieder zu den alten schlimmen Verhältnissen an der Mauer kommt und hemmungslos auf Flüchtende dort geschossen wird, dann müssen wir das so klar verurteilen, wie wir das auch in der Vergangenheit getan haben. Wenn an der Mauer jemand totgeschossen wird, dann nutzt das nicht dem Frieden, es dient nicht der guten Nachbarschaft sondern es wirft die DDR um Jahre zurück.
Sechs Fragen zu der neuen Regierung. Wenn Sie gewichten könnten, wo ist ihre Hauptsorge bezüglich der neuen Koalition? 1. Betrifft sie eine Rechte Kampagne von Wirtschaft und Volksbegehren der CDU? 2. Sind die Erwartungen zu hoch an eine rot-grüne Regierung? 3. Wo können die Anfangserfolge liegen? 4. Wie stark ist diese Regierung abhängig von Strömungen innerhalb der AL, von instabilen Situationen der Mitglieder vorgestellt bei einem Bush-Besuch? 5. Die Frage nach den Verwaltungen, den Behörden, die nicht auf eine rot-grüne Koalition vorbereitet sind, die ein Programm umsetzen müssen, was sie noch nie hat umsetzen müssen. 6. Wird die Koalition nicht in einen Dauerinterpretationsstreit um die Grundlagen, das Koalitionspapier ausarten?
Vor der rechten Kampagne habe ich überhaupt keine Angst. Sie schweißt rot-grün eher zusammen, weil sie so maßlos ist. Man sieht ja auch am Frankfurter Wahlergebnis vom Wochenende, daß sie ihre Wirkung ziemlich verfehlt. Gesellschaftlich ist sie für die Bundesrepublik eine ziemliche Katastrophe. Sie läuft letzten Endes nur darauf hinaus, die Rechte zu kräftigen. Zur Berechenbarkeit der AL: Da bin ich heute viel optimistischer, als ich es vor 14 Tagen noch war. Die Diskussion in den Verhandlungskommissionen ist ja auch ein enormer Selbstverständigungsprozeß beider Seiten miteinander, natürlich auch untereinander gewesen. Das ist eine gute, sehr stabile Basis für die Koalition auf längere Sicht. Ich teile die Sorge um einen Interpretationsstreit nicht. Außerdem ist genügend Vorrat an gemeinsamer Basis da um das ausräumen zu können. Meine größte Sorge ist die, daß diejenigen, die von der AL in den Senat entsandt wurden und die für sich gesehen sicherlich sehr sachkundige und politische Frauen sind, daß die zu wenig in die AL integriert, zu wenig Repräsentanten der AL sind. Ich sehe ein bischen die Gefahr, daß es sich um eine Staatssekretärinnen-Runde von hervorragenden Fachleuten und sicherlich politischen Köpfen handelt aber die Partei AL zu wenig eingebracht wird. Da habe ich schon Sorge. Denn das bedeutet, daß allzu leicht Regierung sich aus dem Senat herausverlagert und die politische Regierung andern Orts gemacht wird. Zweitens: Die politische Dynamik, die der Verwaltungsapparat zusammen mit dem Senat entfaltet, all diese Prozesse, die da stattfinden, da habe ich Angst, daß die AL zu wenig eingebunden sein wird.
Sie hätten doch die Einbindung der AL haben können, Ströbele als Justizsenator
Darüber ist in der Verhandlungskommission geredet worden. Prinzipiell standen alle Ressorts zur Debatte.
Waren andere Namen im Gespräch als Ströbele?
Genau dies stand nicht zur Disposition unserer Partei. Natürlich kann man immer in die andere Partei hineinwirken und gewünschte Ergebnisse erzielen, aber das würde ich für falsch halten. Das gibt sozusagen genau die Knitter im Fundament einer Koalition, die man nachher nicht braucht. Das muß der Partner jeweils für sich entscheiden, welches Ressort und wen er haben will und mit wem er die Basis einer Koalition fundamentiert.
Aber das heißt nicht, das es prinzipiell den Standpunkt der SPD gab, Justiz niemals.
Überhaupt nicht. Ich habe natürlich eine politische Einschätzung, was zweckmäßig ist und was nicht, aber es hat keine grundsätzlichen Vorbehalte gegeben. Es gibt ein paar objektive Probleme, die man in dem Zusammenhang sehr wohl erörtern müßte, was gesellschaftliche Akzeptanz anbelangt, darüber ist ja immer ausführlich in den Verhandlungen gesprochen worden und darüber waren beide Seiten sehr reflektierend und klar.
Sie haben in Ihrer „Sorgenliste“ von politische schwachen Senatorinnen gesprochen.
Nein, nicht politisch schwach, nur die mögen starke Persönlichkeiten und Politikerinnen sein, sind aber nicht eingebunden, das wird ein Problem werden. Die Erwartungshaltung gegenüber der neuen Koalition ist außerordendlich hoch, der reale Spielraum in finanzieller und sonstiger Hinsicht ist vergleichsweise eng. Die Kürzungen, die wir im Haushalt einbringen müssen werden noch zu Heulen und Zähneklappern bei vielen Interessengruppen führen, was dann auch schon mit einer gewissen Kraft duchgesetzt werden muß und das wird nicht einfach werden.
Befürchten Sie nicht, so wie die Kandidatur der Frauensenatorin gelaufen ist, daß Sie dann doch große Schwierigkeiten haben, mit SPD-Frauen bei der Wahl. Sie mußten nicht nur schlucken, daß Frau Korthase nicht mehr im Spiel war, Sie mußten auch schlucken, daß jetzt eine Radikalfeministin an der Spitze ist.
Damit muß man sich mit auseinandersetzen. Daß wir keine Zuständigkeit im Bereich Frauen bekommen haben, das ist keine leichte Kröte gewesen, die der Landesparteitag geschluckt hat. Aber auf dem Landesparteitages ist doch ganz deutlich geworden, daß ein solches Reformbündnis, eben weil es auch einen deutlichen Schritt nach vorne darstellt in frauen-politischen Fragen, eine ganz breite Basis hat.
Kann denn der Ig Metall-Chef eine Philosophie in der Verkehrspolitik betreiben, die dem Fußgänger den Vorrang einberaumen soll? Ist das überhaupt möglich?
Warum nicht? Wieso kommen sie darauf?
Weil der IG Metall-Chef mit Sicherheit dem Autoverkehr, dem ADAC mehr verpflichtet ist, als den Fußgängern.
Wieso denn. Er ist als Senator Politiker wie jeder andere auch. So ein Vorurteil ist mir schlicht unbegreiflich. Erstmal ist ein sozialdemokratischer Senator, wie jeder Al -Senator auch, dem Koalitionspapier verpflichtet. Im übrigen kann ich nur sagen: Von der Notwendigkeit der Veränderung der Verkehrspoltik wird weder Herr Köpll noch ich den 40jährigen Facharbeiter, der sein Auto über alles liebt, überzeugen, sondern wenn überhaupt, dann schafft das jemand wie Horst Wagner. Kein Ideologe der autofreien Stadt eben.
Die politische Kultur der zahlreichen Verkehrsinitiativen hier - von denen so ein Verkehrsressort abhängt - hat doch wenig mit der Gewerkschaftskultur zu tun. Ich habe eher den Eindruck, daß das eine taktische Ressort-Besetzung ist, um die SPD-Rechte einzubinden?
Das versteh ich erst mal nicht. Ich will eins noch mal ganz deutlich machen: Wenn Sie sagen, es kann ja nicht gegen die Verkehrsinitiativen regiert werden, ist das richtig. Soll es ja auch nicht. Natürlich muß man die Kreativität vielfältiger Initiativen einbeziehen. Wir waren vor zehn Jahren auch noch für die Westtangente gewesen. Aber die SPD hat daraus gelernt. Das ist ja gerade das Kreative, was wir auch einfangen wollen. Aber: Es kann auch nicht gegen die Gewerkschaften regiert werden. Ob Kernkraft oder sonst etwas, hier in diesem Lande wird ein poltisches Reformbündnis nur laufen mit den Gewerkschaften oder gar nicht. Das ist der gemeinsame Lernprozeß, der von Gewerkschaften, Gesellschaft und SPD durchgemacht werden muß. Bei der AL sieht das etwas anders aus.
Sie haben sich auf ein Neubauprogramm festgelegt. Woher sollen eigentlich die Flächen für 7.000 Wohnungen per anno kommen. Sehen Sie da nicht eine grundsätzliche Konfliktlinie zwischen Koalitionspartnern.
Flächen gibt's genug in der Stadt, und zwar untergenutzte, wenig genutzte, Kriegsnotbebauung, zweistöckige, freie Grundstücke aus dem Krieg. Der Witz ist nur, sie nutzbar zu machen und sie ökologisch zu bebauen. Letzteres dürfte kein Problem sein. Das Problem besteht in der Nutzbarmachung. Es ist sehr oft in den Verhandlungen darüber gesprochen worden. - Es hat auch am Beispiel der Bebauung Moabiter Werder Verständigungen zwischen den Bauleuten und den Stadtplanern gegeben. Es gibt überhaupt keinen Dissens darüber, daß nicht in Beton, sondern möglichst ökologisch gebaut wird. Das Problem liegt eher im administrativen Vollzug: die Bezirke rücken ungern Grundstücke heraus.
Die Bezirke haben ja vielmehr Rechte nach den Koalitionsreibereien.
Ja, die haben heute schon eine Menge Rechte in diesem Bereich. Das sind objektive Zielkonflikte. Die muß man vernünftig austragen. Unsere Sorgen war, daß es zusätzlich zu den Schwierigkeiten mit den Bezirken auch Reibungsverluste zwischen den Ressorts geben würde. Aber jetzt ist ein Bewußtsein dafür da, daß die Koalitioon daran gemessen wird, welche Erfolge sie in diesem Bereich haben wird. Auch ist eine Koordinierungsstelle eingesetzt worden, die besonders diese Fragen der Grundstücksbereitstellung für Bauzwecke regeln wird. Aber weil für jeden Neubau auch ein Bebauungsplan gefordert wird, wird es bei Neubauten nur so an Einsprüchen von seiten der Nachbarn hageln. Das kann man eben nicht abstrakt zugunsten der einen oder anderen Seite oder zugunsten eines Kompromisses entscheiden. Es. ist ein sehr ehrgeiziges Ziel, die den 28.000 Wohnungen. Wir haben 20.000 Leute in Lagern und wir haben rund 10.000 Obdachlose in der Stadt. Allein für die muß Wohnraum geschaffen werden, und zwar schnell und viel.
Zum Streit vor Ort: Da sind gerade von Fachleuten aus Kreeuzberg gewisse Bedenken gegenüber Senator Nagel aufgekommen. Die meinen, der hat nicht die planersiche Sensibilität, hat zu wenig Erfahrung in der Bürgerbeteiligung.
Für alle rund 30 mir bekannten Senatorenkandidaten gibt es inzwischen jede Menge Briefe und Mitteilungen darüber, welche Vorbehalte da sind. Also da könnte ich Ihnen jetzt ganze Romane erzählen und zwar über ziemlich alle.
Wenn man den Aussiedlerzustrom für die nächsten Jahre hochrechnet, dann wird der Zustrom all das wegfressen, was eventuell als Neubauwohnung geschaffen wird. Die Lage auf dem Wohnungsmarkt wird gespannt bleiben. Warum äußert sich das Koalitionspapier nicht zu den Aussiedlern und zu der Frage der Kontingentierung?
Also erst mal ist die Verfassung so wie sie ist und sie ermöglicht es - was ich auh für richtig halte - jedem Deutschen freizügig hier Wohnsitz zu nehmen, wenn er das möchte. Außerdem: der Grundansatz liegt woanders. Man muß die Lebensbedingungen in den Ländern, in denen jetzt die Aussiedler leben - in Polen, in der UdSSR oder in Rumänien, nachhaltig verbessern. Man kann nicht nach Moskau fahren, und dann in Moskau sagen „Alle heim ins Reich“, ohne daß die Politik dafür auch nur eine einzige Voraussetzung geschaffen hätte. Da liegen die Hauptansatzpunkte. Ich glaube, daß die Länder sich darüber einig sind, daß man Maßnahmen treffen muß, um die Lebensbedingungen dort vor Ort zu verbessern.
Vollkommen richtig. Aber was sich da ändern muß, kann sich doch nur langfristig ändern und Sie müssen die Wohnungsnot kurzfristig beheben. Da haben Sie doch einen Zeitnachteil.
Natürlich. Bei neu auftretenden Problemen hechelt die Politik immer hinterher. Man kann natürlich wie bei Asylbewerbern verfahren, Grenzen dicht, Mauern hoch. Aber damit ist doch kein einziges Problem, und schon gar nicht das der betroffenen Menschen, geregelt. Übrigens, was den Wohnungsbau anbelangt, so glaubt doch kein Mensch, daß der Bund auf Dauer mit ihrer Haltung hinkommt, es ginge sie gar nichts an. Der gleiche Mann, der da „Heim ins Reich“ ruft, der tut hier im Lande so, als interessiere ihn das gar nicht. Die Bundesrregierung muß da schon noch ran müssen. Da wird der Druck aus allen Bundesländern stark werden und Berlin wird sich in die gleiche Reihe einreihen. Die Mehrheit in der Stadt muß ja, wie sie immer wieder betonen, noch gewonnen werden. Was sind die Signale, die jetzt kommen werden, die über das 150-Seitenprogramm hinausgehen.
Erstmal werden die 150-Seiten-Papiere nach und nach abgedruckt. Vieles wird im Fernsehen gezeigt. Selbst die westdeutschen Zeitungen haben relativ große Auszüge davon gebracht. Das Programm wird viele überzeugen und dann muß die Praxis einer Regierungstätigkeit die Zweifler überzeugen. Das hilft nun mal nichts, da gibt's keine Signale oder sonst wie gute Gesten oder freundliches Lächeln: Arbeit, Leistung und Erfolg zählt und sonst gar nichts. Und dafür werden wir arbeiten müssen.
Interview: mtm/K.H.
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