piwik no script img

Lächelnd widerstehen

■ Bohumil Hrabal: Der große Unbekannte aus der CSSR

Jörg Rheinländer

Die Fotografie schaut aus, als sollte sie als Votivbild eines ganzen Menschenschlags fungieren: Ein älterer Herr sitzt in einer Kneipe, ein zu drei Vierteln geleertes Bierglas wie ein Zeitmaß vor sich plaziert, die Stirn in Falten, die Augen nicht sichtbarer Gesprächspartner fixierend, aufmerksam lauschend, die rechte Hand zu einer ebenso freundlichen wie bestimmten Geste ansetzend, die signalisieren soll, daß hier jemand ins Gespräch eingreifen will.

Begegnete man diesem Zeitgenossen in irgendeiner Kneipe eines Prager Außenbezirks, man nähme kaum Notiz von ihm, so gewöhnlich ist sein Äußeres, so unscheinbar sein Auftreten. Doch dieser Mann ist nicht von ungefähr einer der berühmtesten Biertrinker der CSSR, denn er ist zugleich gewissermaßen in Personalunion - der Chronist jener Zunft munter plaudernder Kneipengänger, welche auf den Namen „Bafler“ hören.

Bohumil Hrabal, gerade 75 geworden, gilt in der Tschechoslowakei als eine der großen Figuren der Gegenwartsliteratur. Und das völlig zu Recht: Seine Erzählungen sind die erstaunlich geglückte Kombination aus hedonistischem Angebot und der Mitteilung der Erfahrbarkeit von Welt. Das Zauberwort der Hrabalschen Prosa heißt Erinnerung; sie war nicht zuletzt in jenem Milieu, in dem ihn das anfänglich beschriebene Foto zeigt: „Und ich saß im Goldenen Tiger, blickte in die Gesichter der Gäste, und ja, nicht Gefasel, nicht Geschwätz, manchmal ist eine so heiser geschriene Kneipe eine kleine Universität, wo die Leute sich unter dem Einfluß des Biers Geschichten und Begebenheiten erzählen, die die Seele verletzen, und über den Köpfen schwebt in Form von Zigarettenrauch das große Fragezeichen des Absurden und Wunderbaren im menschlichen Leben...“ Keine Frage: Der das sagt, ist einer von denen, die da in den Kneipen hocken, sich an einem Humpen Bier festhalten, dem ersten einen zweiten, einen dritten Krug dieser Kleinbürgerambrosia folgen lassen, deren Wirkung die eines Katalysators ist; ist die Reaktion erst einmal in Gang gekommen, bringt sie noch jeden dazu, sich einzureihen in das muntere Häuflein der leicht erhitzten Geschichtenerzähler. Bohumil Hrabal aber ist ihr Primus inter pares.

Wenn Hrabal von den „einfachen Menschen“ spricht, die seine Texte bevölkern, dann hat das so gar nichts Überheblich -gescheites, denn man ahnt, daß er dabei in den Spiegel schaut. Ein Intellektueller im üblichen Sinne war er nie, eher ein Beobachter, ein begnadeter Voyeur, der begierig am Leben hing (und hängt). Das mag der Grund dafür sein, warum Hrabal so schreibt, wie er schreibt: prall und erzkomisch, in einer von Erotik infizierten Sprache zuletzt oft melancholisch.

In der Bundesrepublik wurde er einem größeren Publikum erst im vergangenen Jahr bekannt; da nämlich erschien sein bereits 1971 verfaßter und zu Beginn der achtziger Jahre zunächst als Supplement der halboffiziellen „Edition Jazzpetit“ veröffentlichter Roman Ich habe den englischen König bedient in einer deutschen Übersetzung. Erzählt wird die Geschichte eines Kellners im „Goldenen“ Prag, beginnend in den zwanziger Jahren, und so ganz nebenbei wird daraus auch eine Geschichte der Deutschen und Tschechen.

Hrabal läßt seinen Protagonisten, den Pikkolo, der den Aufstieg zum Millionär zu seinem Lebensziel erkoren hat, seine Geschichte selbst erzählen. Als Lebensrückblick des vom intriganten Aufstiegskampf angewiderten und sein Leben mit einem Zug von Weisheit betrachtenden Mannes werden die Stationen seiner Vita geschildert. Ausgestellt wird der Weg eines zunächst von wenig Zweifeln angekratzten Menschen, dessen Wunsch allemal in eine Richtung tendiert: das Unglaubliche Wirklichkeit werden zu lassen. Dieser Satz hat leitmotivischen Charakter. Unbeirrt beginnt der 15jährige seinen Aufstieg als Hilfskellner zum Millionär und Hotelbesitzer. Sein Werden wird flankiert von den erstaunlichsten Gestalten, deren jede ihm ein wenig zum Vorbild wird: der Handelsreisende, der abends sein Hotelzimmer mit Geldscheinen zu pflastern pflegt, ebenso wie der Kellner Zdenek, der sich hin und wieder erlaubt, sein Geld in der Manier derjenigen, die er sonst zu hofieren hat, mit offenen Händen zum Fenster hinauswerfen; und ganz besonders der Oberkellner Skrivanek, der als wahrer Meister seines Fachs über eine schier phänomenale Menschenkenntnis verfügt und diese auf Nachfragen mit dem lapidaren Satz: „Ich habe den englischen König bedient“, zu erklären geruht.

Aber Hrabals Pikkolo wäre schlecht bedient, würde er nicht schleunigst auf die Überholspur wechseln und seinerseits dem Ganzen ein Glanzlicht aufsetzen. Beim Besuch des abessinischen Kaisers in der Tschechoslowakei ist er es, der dem Monarchen das Mahl servieren darf; und wer es bis dahin nicht hatte glauben wollen, ist nun eines Besseren belehrt: Dieser Pikkolo wird sein Ziel erreichen - auch wenn es, wie sich dann herausstellen wird, nicht das eigentliche ist.

Selbst als sich die Nazis seiner Heimat bemächtigen, bleibt er obenauf. Die plötzlich entflammte Liebe zur Deutschen Lisa Elisabeth Papanek aus Eger ermöglicht ihm auch in den stürmischsten Zeiten die Arbeit an seinem Lebensprojekt. Daß ihm bei allem Opportunismus hin und wieder Bedenken kommen, die ihn letztlich dazu führen werden, sinnierend diesen Lebensbericht zu schreiben, läßt sich besonders an jener Episode ablesen, in der er sich nach Maßgabe der Nürnberger Rassengesetze untersuchen läßt: Nicht nur den Beischlaf mit Lisa ausführen, sondern auch arisch-germanisches Blut befruchten zu dürfen, ist der absurde Sinn der Prozedur. Die Musterung von einem Arzt der Waffen-SS läßt das Lachen gefrieren: „Ich sah auf einmal“, heißt es da, „wie aus weiter Ferne, die Zeitungsberichte, daß an ein und demselben Tag deutsche Soldaten tschechische Leute erschossen und ich hier an meinem Glied herumspielte, um für würdig befunden zu werden, eine Deutsche zu heiraten. Plötzlich packte mich das Entsetzen darüber, daß ich hier, während anderswo Hinrichtungen stattfanden, vor dem Doktor stand, den Schwanz in der Hand und außerstande, eine Erektion und ein paar Spermatropfen abzuliefern.“

Daß sein auf Nazi-Geldern gegründetes Millionärsdasein nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich nicht von Dauer ist, ja, daß er selbst sich als Millionär bei den neuen Machthabern denunziert, um noch im Verlust der Privilegien den anderen Reichen nahe zu sein, in deren Reihen er sich so sehnlichst gewünscht hatte, zeigt noch einmal den tragischen Irrtum des kleinen Mannes auf. Am Ende ist das Unglaubliche Wirklichkeit geworden, doch die ist selbst unglaublich.

Der 1914 geborene Hrabal, ein studierter Jurist, begann erst spät mit dem Schreiben. Der Mann, der sich in so unterschiedlichen Berufen wie dem des Handelsreisenden, des Stahlwerkers, Papierpackers, Fahrdienstleiters bei der Bahn oder dem des Kulissenschiebers tummelte, war nie ein explizit politischer Schriftsteller. Daß er, der aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammte, trotzdem in der Zeit von 1968 - dem Ende des Prager Frühlings - bis 1976 in seiner Heimat mit einem strikten Publikationsverbot belegt war, zeigt, daß die Mächtigen das anarchische Aufbegehren in den Texten dieses Mannes sehr wohl sahen und einzuordnen wußten.

Hrabal ist so politisch wie Kafka und Hasek es waren, mit denen man ihn immer wieder in Verbindung gebracht hat. Vom einen hat er die Ahnung der Vergeblichkeit, gegen die er trotz allem vehement anschreibt, um sie und sich selbst zu widerlegen, vom anderen die Respektlosigkeit und die Gabe, lächelnd zu widerstehen. Mit Hasek verbindet ihn darüber hinaus die Kneipengeschichte, das Medium des folkloristischen Erzählens, das bei ihm von einem Element unter anderen zum tragenden Prinzip avancierte. Seine Bewunderung für die Surrealisten hat Hrabal immer wieder selbst erwähnt, und verarbeitet hat er sie in literarisch -sublimierter Form. Die anarchischen Ausbrüche, die hyperbolischen Paraphrasierungen, die der Wirklichkeit eine magische Dimension hinzugewinnen, sind das Ergebnis dieser Auseinandersetzung. Doch wie bei allen anderen Vergleichen gilt: Hrabal ist nichts weniger als ein Epigone. Seine Handschrift ist unverwechselbar; und noch vor allem anderen ist er der Erzähler in der Tradition des mündlichen Überlieferns. Das „Bafeln“ als Muster verweist darauf, und die gedruckten Texte zeigen es: eigentlich wollen sie erzählt sein.

Am reinsten spiegelt dieses Programm die Erzählung Tanzstunden für Erwachsene und Fortgeschrittene. Sie sprudelt in einem einzigen, 80 Seiten langen und von keinem Punkt unterbrochenen Satz das ganze bewegte Leben des Erzählenden in einer grandiosen Aneinanderreihung burlesker Geschehnisse heraus. Dem Leser bleibt zum Verweilen keine Zeit, er wird vom Strom der Ereignisse mitgerissen, und so unüberschaubar vielfältig sich die Lebenswelt dem Beobachter darbietet, so undurchdringlich miteinander verwoben sind auch diese Tanzstunden, die im Grunde einen einzigen Satz variieren: „Das Leben ist zum Verrücktwerden schön.“

Als Vorbild für seine schwadronierenden Erzähl-Typen dienten Hrabal noch allemal reale Personen. Hier ist es sein Onkel Josef, genannt Pepin, der als bafelnder Prototyp den Takt des Tanzes angibt; doch auch in den unzähligen Erzählungen und der berauschend schönen Trilogie Das Städtchen am Wasser sind die Figuren verfremdete Ausgaben real existierender Originale.

Damit keine Mißverständnisse aufkommen: Hrabal ist kein naiver Hansel, der glaubt, man müsse nur in der guten alten Zeit nach einem Patentrezept für ein unbeschwertes Dasein stöbern, um sich über eine schlechte Gegenwart hinwegtrösten zu können. Hrabals Erinnerungen, seine Suche nach der verlorenen Schönheit sind nicht mehr und nicht weniger als der Versuch, aus der Suche nach seiner verlorenen Zeit eine utopische Perspektive zu gewinnen, die den Abstand zwischen dem gegenwärtigen Sein und dem Glück vielleicht schon jetzt als überbrückbar erscheinen läßt - in einem retrospektiven vorwärtsgewandten Kunststück.

Eines jedoch gilt in jedem Fall: Eigentlich handeln alle Werke nur von einer Geschichte - der Geschichte des Menschen, seiner Liebe, seiner Leidenschaft und seiner Sehnsucht. Hrabal variiert immer wieder die Geschichte vom „Bafeln“ über das Leben, vom erzählenden Einkreisen, vom schwadronierend-verrückten Ertasten der Geheimnisse des Seins: so einfach und kompliziert, so skurril und komisch, so überraschend und selbstverständlich, so melancholisch und amüsant, daß man ihm einfach glauben muß - dem Besten aller „Bafler“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen