: Breitensport: Körperkarrieren verkappter Leistungssportler
■ Freizeitorientierte AL-Sportpolitik: Beihilfe zum Fitneßkult? / Die Obsessionen der Fitneßwelle richten sich gegen die vermeintlich Untüchtigen und Schwachen / Reitet die AL auch auf dieser Welle, ohne es zu wissen?
Der FU-Sportwissenschaftler Thomas Alkemeyer hat sich für die taz durch das AL-Programm zur Sportpolitik gearbeitet, das in den nächsten Jahren in großen Teilen in die Praxis umgesetzt werden soll. Der Autor hat aus der Sicht des Sportsoziologen einige „Problemzonen“ im Programm ausgemacht. Hier sein Resümee:
Mit der Bestellung von Hans-Jürgen Kuhn, ehemals sportpolitischer Sprecher der AL-Fraktion, zum Staatssekretär bei der Senatorin für Schule, Berufsbildung und Sport hat die AL in der künftigen Sportpolitik der Stadt ein gewichtiges Wort mitzureden. Ihre sportpolitischen Vorstellungen gewinnen deshalb an Bedeutung.
Zwar haben sich SPD und AL darauf geeinigt, den Hochleistungssport nicht radikal anzutasten, aber die Prioritäten der AL sind klar: Der Breiten- und Freizeitsport soll „gegenüber Sonderinteressen wie z.B. dem Spitzensport“ optimal gefördert werden, so heißt es. Und das ist auch gut so und leuchtet ein. Jedoch: Was meint die AL überhaupt, wenn sie von dem Breitensport spricht? Gibt es nicht auch Bereiche des Freizeitsports, die ebenso Kritik verdienen wie der Leistungssport? In der Stellungnahme der Fraktion jedenfalls sucht man vergeblich nach einer inhaltlichen Bestimmung der Freizeit- und Breitensportangebote, die die AL zu fördern geneigt ist.
In der Praxis ist Freizeit- und Breitensport nicht zuletzt Fitneßsport. Seit Jahren schon schießen in der Bundesrepublik, nach US-amerikanischem Vorbild, neue „Fitneßcenter“ aus dem Boden. Darauf haben sich auch die von der AL für begrüßenswert erklärten freizeitorientierten Sportvereine eingestellt. Um zu verhindern, daß der Verein seine (Macht-)Position als „Grundpfeiler sportlicher Versorgung“ - sie soll er auch nach Meinung der AL beibehalten - an die kommerziellen „Studios“ verliert, bietet beispielsweise der „Freizeitorientierte Großverein SC Siemensstadt“ von Aerobic bis hin zu Krafttraining und Solarium alles an, was das Herz der Körperertüchtigungsapostel begehrt. Wohl kein Begriff taucht im Mitteilungsblatt des Vereins so häufig auf wie „Fitneß“.
Bereits diese Kategorie aber enthält die verborgene Anspielung auf einen modernen Sozialdarwinismus, ein neues „survival of the fittest“. Fitneßübungen sind „körperliche Karriereübungen“ (F.W. Haug). Gerade im Freizeitsport, da arbeiten unzählige ihren in „Problemzonen“ unterteilten Körper systematisch durch. Körperteil für Körperteil „bodyworking“ nennt sich treffend der neueste Hit dieser alltäglichen Strategien der Selbstnormalisierung. Man/frau diszipliniert sich selbst für „Figur und Gesundheit“. Nicht wenige unterwerfen gar ihre gesamte Lebensführung von der Nahrungsaufnahme („Iß dich fit!“) bis hin zur Hygiene einer strengen Kontrolle. Denn ihr Ziel ist der leistungsfähige, gesunde, schöne Körper, der mithalten kann auf den Märkten von Erotik und Arbeit. Leistungsfähig, vital und jugendlich soll er zumindest scheinen; „Erfolgsblonde“ hat M.Schreiber die in bunt-optimistisches Outfit gehüllten Norm- und Vorbilder der massenhaften Gier nach „Bestform“ in der 'FAZ‘ einmal genannt. Längst auch stellt sich das Streben nach Gesundheit - erklärtes Ziel der meisten Freizeitsportler, auf das insbesondere die Sportangebote der Volkshochschulen antworten - in seinem Kern als Streben nach den Zeichen für Gesundheit dar. Denn von dem, was viele da mit chromblitzenden Gewichten oder unter dem Kommando einer gnadenlos hämmernden Musik treiben, kann wohl niemand ernsthaft behaupten, daß es gesund in einem biologisch -medizinischen Sinn wäre.
Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Die Fitneß -Jünger, das sind nicht nur die „Miami Vice„-Verschnitte und die „Yuppies“, jene smart grinsenden Aufsteigertypen in Turnschuhen, T-Shirt und Jackett; nein, unter der Höhensonne und auf der Hantelbank, bei Konditionstraining und auf dem Joggingpfad, da treffen sich VertreterInnen verschiedener kultureller Milieus, da läuft die Managerin einträchtig neben dem Bio-Bäcker. Die Faszination, die vom fitten Körper ausgeht, kennt keine sozialen Schranken. Die imaginären Räume, die ihn umgeben, die mit ihm verknüpften Vorstellungen von Gesundheit, Jugendlichkeit und Optimismus, von Initiative, Tüchtigkeit und Durchsetzungskraft, sie sind es, die so viele zum Freizeitsport treiben.
Eines aber sollte man nicht vergessen: Es sind Bedrohungsvorstellungen, die die heimliche Kehrseite für die massenhafte Sorge um den Körper abgeben. Denn unausgesprochen richten sich die Obsessionen der Fitneß- und Gesundheitswelle gegen die vermeintlich Untüchtigen und Schwachen, gegen diejenigen, die sich nicht durchsetzen können in den Konkurrenzen: die Erfolglosen, vielleicht gar die Behinderten. Schnell jedenfalls ist der sozialkritische Inhalt, den „Gesundheit“ haben kann, verwässert, bewegt sich das im Freizeit- und Breitensport hochgehaltene Menschenbild auf restaurativem Boden.
Daß die Bedrohungsvorstellungen im Hintergrund des Breitensports unserer Tage auch eine moralische Dimension haben, zeigt sich insbesondere in den USA. Längst ist Fitneß hier zu einer Ersatzreligion geworden, hat sich zu einem regelrechten Kult ausgeweitet. Mit der Sexualität tut man/frau sich im angeblich freiesten Land der Welt sowieso schwer, nun aber passen auch Nikotin und Alkohol nicht mehr zum neuen Lebensstil. Ein neuer Puritanismus bricht sich Bahn. Nachdem der Zigarettengenuß (Genuß? Den Rauch vertrockneter Blätter in sich hineinsaugen? Das soll Genuß sein? Begriffsverwirrung! d. säzzer) bereits drastisch zurückgegangen ist, befinden sich die USA - wie erst kürzlich im 'Volksblatt Berlin‘ zu lesen war - nun auch „auf dem Weg zu einer nüchternen Gesellschaft“. Jene aber, die von Nikotin und Alkohol nicht lassen mögen oder können, begegnen zunehmender Intoleranz.
Zweifellos: Nicht der gesamte Freizeit- und Breitensport ist durch die Obsessionen des Fitneßkults motiviert. Wer sich sonntags zum „Knödeln“ vor dem Reichstag trifft oder im Tiergarten Volleyball spielt, der tut dies aus Spaß am Spiel. Es könnten mehr dieser freien Spielflächen bereitgestellt oder auch spaßorientierte Sportangebote der Vereine gefördert werden. Die Rede von dem Freizeitsport aber tilgt die Differenzen. Zumindest sollte man/frau sich Gedanken machen beispielsweise über jene Verbindungen, die zwischen dem Freizeitsportboom und einem neuen ökonomischen Liberalismus bestehen, der den Einsatz der Ellenbogen im gesellschaftlichen Verdrängungswettbewerb verlangt. Gefordert ist die Loslösung von einem naiven Sportverständnis und der Blick über den Tellerrand des Sports hinaus, will man/frau nicht - ungewollt - sein Scherflein zu einer sehr subtil funktionierenden, mentalen und affektiven Ausgrenzung der Schwachen in unserer Gesellschaft beitragen.
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