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...ZUR URBANEN GEMÜSELANDSCHAFT

■ FBK-Discount in den Messehallen

Sehlust: sie wird auf der FBK (Freie Berliner Kunstausstellung) mit großen Löffeln weggefressen. Hier erscheinen einem Pinsel und Farbe zuletzt als entsetzliche Instrumente des Exhibitionismus; hier wirft man Blicke in Löwengruben, deren Existenz man lieber verdrängt hätte. Kunst schockt: aber nicht da, wo es professionelle Künstler auf die unerwartete Wahrnehmung angelegt haben und doch schon längst wieder von dem gewohnten Darüberhinwegsehen eingeholt wurden, sondern sie schockt aus ihren sonntäglichen Winkeln heraus, wo sich der Berliner das Herz aus dem Leibe pinselt, fleißig, oft technisch begabt, aber völlig hilflos in bezug auf Inhalt oder Thema. Da hat einer stundenlang gearbeitet und aus Kupfer den Spruch geschmiedet: „Ohne Fleiß kein Preis“. Da wollte einer wohl existentiell und expressiv sein und läßt eine nackte, an den Baum gefesselte Frau von einem roten Mann mit steifem Schwanz besteigen. Kleine Kinder vor Atomkraftwerken und Totenschädeln, „Susanne erzählt vom Polizeieinsatz“ in bleicher Betroffenheit, eine Frau droht, sich ihr Auge mit der Schere herauszuschneiden: Angst, Mitteilungsbedrängnis und Entschlossenheit zur engagierten Kunst zieht in naiven oder platten Bildgestaltungen den Spott auf sich. Die Bilder der Selbsthilfe Berliner Künstler offenbaren zwischen tierischem Sexismus und der „Zweisamkeit“ von Rotkehlchen geistige Armseligkeit. Man findet in den Tiefen dieser Messehallen gedrängte Zeugnisse einer Malwut, die als selbstverordnete Therapie gegen die Einsamkeit in Wohnblocks, die Langeweile in der Laubenkolonie, die Gewaltphantasien in der U-Bahn und die Ohnmachtsgefühle im Alltag entstanden zu sein scheinen. Der pädagogische Traum, diese Bilder als Zeugnisse für die Kreativität ihrer Produzenten genauso ernst zu nehmen wie die etablierte Kunst, trägt nicht. Die Ergebnisse geschulter und naiver Kreativität nebeneinander offenbaren eine Kluft, über die alle gutgemeinten Brücken der Kunsterziehung bisher nicht geholfen haben.

Währenddessen tummeln sich vor allem in der vorderen Halle die Profis und man hört von Skandalen munkeln: mit wieviel weißer Wandfläche um das Bild herum darf sich einer besonders exponieren und dem Besucherblick empfehlen? Ruckhaberle, der sich mit seiner „Ausstellungsgruppe 1989“ von der Hängekommission um den vorher zugesicherten Platz gebracht sah, drohte an, sich 1990 nicht mehr an der FBK zu beteiligen. Versteht die Prominenz, die diesen Ort nicht als öffentliches Forum braucht, es als einen Gunstbeweis gegenüber dem unbekannten Künstlervolk, auf der FBK auszustellen?

Dies ist alles ungerecht, gemein, blind gegenüber der Mühe, diese Ausstellung zu organisieren, und gänzlich undemokratisch gesagt. Die FBK macht ungerecht, gemein, blind und zerstört jedes Vertrauen in ihren demokratischen Anspruch, daß Künstler zusammen mit Amateuren ausstellen, um unbegrenzt und unzensiert die Lebendigkeit der Kunstszene zu demonstrieren. Die ersten zwanzig Meter durch die Hallen schafft man noch mit den guten Vorsätzen des Kunstfreundes, ist noch zu freudigen Entdeckungen fähig. Bald läßt die Neugierde nach, in jeder neuen Koje registriert man zuerst, wie viel dort ausgestellt ist. Dann aber wird man selbst zum Täter, sucht bloß noch die monströsen, verunglückten Versuche. Man wird mit Kunst torpediert und schießt mit Vorurteilen zurück. Die Logistik der Quantität zerstört jeglichen qualitativen Anspruch. Heraushauen aus dem Vorüberrauschen der Bilder kann sich oft nur der plumpeste Angriff auf die Sehnerven, der knalligste Effekt, die platteste inhaltliche Anbiederung - um dann sofort verworfen zu werden. Neue Tendenzen hier zu entdecken, halte ich für unmöglich: neue Strategien der visuellen Kommunikation bedürfen einer Vorbereitung und Einstimmung des Sehenden, wie sie auf der FBK, wo jeder Künstler mit nur einer Arbeit vertreten ist, nicht möglich ist.

Einige Gruppen aber haben es geschafft, auf die Discount -Situation in den Messehallen mit ihren Arbeiten zu reagieren. „Urban Art“ baute einen Stand mit urbanem Gemüse aus zweideutigen, obszönen, faulig schillernden Kleinplastiken auf, nahe der Ekelschwelle, die marktschreierisch und mit eingestreuten Kurzanalysen über Kunst und Markt versteigert werden. Die sieben Künstler von „Inflartion“ malten 35 Kopien von van Goghs Sonnenblumen und schreiben damit die Zerstörung der Einmaligkeit des Originals fort. Eine Gruppe von HdK-Studenten richtete in der hintersten Ecke der Hallen das „Streikwerk“ zum Hungerstreik der RAF-Gefangenen ein. Sie malten keine Bilder, beschrieben nur zwei Pappschilder mit den Worten Streik und Hunger, gossen rote Farbe über den Boden, legten Flugblätter aus und rissen in dieser Koje die weiße Tapete der Stellwände herunter. Schon allein durch diese Zerstörung des neutralen Grundes, der allen anderen in scheinbarer Gleichheit unterlegt ist, erreichen sie einen Durchstoß der verklebten Sehnerven.

Der demokratische Anspruch der FBK bleibt ein Feigenblatt über den Mechanismen des Kunstmarkts, solange dort der Persönlichkeitskult herrscht. Die Inszenierung der eigenen Person als medienwirksamste Kunst griff Marc Schmitz provozierend auf. Mit Absperr-Kordeln signalisiert er „Vorsicht Kunst!“ und läßt den Betrachter dann lesen „Ist Adolf Hitler ein berühmter deutscher Künstler?“ - „Nein, denn er war Österreicher.“ Ausgerechnet diesen hinterhältigen Kommentar über die Strukturen öffentlicher Wahrnehmung ließ die Ausstellungsleitung wieder entfernen mit der fadenscheinigen Begründung, den Platz für eine Tanzgruppe zu brauchen. Anscheinend genügt jetzt schon die bloße Erwähnung Hitlers, um einigen Ausstellungsmachern den Angstschweiß auf die Stirn zu treiben.

Katrin Bettina Müller

19. Freie Berliner Kunstausstellung in den Messehallen am Funkturm bis 7.Mai, täglich 10-19 Uhr, Eintritt 5Mark, ermäßigt 3 Mark.

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