Frankreichs Sozialisten - gestärkt in die 90er

Bei den landesweiten Kommunalwahlen hat die sozialistische Regierungspartei den Rahm abgeschöpft - aber auch die Grünen verzeichneten Erfolge / Die Spaltung der rechten Wählerschaft verhalf Mitterrands Partei zum Sieg  ■  Aus Paris Georg Blume

Das einjährige Wahlmarathon ist beendet, Frankreichs Machtverhältnisse sind nun auf Jahre hin festgeschrieben. Am Sonntag legten Frankreichs Wähler beim zweiten Urnengang der landesweiten Kommunalwahlen letzte Hand an das neue Herrschaftsgemälde. Dabei nahmen sie meist rosarote Farbe und setzten versprengt grüne und braune Tupfer. Im Zentrum des Bildes leuchtet der Thron Francois Mitterrands nun herrlicher als je zuvor.

„Es ist ein sehr schöner und weitreichender Sieg für den Präsidenten der Republik und die Regierung“, versicherte Premierminister Rocard am Wahlabend. Er lächelte mit gutem Grund. Grandios lesen sich die Erfolge der Regierungspartei in so rechtslastigen Städten wie Straßburg, Dünkirchen, Orleans oder Avignon - zudem bei Kommunalwahlen, in denen Provinz-Franzosen in vergangenen Jahrzehnten fast ausnahmslos Denkzettel für die Pariser Machtinhaber verteilten. Sieben nationale Wahlgänge - Neukaledonien -Referendum und Parlaments-, Kreis- und Kommunalwahlen (jeweils in zwei Wahlgängen) - hat die Rocard-Regierung seit den Präsidentschaftswahlen im Mai 1988 ohne Schwierigkeiten überstanden. Damit hat sie den Wählerkredit erworben, der ihr das Regieren bis zum Ende der Legislaturperiode 1993 möglich erscheinen läßt - obwohl Rocard nur über eine sozialistische Minderheit in der Nationalversammlung verfügt.

Zugleich mit der Bestätigung Rocards geben die Ergebnisse der Kommunalwahlen Aufschluß über die veränderten politischen Verhältnisse in der Republik. Marseille gibt ein hervorstechendes Beispiel. Dort gewann der politisch namen und parteilose Robert Vigouroux eine Schlacht, von der man noch vor einem Jahr sagte, ihr Ausgang könne über die Zukunft der Nation entscheiden. In der Hafenstadt kandidierte bei den Parlamentswahlen im vergangenen Juni der Rechtsradikale Le Pen als politischer Führer eines Bündnisses mit den Bürgerlichen, auf der Gegenseite warb der Supermanager Bernard Tapie für den sozialistischen Stimmenfang. Nur wenige Monate später zeugt Marseille vom Versagen der nationalen Propagandamaschinen. Wo die politischen Gegensätze am schärfsten aufeinanderprallten, wo soziale und wirtschaftliche Probleme deutlicher als anderswo zutage traten, wählten die Bürger jenseits der vorgegebenen Schemata. Das paßt nun gar nicht mehr in das von links und rechts in zwei Hälften aufgeteilte Frankreich-Bild. Vorbei scheint die Lust der französischen Wähler, bei zweiten Wahlgängen immer nur Bürgerliche oder Sozialisten zu wählen. Landesweit kam dieses Verhalten vor allem den Sozialisten zugute.

Ihren größten Erfolg feierte die Regierungspartei am Sonntag dort, wo die rechtsradikale „Front National“ das rechte Wählerpotential erfolgreich spaltete - in Straßburg. Catherine Trautmann heißt hier die neue sozialistische Bürgermeisterin in einer Stadt, die seit 1929 rechts regiert wurde. Die erste Frau, die in Frankreich das höchste Amt einer Großstadt bekleidet, gewann jedoch nur, weil die rechtsradikalen Wahlgänger - anders als von den bürgerlichen Parteistrategen erwartet - auch im zweiten Wahlgang Le Pen die Stange hielten. In den 45 Städten mit mehr als 30.000 Einwohnern, in denen die Rechtsradikalen beim ersten Wahlgang mehr als zehn Prozent der Stimmen erhielten und damit an diesem Sonntag im Rennen bleiben konnten, verzeichnete die „Front National“ beim zweiten Wahlgang durchschnittlich nur sehr geringe Stimmenverluste. Die Einheit der französischen Rechten scheint damit auf Jahre hin in weite Ferne gerückt zu sein. „Die Spaltung der Opposition war, ist und wird die Hauptwaffe der Regierung sein, um den politischen Wechsel auf nationaler oder lokaler Ebene zu verhindern“, analysierte Expräsident Valery Giscard d'Estaing.

Neben den Wählern der Rechtsradikalen konnten auch die Wähler der französischen Grünen („Les Verts“) in einem guten Dutzend größerer Städte ausschlaggebend die Wahl beeinflussen. Bei knappen Wahlausgängen im ersten Wahlgang, wie etwa in Straßburg oder Mülhausen, zeigte sich, daß etwa ein Drittel der Grünen-Wähler zu den Sozialisten überging und ihnen die entscheidende Wahlhilfe gab. Andernorts aber blieben auch die Grünen-Wähler ihrer Partei im zweiten Wahlgang treu. In manchen Orten konnten die Grünen sogar ihre guten Resultate vom vergangenen Sonntag noch verbessern. In Paris gewannen sie so erstmals einen Abgeordnetensitz im Stadtparlament. Antoine Waechter war mit den Ergebnissen zufrieden: „Es ist heute unbestreitbar, daß eine neue politische Kraft in diesem Land geboren ist. Die Grünen haben nicht mehr das Image, nur fünftes Rad am Wagen der großen Parteien zu sein“, kommentierte Waechter.

Tatsächlich können sich „Les Verts“ zu ihrer Wahlstrategie der letzten Jahre beglückwünschen. Die von Waechter im Präsidentschaftswahlkampf immer wieder betonte Unabhängigkeit seiner Partei („Wir stehen weder rechts noch links“) hat den Grünen jetzt Stimmen aus allen politischen Lagern eingebracht.

Durch ihre großen Wahlerfolge in Paris und Lyon konnten die bürgerlichen Parteien die landesweite Niederlage am Sonntag in Grenzen halten, nur den Kommunisten blieb am Ende wenig Trost. Sie verloren ihren wichtigsten Bürgermeisterstuhl in Amiens (Nordfrankreich) und litten überall dort, wo sozialistische Wähler nicht mehr mit der Linksunion marschierten. Auch im schlechten Abschneiden der Kommunisten liegt letztendlich der Wahlerfolg Mitterrands und Rocards begründet. Gleichermaßen stehen heute Kommunisten, Grüne und liberale Zentrumsgruppen am Rande des großen sozialistischen Sammelbeckens. Weil die Kommunalwahlen einen Trend zur Dezentralisierung und Auffächerung der politischen Auseinandersetzungen zeichnen, wird es der Regierung in Zukunft leichter fallen, ihre Partner im Parlament, aber auch in den Städten vor Ort nach freiem Belieben auszusuchen. Der Zentralstaat wird darunter kaum leiden.