piwik no script img

Mit Theaterdonner in den Europawahlkampf

In aller Stille mußten die Grünen den Etat zum Europawahlkampf auf nahezu das Dreifache erhöhen, weil der Fundi-Vorstand zuviel Geld für Theaterproduktionen ausgab / Moßmann-Stück kostet 250.000, Zwei-Personen-Straßentheater 350.000 Mark  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

Mit einem „Spektakel zum Skandal der Egalite“ begannen die Grünen am Wochenende ihren Europawahlkampf. Hyänen Voila! heißt das Stück von Liedermacher Walter Moßmann über die französische Revolution und ihren zweihundertsten Geburtstag, das in Bonn Premiere hatte. Das Publikum zollte dem dreistündigen Spektakel viel Lob. Bis zum Wahltag am 18.Juni geht das Stück mit 30 Vorstellungen auf Tournee. Die Produktion kostet bislang 250.000 Mark.

Im tierischen Bereich bewegt sich auch eine zweite Wahlkampfaktivität, die „satirische Parabel“ Schweineleben, die ab 14.April durch die Lande ziehen soll. Vorläufige Kosten des Zwei-Mann-Stücks: 350.000 Mark.

Beschlossen wurden beide Projekte in den Jahren 1987 und 1988 noch vom fundamentalistisch dominierten Parteivorstand unter Jutta Ditfurth - ohne sich freilich um den vorgesehenen Wahlkampfetat von 500.000 Mark zu kümmern. Daß für den Wahlkampf, für Werbespots, Plakate und Info-Material überhaupt kein Geld mehr in der Kasse war, wurde erst nach dem überraschenden Vorstandssturz auf dem Karlsruher Parteitag im November letzten Jahres entdeckt. Ganz im stillen stopfte der kommissarische Vorstand die Löcher; der Etat habe sich nun mit 1,3 Millionen Mark nahezu verdreifacht, erfährt man erst beim Studium der Parteibilanz. Bis zur Endabrechnung können weitere Kostensteigerungen wohl nicht ausgeschlossen werden. Man habe festgestellt, daß „für den Rest des Wahlkampfs kaum noch Geld zur Verfügung gestanden hätte“, bestätigt der neue Schatzmeister Axel Vogel das vorgefundene Dilemma. Er drückt sich sehr vorsichtig aus: „Das ist nicht ganz glücklich gelaufen.“

Härtere Worte für den lockeren Umgang mit dem Geld finden die damaligen VorständlerInnen Christine Bernbacher und Rolf Grösch, die im elfköpfigen Führungsgremium als einzige Nicht -Fundamentalisten „in hoffnungsloser Minderheit“ (Grösch) waren. Frau Bernbacher, die erst im März 88 als Beisitzerin gewählt wurde und ebenfalls wie der gesamte Vorstand in Karlsruhe abtrat, fühlt sich regelrecht hintergangen. Grösch ist „entsetzt“ über die Kostenentwicklung, die ihm erst Ende letzten Jahres bekannt wurde. Erinnert fühlen müssen sie sich an die Debatte über das undurchsichtige Finanzgebaren um das Parteitagungshaus Wittgenstein.

Wie es zu gleich zwei Theaterprojekten mit solcher Belastung für die Kasse kam, ist nicht einfach nachzuvollziehen. In vielen Punkten gibt es unterschiedliche Darstellungen, zudem reicht die Chronologie weit zurück. Walter Moßmanns Projekt wurde bereits im Frühjahr 1987 vom Vorstand genehmigt und sollte ursprünglich 100.000 Mark kosten. Im Frühling 1988 taucht dann zusätzlich das Schweineleben-Projekt auf; Bundesgeschäftsführer Eberhard Walde bringt es offiziell im Vorstand ein. Unbekannt aber ist das Vorhaben wohl einem Teil der Vorstandsmitglieder nicht mehr; die Vorständlerin und damalige Europawahlkampfbeauftragte Anne Schulz - Tochter von Schatzmeister Herrmann Schulz - ist seit Jahren mit dem Theatermacher liiert. Ob es Sinn macht, nun noch ein zweites Stück zu machen, wird offiziell nicht diskutiert. Der Kulturreferent in der Zentrale der Grünen, Richard Herten, gesteht aber zu, daß es intern darüber eine „Kontroverse“ gegeben habe. Anfang Juni 1988 wird das Schweineleben endgültig von der Vorstandsmehrheit abgesegnet.

Rolf Grösch betont, das Projekt Schweineleben sei im Vorstand so vorgestellt worden, als ob das Stück die Partei letzthin nichts kosten werde, da die Produktionskosten durch die Tournee in den zahlenden Kreisverbänden eingespielt werden. Tatsächlich aber ist das Schweineleben, das als Straßentheater oder in kleineren Sälen gespielt werden kann, für die Kreisverbände kostenlos.

„Kritische Fragen wurden weggewischt“, erinnert sich Christine Bernbacher, die zum Abstimmungszeitpunkt zum erstenmal von dem Vorhaben erfährt. Man wolle „klotzen, nicht kleckern“, sei ihr zum hohen Etat geantwortet worden, als sie Bedenken äußerte. Die persönlichen Beziehungen seien ihr ebenso unbekannt gewesen wie die bereits vor ihrem Vorstandseintritt erteilte Zusage an Moßmann. Schatzmeister Schulz habe auch keinerlei Hinweis gemacht, daß der Wahlkampftopf mit der Entscheidung überzogen werde. Die Frage, ob man sich das leisten könne, habe keiner gestellt, rekonstruiert Frau Bernbacher anhand ihres persönlichen Protokolls. Sie äußert den Verdacht, sie sei „mit Absicht unzureichend informiert worden“. Tatsächlich war die Ebbe im Wahlkampftopf von Herrmann Schulz nicht übersehen worden. Bereits einen Tag nach der Vorstandssitzung wurde auf seinen Antrag hin - und mit der Befürwortung des Vorstands in der Tasche - vom Bundesfinanzrat ein Sonderetat für das Schweineleben eingerichtet.

„Das stimmt alles überhaupt nicht“, wehrt der ehemalige Schatzmeister den von Frau Bernbacher geäußerten Vorwurf ab. Das Moßmann-Stück, mit dem nun der Wahlkampf eröffnet wurde, sei ursprünglich „völlig unabhängig“ vom Europawahlkampf als Stück zum Revolutionsjubiläum entschieden worden. Für den Europawahlkampf sei nur das Schweineleben vorgesehen gewesen. Warum dann die Hyänen - voila!-Produktion im regulären Wahlkampfetat verbucht wurde und das Schweineleben im Extrafond, erklärt Schulz mit „rein finanztechnischen Grünen“. Der kommissarische Vorstand, der den Etat nachträglich aufstockte, sei „wohl überfordert“ gewesen, vermutet er. Auch bei den Kosten „brauchen wir uns nichts vorwerfen“. Er habe jedenfalls die Kostenkalkulation mit den Theaterleuten des Schweinelebens „lange runtergehandelt“. Und über die persönlichen Beziehungen seien alle Vorstandler informiert gewesen: „Das hat jeder gewußt“, weist Schulz die gegenteilige Darstellung von Grösch und Bernbacher zurück. Vor der Abstimmung hätten Anne Schulz und er sich dazu erklärt und dann der Stimme enthalten. Christine Bernbacher kann sich daran nicht erinnern; ihr Protokoll verzeichnet allerdings vier Enthaltungen.

Ihm wäre es wegen der persönlichen Nähe, bei der man „schlechte Karten hat“, „lieber gewesen, wenn es eine andere Truppe gewesen wäre“, sagt Herrmann Schulz. An seinem Verhalten könne er „nichts sehen, was anrüchig ist“. Gemessen an anderen Ausgaben der Partei, so argumentiert er, sei auch der jetzige Umfang des Wahlkampfetats „völlig korrekt“.

Kulturreferent Richard Herten verteidigt die beiden Projekte. Das Stück Hyänen - Voila!, das mit acht Schauspielern und umfangreicher Ausstattung nur in besonders geeigneten Theatersälen gespielt werden kann, solle auch nach Ende des Wahlkampfs weiter aufgeführt werden. Herten verweist zugleich auf den Vorab-Erfolg des Schweinelebens. Neunzig Kreisverbände hätten Interesse geäußert; die fünfzig Vorstellungen der Tournee seien bereits ausgebucht.

Warum beim Schweineleben mit 350.000 Mark die Kosten höher sind als bei der umfangreicheren Hyänen - Voila! -Produktion, erklärt Herten mit der „aufwendigen Technik“ der Requisiten und der mobilen Bühne. Die bisherige Kostensteigerung beim Moßmann-Stück von einst 100.000 Mark auf derzeit 250.000 Mark sei vor allem darauf zurückzuführen, daß die Gehälter ursprünglich wesentlich niedriger kalkuliert waren. Inzwischen seien diese dem Niveau der Schweineleben-Truppe angeglichen worden. Die Gesamtkosten aber seien angemessen, sagt der ehemalige Musiker Herten aus Erfahrung: „Bei der Kultur geht schnell die Mark weg.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen