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Verfassungsschutz für Teilzugeständnisse und Haftverschonung

„Überlegungen zum Hungerstreik der RAF“ / Vorschläge des Bundesamtes für Verfassungsschutz für eine Kompromißlinie  ■ D O K U M E N T A T I O N

Vor genau fünf Wochen legte das Bundesamt für Verfassungsschutz den politisch Verantwortlichen einen Vorschlag für eine Kompromißlinie zur Beendigung des Hungerstreiks vor. Bei diesen „Überlegungen zum Hungerstreik der RAF“ handelt es sich jedoch nicht nur um einen Vorschlag einer Expertenrunde des Verfassungsschutzes - wie bislang verlautbart -, sondern das Papier ist unterzeichnet vom Präsidenten des Bundeamtes Gerhard Boeden.

taz

Vor einer drohenden Entwicklung zur Eskalation empfiehlt es sich, bereits jetzt Überlegungen anzustellen, ob es gerechtfertigt sein könnte, auf die Hungerstreikforderungen in begrenztem Umfang, nämlich durch das Anbieten von Teilzugeständnissen, einzugehen.

Mehrere Mittelspersonen, die im Rahmen des Aussteigerangebots mit dem BfV (Bundesamt für Verfassungsschutz) zusammenarbeiten und die aufgrund ihres politischen Werdegangs als exzellente Kenner der „RAF-Szene“ bezeichnet werden müssen, äußern übereinstimmend, daß die Haftbedingungen der zentrale Punkt zur Lösung des Terrorismusproblems in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt seien. Auch Angehörige von inhaftierten Terroristen und Anwälte, die Mandanten aus dem terroristischen Bereich vertreten, sehen ein großes Problem darin, daß die RAF in den vergangenen Jahren durch geschickte Agitation gegen die „unmenschlichen Haftbedingungen“ und die angebliche „Isolationsfolter“ immer wieder junge Menschen für ihre politischen Ziele gewinnen konnte.

Der Staat habe - so argumentieren sie - durch seine restriktive Haltung und demonstrative Härte gegenüber den Gefangenen den Zusammenhalt der RAF gefördert und ihr die Rekrutierung neuer Mitglieder erleichtert. Unter dem Druck der staatlichen Maßnahmen, der kollektivistischen Zwänge in der RAF und aus Angst vor dem Verlust der von den Inhaftierten als lebenswichtig erachteten Unterstützung von außen hätten einzelne Häftlinge es nicht vermocht, sich endgültig von der RAF zu lösen, obwohl sie innerlich bereits Distanz zu deren verfehlter Politik gewonnen hätten.

Zu Morden und Anschlägen ist die RAF zweifellos auch heute noch in der Lage; ihre politische Gefährlichkeit sollte nicht überschätzt werden. Die ihr verbliebene Kraft zieht sie zu einem großen Teil aus dem Mythos ihrer inhaftierten Gesinnungsgenossen und deren besonderen Haftbedingungen.

Im einzelnen sollten folgende Anregungen überdacht werden:

-Kurzfristige unüberwachte Sonderbesuche von Eltern und nahen Angehörigen bei den am Hungerstreik beteiligten RAF -Häftlingen. Der weitaus überwiegende Teil der Eltern inhaftierter RAF-Mitglieder stimmt nach den Erkenntnissen des BfV nicht mit den politischen Zielen ihrer Kinder überein. In der Vergangenheit hat es nur wegen der als unmenschlich empfundenen Haftbedingungen gelegentlich Solidarisierungseffekte gegeben. Die Genehmigung nicht überwachter Besuche während der Dauer des Hungerstreiks verspräche eine überwiegend positive Einflußnahme auf die Häftlinge. Durch den Wegfall jeglicher Besuchsüberwachung sollte den Inhaftierten die Möglichkeit gegeben werden, die eigene individuelle Haltung zum Hungerstreik zum Ausdruck zu bringen, ohne sich vor mithörenden Beamten decouvrieren zu müssen. Dies hätte gleichzeitig eine positive Signalwirkung in Richtung einer Verbesserung der Haftbedingungen.

-Zusammenlegung der Inhaftierten in ein oder zwei Großgruppen sollte nicht erwogen werden. Sie würde zu einer Stabilisierung der Häftlinge in ihrer revolutionären Haltung führen und einzelnen Inhaftierten die Trennung von den Zielen der RAF erschweren. Außerdem entstünde dadurch der Eindruck, diese Forderung würde als berechtigt anerkannt. Dies muß sowohl aus sachlichen wie aus taktischen Gesichtspunkten vermieden werden.

Anders zu bewerten wäre dagegen eine Zusammenlegung der Häftlinge in kleinere, nach sozialpsychologischen Kriterien zusammengestellte Gruppen. Hierzu könnten folgende Überlegungen hilfreich sein:

Untersuchungshäftlinge kommen für eine Zusammenlegung nicht in Frage. Die Zahl der Strafhäftlinge aus der RAF oder dem Kreis ihrer Anhänger, die sich am HS beteiligt haben, beträgt 27. In der Vergangenheit hat es schon Kleingruppen von vier und fünf Häftlingen gegeben. Die Bildung von vier Gruppen mit im Schnitt etwa sieben Inhaftierten wäre einerseits aus der Sicht der RAF ein Fortschritt gegenüber früheren Kleingruppen, würde aber im Vergleich zu diesen kaum höhere Sicherheitsprobleme bringen.

Es ist zu bezweifeln, daß die hungerstreikenden Häftlinge für den Unterschied zuwischen den von ihnen geforderten zwei Großgruppen und vier etwas kleineren Gruppen bereit sind, sich zu Tode zu hungern. Ihnen müßte dann klar sein, daß dies von den meisten Personen, auf deren Solidarität sie bauen, nicht verstanden würde. Der Staat würde dagegen mit einem derartigen Angebot der RAF den Wind aus den Segeln nehmen, ohne selbst, da er die Maximalforderung nicht akzeptiert hat, sein Gesicht zu verlieren.

Haftverschonung für in ihrer Gesundheit stark beeinträchtigte Inhaftierte:

Auch in diesem Punkt sind die Forderungen in der Erklärung von Helmut Pohl überzogen. Der Gesundheitszustand von Angelika Goder und Claudia Wannersdorfer dürfte eine Freilassung nicht rechtfertigen. Bei Rößner und Sonnenberg ließe sich allerdings überlegen, ob die Frage der Haftverschonung ausschließlich nach den für eine Haftunfähigkeit erforderlichen Kriterien beurteilt werden muß. Bei Rößner ist bekannt, daß er durch mehrere Hungerstreiks erhebliche Gesundheitsschäden davongetragen hat. Er wird von Personen, die mit ihm umgehen, als „menschliches Wrack“ bezeichnet. Sein Verhalten im Verlauf der letzten Jahre läßt die Annahme zu, daß er sich bisher nur deshalb nicht von der RAF abgewandt hat, weil er befürchtet, den Kontakt zu den ihn jetzt betreuenden Personen zu verlieren und dann ohne jegliche menschliche Stütze ins Leere zu fallen. Die Situation von Sonnenberg dürfte zwar nicht als gleich schwer zu beurteilen sein, aber auch bei ihm ist die Gefahr der Wiederaufnahme des „bewaffneten Kampfes“ auszuschließen. Eine Haftverschonung dieser Häftlinge würde ein deutliches Zeichen des Entgegenkommens des Staates setzen, ohne die Sicherheitslage zu verändern.

Auf längere Sicht wird angeregt zu prüfen, inwieweit durch eine schrittweise Integration der inhaftieren Terroristen in den Normalvollzug der RAF weiterer Boden für ihre Agitation gegen die Haftbedingungen entzogen werden könnte. Dadurch würden diese Häftlinge subjektiv wie objektiv den besonderen Status, den sie durch ihre Haftbedingungen erhalten haben, und ihre Symbolkraft für das Umfeld der RAF verlieren. Der Zusammenschluß mit „normalen“ Häftlingen könnte ihnen auch bei der Rückgewinnung realistischer Lebensperspektiven behilflich sein.

Der Hungerstreik ist von seinen Initiatoren als Herausforderung des Staates gewollt und er kann im Stadium der Zuspitzung auch tatsächlich dazu werden. Es erscheint deshalb besonders wichtig, frühzeitig darauf zu reagieren, um eine Eskalation mit ihren Begleiterscheinungen ebenso zu vermeiden wie den Anschein der Erpreßbarkeit, der durch ein Nachgeben in einer derartigen Situation entstehen würde. In einer früheren Phase besteht dagegen die Möglichkeit, durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit klarzustellen, daß Teilzugeständnisse nicht ein Nachgeben gegenüber berechtigten Forderungen, sondern eine großzügige Geste der Bundesrepublik verbunden mit der Aufforderung an die Hungerstreikenden darstellen, auch ihrerseits ihre feindliche Haltung gegenüber dem Staat zu überdenken. Dabei könnte mit aller Deutlichkeit herausgestellt werden, daß der Vorwurf der Isolationsfolter einer realen Grundlage entbehrt und daß die von denen anderer Gefangener abweichenden besonderen Haftbedingungen durch die Verhaltensweisen der RAF-Häftlinge - und dies schon seit Anfang der siebziger Jahre - ausgelöst worden sind. Da es keine Schwierigkeiten geben dürfte, die Rechtmäßigkeit der zur Zeit geltenden Strafvollzugsmaßnahmen zu vermitteln, müßte auch darzustellen sein, daß eine Weigerung, in der Zusammenlegungsfrage nachzugeben, unter juristischen Gesichtspunkten gerechtfertigt wäre. Insofern müßte es sich verdeutlichen lassen, daß jedes Teilzugeständnis als politische Entscheidung und als Signal im Sinne einer schrittweisen und langfristig anzugehenden Lösung des Terrorismusproblems insgesamt zu sehen ist.

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