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TERROR DURCHS TELEFON

■ Das Arsenal zeigt Filme zum Thema

Vor allem die Cinematographie, gleich dem Telefon ein Kind des ausgehenden 19. Jahrhunderts, hat sich des dramaturgischen Potentials des Telefons wie kaum eine andere Kunstform zu bedienen gewußt. Angefangen vom Einsatz als Requisit in frühen Slapstickkomödien, hat das Telefon auf Zelluloid eine steile Karriere erfahren, die mit dem „Kino der weißen Telefone“ als Bezeichnung für den italienischen Vorkriegsfilm in der filmgeschichtlichen Benennung eines ganzen Genres gipfelt, zur stereotypen Salonausstattung der gehobenen Mittelschicht, in deren Milieu die Handlung der Filme angesiedelt ist, gehört ein weißer Tischapparat.

Die Bedeutung des Telefons hat die Ästhetik des Kinos selbst verändert. Telefonszenen eröffneten neue Möglichkeiten des räumlichen Szenenwechsels und der kostensparenden Weiterführung der Story. Die dem Telefonat eigene, besondere Beziehung von Nähe und Distanz“ führte zur Verwendung technischer Innovationen wie der „split screen“, die es durch eine Teilung des Bildkaders erlaubt, mehrere Gesprächsteilnehmer gleichzeitig auf der Leinwand darzustellen. Die „Nouvelle Vague“ nahm die Besonderheiten der fernmündlichen Kommunikation zum Anlaß, das Verhältnis von sprachlicher Intimität und visueller Zurschaustellung neu zu überdenken und zu thematisieren. Schließlich hat das Telefon im Film seine eigenen Formen der Ikonographie entwickelt. So wird beispielsweise die Telefonzelle, jener Raum auf dem schmalen Grat zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, in Gangsterfilmen meist als Ort des Verrats inszeniert, als gläserner Sarg, in dem der Tod lauert.

Der Schrecken kann aber auch stumm sein wie die Heldin in The spiral staircase (1946), einem Film von Robert Siodmak. Aber das Bedrohliche bedarf keiner Worte. Am Beginn steht ein Mord, begangen in einem schäbigen Zimmer über einem Kino, das einen Film von Griffith zeigt. Siodmak inszeniert das Verbrechen mit den ästhetischen Mitteln des Stummfilms: zu sehen sind nur die sich verkrampfenden und schließlich erschlaffenden Hände des Opfers, das erwürgt wird. Helen, die stumme Heldin, vermag ihre Gedanken und Gefühle gleichfalls nur durch Gesten auszudrücken. Ihre Rolle erscheint als eine Art Ballett, dessen Choreographie an den expressionistischen Film erinnert. In dem alten Haus droht Helen der Tod. Allein das Telefon verheißt Rettung. Aber Helen, sprachlos, bleibt dieser Ausweg verschlossen. Ihr verzweifeltes Klopfen mit dem Hörer mißdeutet die Telefonistin in der Vermittlung. Das Bild eines Alptraumes: die rettende Stimme am anderen Ende der Leitung und die Unfähigkeit, ihr Antwort zu geben. Am Ende erlangt das Mädchen durch einen Schock seine Sprache wieder. Es erlernt sie neu: am Telefon.

Siodmak meinte selber, er wäre gewiß so berühmt wie Hitchcock geworden, wenn er sich wie jener auf ein einziges Genre, den Thriller, konzentriert hätte. Wie kaum ein zweiter Regisseur hegte Hitchcock eine ausgesprochene Vorliebe für das Telefon und ließ keine Gelegenheit verstreichen, ihm in seinen Filmen eine bedeutsame Rolle zuzuweisen. Bereits in Easy virtue, einem von Hitchcocks frühen Stummfilmen, erfährt der Zuschauer ausschließlich an den mimischen Reaktionen einer Telefonistin Inhalt und Verlauf eines Gesprächs, das sie zufällig mithört. Ein Beispiel für Hitchcocks Talent, selbst ein auf den ersten Blick so von der Sprache dominiertes Medium wie das Telefon virtuos zu visualisieren.

In Dial M for murder (1954) inszeniert er seine Darsteller in der abgeschlossenen Welt einer Appartmentwohnung. Das Telefon schafft den Kontakt zur Außenwelt. Aber dieser Anschluß ist in Hitchcocks Film im Gegensatz zu The spiral staircase kein rettender, sondern ein mörderischer. Das Telefonklingeln, das Grace Kelly aus dem Schlaf reißt, erscheint ihr als Totengeläut. Während ein gedungener Killer sie zu erdrosseln sucht, lauscht am anderen Ende der Leitung der Ehemann des Opfers dem tödlichen Kampf. Scheinbar eine filmische Standardsituation: hilflos muß jemand telefonisch mit anhören, wie ein Mensch ermordet wird. Doch bei Hitchcock ist die Sache, wie meist, eine Spur perfider. Der Mann bangt nicht um seine Frau, er hofft vielmehr auf ein gutes Gelingen der Tat. Das Telefon als Werkzeug des Verbrechens und als Instrument der Intrige: um dieses Motiv kreist Dial M for murder bis zum Schluß, als der mit der Untersuchung des Falles beauftragte Inspektor telefonisch kriminalistische Fallstricke auslegt, in denen sich der schuldige Ehemann letztlich verfängt.

Vermittelt sich der Suspence bei Hitchcock noch über das Telefon, so kommt das Grauen in Horrorfilmen jüngsten Datums im wahrsten Sinne des Wortes aus ihm. Nightmare on Elm Street (1984) von Wes Craven führt das Telefon zunächst als geeignetes Mittel ein, der eigenen Mutter mit Hilfe eines präparierten Tonbandes vorzugaukeln, man sei mit Freunden unterwegs und verbringe nicht mit seiner Herzdame ein „privatissime“, für das die Eltern einen zu jung befinden. Doch für solche harmlosen telefonischen Täuschungsmanöver finden die Jugendlichen der Elm Street keine Zeit mehr, als Freddy Krueger auf den Plan tritt, jener untote Kinderschänder, der sich in die Träume wehrloser Teenager schleicht, um sie darin auf schreckliche Weise zu massakrieren.

Die Welt des Traumes, in der man Gefahr läuft, dem eigenen Tod entgegenzuschlafen, und die Welt des Wachens, die vermeintlich Sicherheit verspricht: diese beiden Sphären scheint der Film zu etablieren. Wäre da nicht das Klingeln eines Telefons, das eigentlich nicht klingeln dürfte, weil seine Schnur aus der Wand gerissen ist. Freddy ruft an, und sein telefonischer Kuß ist der des Todes. Das Telefon als Bindeglied zweier Wirklichkeitskonzeptionen: die Totalität des Terrors hat begonnen.

Projektierte Telefonfilme - in seinem berühmten Gespräch mit Francois Truffaut ließ Hitchcock diesen wissen, daß er gerne einen Film in einer Telefonkabine drehen würde: „Stellen wir uns doch einmal ein Liebespaar in einer Telefonzelle vor. Ihre Hände berühren sich, ihre Münder treffen aufeinander, und zufällig schieben ihre Körper den Hörer von der Gabel. Jetzt, ohne daß das Paar es ahnt, kann das Telefonfräulein ihre intime Unterhaltung verfolgen. Das Drama ist einen Schritt weitergekommen. Für das Publikum, das diese Bilder sieht, ist es wie der erste Abschnitt eines Romans oder als ob es einer Exposition auf dem Theater lauschte. So läßt eine Szene in einer Telefonzelle dem Filmregisseur dieselbe Freiheit wie das weiße Blatt dem Romancier.“

Robert Müller

Termine siehe „La Vie“.

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