: Lehrstück
■ Memminger Richter wegen Befangenheit abgelehnt
Mit herzlicher Schadenfreude und großer Heiterkeit unterhält uns die jüngste Posse am Memminger Landgericht. Da ist der Richter, der sich als Scharfmacher profiliert und an die Frauen, die abtreiben ließen, fiese Fragen stellt. Am Ende ist er selbst in eine Abtreibung verwickelt. Da bemüht sich der Richter voller Eifer, eine soziale Notlage auf Geldmangel zu reduzieren. Als er selbst seine Freundin zur Abtreibung führte, hatte er als Staatsanwalt ein hohes und sicheres Gehalt.
War Richter Ott so scharf und gnadenlos, weil er selbst Probleme mit der Abtreibung „seines Kindes“ nicht bewältigte? Wurde er zum Anti-Abtreibungs-Fundi, weil er seine „Schuld“ auf die Frauen abwälzen wollte, die da als Zeuginnen vor ihm standen? Diesen tiefen Einblick in des Richters Seelengründe werden wir niemals erhaschen - dafür sind schließlich AnalytikerInnen zuständig. Aber scheinheilig ist des Richters Verhalten allemal, und dafür hat er nun von seinem Vorsitzenden die Quittung erhalten. Er strafte ihn mit Rausschmiß.
Ziemlich gleichgültig ist, ob Richter Ott sich damals selbst strafbar machte oder nicht. Denn die Stimmung in Memmingen und Umgebung ist nun gekippt. Mit dieser Enthüllung hat das Landgericht sein letztes Quentchen an moralischer Integrität verspielt. Die braven Katholiken und CSU-Wähler, die „Abtreibung ist Mord“ herunterleiern und deshalb diesen Prozeß guthießen, sind verprellt. Und nichts fürchtet die bayerische Dreieinigkeit aus CSU, katholischer Kirche und Justiz mehr als einen Stimmungsumschwung bei ihren Getreuen im eigenen Lande. Denn dann wäre dieser Prozeß ein doppeltes Desaster: nicht nur ein Lehrstück über Verfahrensfehler im Strafprozeß, sondern auch eine Schmierenkomödie über die verlogenen Hüter der Moral.
Gunhild Schöller
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