: Die Polizei: „besonnen“ oder „martialisch“
■ SPD/AL: Streit nach Hungerstreik-Demonstration am Samstag vormittag / Innensenator Pätzold (SPD) lobt die Polizei für ihr „besonnenes Verhalten“ / Ströbele (AL) sah dagegen unnötige Provokationen der Beamten / In Kreuzberg klirrten die Scheiben
Nach der Demonstration zur Unterstützung der im Hungerstreik befindlichen RAF-Häftling kracht es im Gebälk des neuen Regierungsgebäudes. Für den Geschäftsführenden Ausschuß der AL kritisierten Birgit Arkenstette und Hans-Christian Ströbele im Anschluß an die Demo den „provokativen Polizeieinsatz“. Inzwischen sprach Ströbele gegenüber der taz von einem „martialischen Auftritt der Polizei“ und erklärte, daß der Polizeieinsatz nicht mit der im Koalitionspapier vereinbarten Linie bei Demonstrationen übereingestimmt habe. Dagegen bedankte sich Innensenator Pätzold (SPD) bei den Beamten für ihr „besonnenes und taktisch kluges Verhalten“. Gegenüber der taz erklärte Pätzold gestern, daß er das Verhalten der Polizei sehr bewußt politisch trage.
Als „überflüssig“ kritisierte Ströbele die Videoüberwachung der DemonstrantInnen durch die Polizei am Anfang und Ende des Zuges. Nach eigenen Beobachtungen fotografierte die Polizei auch gezielt einzelne Mitglieder des Demonstrationszuges. „Kein Wunder, daß die Leute sich dann vermummen“, meinte Ströbele. Inzwischen räumt auch Pätzold ein, daß in Zukunft die Video- und Kameraüberwachung bei Demonstrationen überprüft werden sollte.
Die schon im Vorfeld als „äußerst heikel“ (Margarete von Galen von der AL) eingeschätzte Demo, zu der eine Reihe von Organisationen, darunter der AStA der TU, Friedensinitiativen sowie Teile der AL und autonome Gruppierungen aufgerufen hatten, drohte angesichts der zugespitzten Lage im Hungerstreik des öfteren zu kippen. Die TeilnehmerInnen rekrutierten sich zum großen Teil aus dem antiimperialistischen und autonomen Spektrum. Die „liberale Öffentlichkeit“ blieb fast vollständig zu Hause. An der Kreuzung Joachim-Friedrich Straße/Kudamm kam es dann zu handfesten Auseinandersetzungen als die Polizei ein Spalier bildete. Begründung der Polizei: Die Vermummung einiger TeilnehmerInnen hätte diese Maßnahme nötig gemacht. Die Demo -Leitung forderte die Polizei über Lautsprecherwagen auf, das Spalier aufzulösen. Daraufhin drängten zum Teil Vermummte gegen die Polizeikette und zerschmissen einige Scheiben des türkischen Generalkonsulats am Kudamm. Die Beamten zückten und benützten ihre Schlagstöcke. Nach Polizeiangaben wurden zwölf Beamte leicht verletzt.
Ohne weitere Zwischenfälle zogen die knapp 4.000 Demonstranten weiter zum Kranzler-Eck. Hier forderte die Mutter der in Berlin im Hungerstreik befindlichen Gabriele Rollnik „ein Ende des Pokerspiels zwischen den Justizministern von Bund und Ländern“. „Wir wollen keine Erpressung des Staates, sondern, daß die unmenschliche Tortur der Haftbedingungen der Gefangenen aufhört“, sagte die Mutter der Gefangenen. Die Demonstration endete nach vier Stunden vor dem Verwaltungsgebäude der Justizsenatorin.
Am Samstag nachmittag wurden in Kreuzberg die Scheiben von neun Geschäften und drei Bankfilialen eingeworfen. Nach Angaben der Polizei kam es auch zu Plünderungen. Gleichzeitig wurden Parolen gesprüht, in denen die Zusammenlegung der RAF-Häftlinge gefordert wird. In welchem Zusammenhang die kaputten Scheiben mit dem Hungerstreik standen, war bis Redaktionsschluß nicht zu erfahren.
Theo Düttmann
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