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„Ich hebe mein Glas auf die Rebellion“

■ Mit einer Bremer Delegation der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) zu Besuch in der Hauptstadt der DDR / Den SED-Genossen im anderen Teil der Halbstadt verschlug's die Sprache / Unbequeme Fragen zu Ökologie und Umweltschutz

Das Gästehaus des Ministerrats der DDR liegt in der Johannisstraße, nur wenige Schritte entfernt vom Bahnhof Friedrichstraße. Üblicherweise werden in diesem Nobelquartier mit volkseigenem Farbfernsehgerät, Stereoanlage, Telefon und Vollbad in den Gästezimmern hochkarätige Auslandsdelegationen sozialistischer Bruderparteien untergebracht und in gestanztem Parteiräson -Deutsch Reden auf die Sicherung des Friedens und die Fortschritte des Sozialismus gehalten. Am 2. April des Jahres endete diese Tradition.

Im Bankettsaal des Ministerratsgästehaus hielt ein ehemaliger KBWler und inzwischen undogmatisch-basisbewegter Linksquerkopf und Bremer Alternativschlossermeister, Robert Bücking, eine Trinkrede, wie sie vor hochkarätigen SED -Funktionären in ihrer eigenen Hauptstadt wahrscheinlich noch nie gehalten worden ist. Nach dreitägigen Diskussionen zog Bücking folgendes Resümee über den gegenwärtigen Zustand von DDR samt SED: Sie sei ein Staat, in dem der Bevölkerung notwendige Informationen über ökologische Bedrohungen vorenthalten und unabhängige Umweltgruppen unterdrückt werden sowie Kontakte mit ihnen offiziell untersagt sind. Ein Land, das elementare demokratische Prinzipien mißachtet und in dem „die Rebellion gerechtfertigt ist“. Bückings Trink-Toast: „Ich hebe mein Glas auf die Rebellion.“

Bückings provokanter Spruch war nicht die einzige Provokation, die Mitarbeiter des SED-Zentralkomitees während einer dreitägigen Bremer Gastdelegation vom 31. März bis zum 2. April über sich ergehen lassen mußten. „Schuld“ an einer vermutlich einmaligen Kette von Ungeheuerlichkeiten in der Hauptstadt der DDR: ausgerechnet die DKP, genauer eine von ihrem Bremer Bezirksverband organisierte Delegation zum Meinungsaustausch über ökologische Probleme in der DDR. Die Bremer Genossen, die innerhalb der parteiinternen Reformdebatte eine der vom Düsseldorfer Parteivorstand argwöhnisch beobachteten Hochburgen der Selbstkritik darstellen, wollten von den SED-Genossen endlich aus erster Hand erfahren, was kapitalistischer Giftmüll im realsozialistischen Schönberg zu suchen hat und wie DDR -Kalisalze hunderttausendtonnenfach in Werra und Weser gelangen können.

Ökologische Probleme sind auch in der DDR-Führung inzwischen kein Geheimnis mehr und auch kein Problem, mit dem sich allein das kapitalistische Ausland herumzuschlagen hat. Von einem der hochangesehenen Parteiideologen, dem Philosophen und Mitglied der Akademie für Gesellschaftswissenschaften Alfred Kosing, konnte die Delegation gar folgendes erfahren: Innerhalb der SED-Führung tobt inzwischen eine Kontroverse, ob man nicht auch in der DDR von einer „ökologischen Krise“ sprechen könne - eine bei der SED-Sensibilität für politische Sprachregelungen nicht zu unterschätzende Veränderung. Was die Delegationsbetreuer des ZK umgekehrt offensichtlich nicht wußten: Bemüht um Glasnost in den eigenen Reihen und Schließung der eigenen „Glaubwürdigkeitslücke“, hatten die Bremer Delegationsorganisatoren neben Grünen, Sozialdemokraten und undogmatischen Linken sogar einen Bremer taz-Redakteuren mitgebracht. Ein Umstand, den die SED-Gastgeber offenkundig erst beim ersten gemeinsamen Abendessen registrierten. Die Diskussion drohte damit nicht nur äußerst kontrovers, sondern obendrein öffentlich zu werden. Eine sozialistische Bruderpartei hatte sozusagen zu „nachrichtendienstlicher Tätigkeit in der DDR“ ermutigt und beugte sich auch nicht der spontanen Bitte, der taz zumindest den Verzicht auf einen Bericht abzunötigen.

Beides sollte schon am nächsten Morgen Konsequenzen haben. Statt des ursprünglich als Referenten angekündigten stellvertretenden Umweltministers erschien der Abteilungsleiter des Ministeriums, Hans Lüttge. Der Minister war „ganz kurzfristig mit einem anderen Auftrag betraut worden“.

Schon am Nachmittag folgte für die völlig verdutzten ZK -Kommunisten der nächste Schock: Unzufrieden mit Lüttges spärlichen Auskünften über Gewässerverschmutzung in der DDR, Salzbelastung der Werra, emittierende Betriebe und Größenordnungen der giftigen „Abprodukte“, äußerte die Delegation einen geradezu ungeheuerlichen Wunsch: Die Gastgeber möchten doch bitte Kontakte zwischen unabhängigen Berliner Ökogruppen beispielsweise aus der Zionsgemeinde herstellen und ein Gespräch - möglichst im Gästehaus der Ministerrats - ermöglichen.

Ein offizieller Dialog mit „Staatsfeinden“? Die Gastgeber glaubten, ihren Ohren nicht trauen zu können, und beschieden unter mühsam aufrechterhaltener Kontenance: Wir bitten dringend um Respekt für folgende Entscheidung: Ein solches Gespräch ist ausgeschlossen.

Seit Sonntag abend wieder zu Hause, haben die Bremer Genossen daraus folgende Konsequenz gezogen: Das ausgefallene Gespräch mit Vertretern kirchlicher Ökogruppen soll offiziell und schriftlich bei der SED-Abteilung für internationale Kontakte beantragt werden. Im Fall eines erneuten Verbots wollen die Bremer Kommunisten notfalls „privat“ in die Hauptstadt der DDR einreisen, um die unerbetenen Kontakte herzustellen.

Einstweilen kehrten sie unzufrieden und in ihren Zweifeln bestätigt zurück: Warum in der DDR der 'Sputnik‘ nicht mehr zu lesen ist, warum die Wahrheit über Stalins Massaker bislang nur ausgesuchten ZK-Mitgliedern zuzumuten ist, warum die DDR den „kapitalistischen Umweltverbrechern“ gestattet, ausgerechnet in Schönberg ihren Giftmüll zu entsorgen, konnten ihnen die befreundeten Genossen auch im reibungslosen Restprogramm der Drei-Tage-Delegationsreise nicht erklären. Einer der delegierten DKPler hat allerdings eine Vermutung und sagte sie auch laut: „Möglicherweise besteht die SED-Führung aus den gleichen Umweltverbrechern.“

Klaus Schloesser

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