piwik no script img

Tatort: Europa-betr.: "J.R.Ewing gefährdet europäische Identität", taz vom 21.3.89

betr.: „J.R.Ewing

gefährdet europäische Identität“, taz vom 21.3.89

Peter Glotz als ein weiterer Seher des Untergangs des Abendlandes. In bestbekannter Manier beweist er ein weiteres Mal seine Volksferne. Getreu dem antimaterialistischen Grundschema des bürgerlichen Intellektuellen glaubt er offenbar, Kultur entstehe nicht auf der Basis gesellschafltich-materieller Bedingungen, sondern als Produkt von Manipulation, von Fäden ziehenden Bewußtseinstechnikern. (...) Und wie bei Allmachtsphantasten üblich, will Glotz uns vorschreiben, welche Kultur wir pflegen dürfen: südtiroler Folklore (oder sizilianische oder bayerische). Die je eigene, die völkische Besonderheit also, die als „multikulturelle Gesellschaft“ nur mißverstanden wird, und die ausschließlich mit kultureller Apartheid zu erhalten ist, da sie sonst nach 20 Jahren Durchmischung zugunsten des Schmelztiegels verschwindet.

Glotz glaubt zu wissen, welche amerikanischen Filme wir allenfalls noch sehen düfen: Chaplin ja, Dallas nein. (...) Während die SPD sonst so gerne auf das Urteil des Marktes zählt, wo man sich klarere Maßnahmen wünschte (bei Produktionsverboten in der Umweltpolitik zum Beispiel), will Glotz im Kulturellen der Vormund sein. Bis hin zu dem, was „die jungen Mädchen in Wales, in Bayern, in Andalusien“ an amerikanischer Kleidung gerade noch tragen dürfen: Woody Allen ja (weibliche Kulturschaffende hat Glotz hier nicht im Repertoire), Sue Ellen nein. (...)

Das Scheitern der chinesischen Kulturrevolution scheint Glotz verschlafen zu haben. Er sollte sich mal fragen, was die Menschen denn wollen. Statt dessen vertritt er das Konzept der „Neuen Rechten“, eine europäische „Kulturrevolution von rechts“, die uns alles nehmen will, was wir mögen und brauchen: Rockmusik, Jeans und dann noch die Tiefkühlkost. Die besten Pommes Frites gibt's nun mal bei McDonald's. (...)

„Europäische Identität, das ist die Erhaltung der europäischen Ausdrucksfähigkeit“, schreibt Glotz Schuhplattlern statt afrikanischem Jazztanz. Glaubt er wirklich an die reale Möglichkeit einer „Kulturrevolution von rechts“? Die Erfinder dieses ideologischen Konzeptes, die Vordenker der „Neuen Rechten“, von denen Glotz nur abschreibt, haben in Wahrheit nie daran geglaubt. Bei ihnen steht „europäische Identität“ für „europäisches Kapital“, dessen Interessen sie vertreten. Und auch hier kommt Glotz ihnen nahe. In den „mächtigen filmtechnischen Betrieben“ Europas, die ihm als Gegengewicht zu „Hollywood“ vorschweben, wird sich die völkische Kultur von vorgestern so wenig durchsetzen, wie heute ein Automobil von 1960 zu verkaufen wäre. Das „multikulturelle“ Europa des Völker-Zoos bleibt Ideologie.

(...) Von dem ökonomisch aggressiven und auf dem Weltmarkt „unschlagbaren“ Europa hat die Linke nichts zu erwarten. Das ist noch nicht einmal mehr ein sozialdemokratisches Europakonzept, es ist ein rechtes, kulturell wie ökonomisch.

Peter Kratz, Bonn

Schon die linke Fragestellung der Redaktion „Welches Europa will die Linke / Was will die Linke von Europa“ setzt eine fatale Fehleinschätzung voraus. Wer glaubt, sich an den „Europazug“ anhängen zu können, ohne sich um die Zugführer zu kümmern, wird wohl zu spät merken, daß es sich bei ihnen um die „eruopäischen Führungseliten“ von Deutscher Bank bis Daimler Benz handelt. Daran läßt Peter Glotz in seinem Artikel keinen Zweifel. Da wechseln sich Europaeuphorie mit apokalyptischen Vorstellung ab. Oft scheint es, daß die Ideologen der „Neuen Rechten“ de Benoist, Eichberg und Wolfgang Strauss Mitverfasser dieses Textes waren.

Der „Verbreitung einer weltweit nivellierenden Massenkultur aus den Vereinigten Staaten“ soll die in der „europäischen Identität“ lagernde Vielfalt entgegengestellt werden. Gleichzeitig ist Glotz‘ Drang nach „Ostmitteleuropa“ immer gegenwärtig. Ganz schuldig bleibt er uns das Argument: Warum Europa? Oder geht er auch von der neofaschistischen These aus, daß die „Geschichte Europas, die faszinierende Geschichte einer Überlegenheit (ist)...“ (Pierre Krebs 1982). Der Satz: „Ein Europa der Regionen das handlungsfähige, übernationale Strukturen aufbaut, wäre unschlagbar“, könnte auch in den Thesen des Nationalrevolutionärs Henning Eichberg stehen.

Seine Ökonomie besteht darin, dem effektiven Verwertungsmechanismus zu huldigen. Er denkt nur in Eliten („Wir müssen dialogfähige Leistungseliten zustande bringen (da lacht die Gentechnik), wenn Europa überleben soll.“) und in sozialtechnokratischer Manier ist er für eine „kluge Einwanderungspolitik“, um sein Europa nicht ganz zum „Haßobjekt der übrigen Welt werden“ zu lassen.

Mit dem Europa der Unternehmer und Sozialpartner (wozu ich Glotz zähle), das sich nur als Weiterentwicklung profitabler Machtinteressen des europäischen Kapitals gegen die Konkurrenz der USA versteht oder dem Europa, das als „europide Rasse“ allen anderen überlegen ist, kann es keinen Frieden geben.

Willy Jelinek, Passau

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen