: „Irgendwann wird Radioaktivität frei“
Dr.Gerd Leipold, Koordinator der Greenpeace-Kampagne für atomwaffenfreie Meere, zur Gefahr, die durch das vor Norwegen gesunkene sowjetische Atom-U-Boot ausgeht ■ I N T E R V I E W
taz: Die Sowjetunion beteuert nach wir vor, daß von dem vor Norwegen gesunkenen Atom-U-Boot keine radioaktive Gefährdung ausgehe.
Dr.Gerd Leipold: Eine reine Schutzbehauptung. Die Sowjetunion hat eine ganze Reihe von Abrüstungsvorschlägen gemacht für den arktischen und nordatlantischen Raum und befürchtet jetzt außenpolitische Verwicklungen mit den Nordmeerstaaten. Sie hat ihre Beschwichtigungen schon abgegeben, bevor sie genau wußte, was eigentlich geschehen war. Erst am Montag abend hat der Verteidigungsminister zugegeben, daß es schon vor dem Sinken des Schiffes Explosionen an Bord gegeben hat. Selbst wenn die Kernreaktoren nicht schon durch die Explosionen beschädigt worden sind, könnten sie auch durch die Wucht des Aufpralls auf dem Meeresboden beschädigt worden sein. Ein sinkendes U -Boot kann eine beträchtliche Geschwindigkeit erreichen durch seinen geringen Wasserwiderstand. Reaktoren für U -Boote sind bekanntlich nicht gegen Aufprall geschützt, sondern werden auf Leichtigkeit gebaut. Beim Eintreten von Wasser in den Reaktor kommt es zu vehementen Reaktionen mit dem Kühlmaterial Natrium, wobei Wasserstoff bei Überdruck entsteht. Explodiert der Reaktor, wird die Radioaktivität vollkommen freigelassen. Im Tschernobyl-Reaktor wurden nur zwei Prozent der Radioaktivität frei, während bei einer Freisetzung am Meeresboden damit gerechnet werden muß, daß 100 Prozent der Strahlung frei werden. Deswegen ist anzunehmen, daß bei einer Freisetzung die Verseuchung genauso groß werden wird wie diejenige durch Tschernobyl, obwohl die U-Boot-Reaktoren nur ein Zehntel so groß sind.
Bislang wurde noch keine Strahlung gemessen.
Es ist bisher nur an der Wasseroberfläche gemessen worden. Wenn der Reaktor nach den Explosionen an Bord noch einigermaßen intakt war, wird man hier nichts feststellen können.
Gibt es Erfahrungen mit vergleichbaren Unfällen?
Bisher sind sechs Atom-U-Boote gesunken. Es gibt aber keinerlei Messungen von zivilen Stellen darüber, und die Militärs haben kein Interesse an einer angemessenen Informationspolitik. Nun sind aber die Reaktoren des jetzt gesunkenen U-Boots ohnehin von einem anderen Typ, keine Druckwasserreaktoren, sondern metallgekühlte Reaktoren, bei denen Natrium als Kühlmittel verwendet wird. Ein technisch verlockendes Konzept, das die Amerikaner allerdings aus Sicherheitsgründen wieder aufgegeben haben.
Nun liegt das Boot in 1.500 Meter Tiefe vor der Bäreninsel. Welche Risiken bestehen dort für das ökologische Gleichgewicht?
Die Stelle, wo das U-Boot untergegangen ist, ist von größter Wichtigkeit für die Fischerei. Auch in dieser Tiefe können die Strömungen im Nordmeer am Tag ein bis zwei Kilometer betragen.
Was kann jetzt noch getan werden?
Die Reaktoren müssen geborgen werden, auch wenn das technisch nicht einfach ist. Denn selbst wenn die Reaktoren jetzt noch halten, werden sie früher oder später Radioaktivität freilassen durch Druckeinwirkung und Korrosion, wobei die Korrosion auch von innen her stattfinden kann.
Interview: Alexander Smoltczyk
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