BERLIN: "Direttissimo Roma-Berlin, Italienische Autoren des XX. Jahrhunderts reisen nach Berlin"

Sage keiner etwas gegen die Berlinfeierei. Manchmal bleibt was Gutes hängen. Barbara Brunn und Birgit Schneider haben eine Anthologie herausgegeben, in der zu lesen Vergnügen macht. Es sind Texte italienischer Autoren des 20. Jahrhunderts über Berlin. Von Giuseppe Antonio Borgese bis Nanni Balestrini, der 1988 als Gast des DAAD in Westberlin war, sich auch die taz ansah, und mit dem wir leider viel zu wenig sprachen. Die Herausgeberinnen haben jedem Text eine kleine Einführung vorangestellt, in der sie den Autor und seine Beziehungen zu Berlin knapp skizzieren. Dann redet er selbst. „Er“? Nein, Luce d'Eramo, Giuliana Morandini und Fabrizia Ramondino sind mit von der Partie. Insgesamt sind es Texte von 28 Autoren. Nicht nur Schriftsteller. Auch Luigi Nono ist dabei und Emilio Vedova. Beides auch Gäste des DAAD. Vor allem aber auch ein Zeichner, einer von Italiens besten. Wir haben früher einige seiner Geschichten aus „Linus“ gestohlen: Sergio Staino. Sein Band „Berlino, amore mio“, ist auch in der Bundesrepublik heraus gekommen. Marinetti war natürlich in Berlin von der Moderne, der Technik und ihrer Geschwindigkeit nicht weniger hingerissen als in Rom: „Der Potsdamer Platz in Berlin war schon vor dreißig Jahren ein zuckendes Gedicht in Freien Worten mit seinem mechanisierten Verkehrsampel-Schupo, der Richtung und Freie Fahrt austeilt, Leuchtzeichen-Herrscher folgender Strömungen...“ Den Text diktierte Marinetti 1943. Erinnerungen an seine Berlin-Aufenthalte 1912 und 1934. Ruggero Vasari, 1898-1968, schrieb 1929 ein Berlin-Gedicht. Daraus ein paar Zeilen, die mir besonders gut gefallen haben. Sie zeigen, wie nah an Balzac man vor sechzig Jahren noch war:

„leipziger straße

große kaufkäuser WERTHEIM sind die saugpumpe der metropole

INVENTUR-AUSVERKAUF: hochgeniale maschine die kleinbürger

von ihrer hartnäckigen sparsamkeit zu befreien“.

Corrado Alvaro, antifaschistischer Schriftsteller und Journalist, war Zeuge des berühmten Berliner Blutmai von 1929:

„Man bereitet sich auf die Demonstration des 1. Mai vor. Panik hat das ganze Zentrum erfaßt; es käme einem nicht in den Sinn, dies sei die Stadt, die so viele große Erfolge, im Theater und Verlagswesen, mit Barrikaden und Revolutionen hatte, die in den Kabaretts in Vier- und Achtzeilern die Barrikaden am Alexanderplatz vorwegnahm; das ist der Platz der armen Leute in der Nähe des Polizeipräsidiums und der Mythos dieser Jahre. Einer der Söhne von Tagore hat mich am Vorabend der Demonstration eingeladen, hinzugehen und mein Blut auf den Barrikaden des berühmten Platzes zu vergießen. Tags darauf wurden die Busse und auch die Brücken über die Spree von Sicherheitskräften kontrolliert. Zu einer bestimmten Zeit fuhren Panzerfahrzeuge durch die westlichen Stadtviertel. Die Leute sahen sie an, als wären sie die Befreier, dieselben Leute, die in Pelzen und mit Brillanten behängt den Russenfilmen zujubelten. Die Straßen waren voller gespannter und nervöser Erwartung auf Nachrichten von der proletarischen Front... Es hatte Opfer gegeben, Arbeiter und ein Journalist, der sich beruflich dort aufhielt. Wähernd wir die verlassene morgendliche Straße betrachteten, marschierte ein Trupp von drei Soldaten und einem Feldwebel vorbei, die zu irgendeiner Wachablösung, vielleicht bei der Reichskanzlei, gingen. Eine hochgewachsene Dame neben mir sagte mit Blick auf die drei schmächtigen Männer: 'Passen Sie nur auf, wenn die Deutschen wieder eine Fahne sehen, werden sie alle hinter ihr herlaufen.'“ Soviel Klarsicht täuscht. Erschienen sind diese Aufzeichnungen erst nach dem II. Weltkrieg. Alvaro wird da ein wenig geschummelt haben. Vom wenig bekannten sizilianischen Schriftsteller Rosso di San Secondo (1887-1956) gibt es sogar einen Einakter mit dem Titel „Da Wertheim“. Das sollte sich die Presseabteilung des Kaufhauses nicht entgehen, da muß sich doch Imagekapital raus schlagen lassen. Roberto Rosselinis Berlin -Aufzeichnungen aus dem Jahr Null fehlen natürlich nicht. Für das neue Berlin liefert der 1943 geborene Franco Cordelli, ein umtriebiger literarischer Tausendsassa, das richtige Stichwort: „Doch in Berlin ist alles Peripherie... Es ist wie ein Theater, aus dem die Handlungsorte gestrichen wurden, ein modernes Straßentheater.“

Direttissimo Roma-Berlin, Italienische Autoren des XX. Jahrhunderts reisen nach Berlin, herausgegeben von Barbara Brunn und Birgit Schneider, Verlag Das Arsenal, 256 Seiten, zahlreiche s/w Abbildungen, 29,80 DM